O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Opening 23

Am Sonntag zu früh

PHASE TO PHASE
(Katie Porter, Lucio Capece)

Besuch am
5. Februar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Opening 23, TUFA, Großer Saal, Trier

Konzerte am Sonntagmorgen sind so überflüssig wie ein Kropf. Es sei denn, sie bilden den – verfrühten – Abschied von Opening 23, dem internationalen Festival für aktuelle Klangkunst in Trier. Da heißt es um neun Uhr morgens aufzustehen, genüsslich im Hotel zu frühstücken, duschen, packen, Abschied vom Hotel zu nehmen, um endlich den unsagbar langweiligen Weg vom Hotel zur TUFA, dem Festivalort, mit dem Auto zu nehmen. Das hätte man sich vor zehn oder sagen wir 20 Jahren noch nicht verkniffen. Heute ist die Freude umso größer, wenigstens am letzten Tag mit dem Auto an der Baustelle, dem Wellness-Bad vorbei, gleich rechts in die Straße abzubiegen, an der der Parkplatz liegt, auf dem man sonntags kostenlos parken darf und der nur wenige Meter von der TUFA entfernt ist.

Eigentlich sind am Sonntag noch drei Konzerte vorgesehen. Das Für-Sonntag-zu-früh-Konzert, von dem gleich die Rede sein wird, ein Konzert, das abschreckend mit Tierkreis von Karlheinz Stockhausen angekündigt wird, den man sich lieber beim Stockhausen-Festival in Kürten anhört – es wird sich herausstellen, dass Stockhausen nur ein Viertel des Konzertes ausmachen wird – und es gäbe die Möglichkeit, am frühen Abend noch einmal die Musik von Cellistin Katharina Gross, diesmal im Duo mit der Pianistin Ji-Youn Song, zu genießen. Aber die Vorstellung, entspannt durch die Eifel ins Rheinland zurückzurollen, ohne den üblichen Stau: Dagegen kommen auch die beiden letzten Konzerte nicht an. Und so bleibt Phase to Phase, das Bassklarinetten-Duo von Katie Porter und Lucio Capece, um wieder Abschied zu nehmen.

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Porter und Capece haben sich während der Pandemie über das Internet kennengelernt. Fast jeden Dienstag haben sie sich über ein Jahr dort getroffen, erzählt Porter, gemeinsam komponiert, gequatscht und auch die beiden Stücke Phase to Phase I und II aufgenommen. Während es im ersten Stück eher um das gegenseitige Kennenlernen ging, achteten die beiden im zweiten Stück sehr auf den Zeitbezug. Als sie das erste Mal die beiden Aufnahmen komplett hörte, hatte Porter das Gefühl von zwei riesigen Bäumen, die sich in einem Wald im Wind bewegen. Wenn das so ist, dann sind es sehr minimalistische Bewegungen, man fühlt sich wie in einer Meditation über Minimal Music. Fast eine Stunde lang geht das so, und um das genießen zu können, muss man schon selbst in der richtigen Stimmung sein.

Auch am Sonntagmorgen reagiert das Publikum enthusiastisch. So wie es sich auch in den vergangenen Tagen sehr begeisterungsfähig zeigte. Und während der Wagen über die Eifel-Straßen rollt, kann man über eine kurze, aber sehr intensive Zeit vortrefflich reflektieren. Wohltuend für das Festival ist sicher die gesicherte Finanzierung. Ohne übertriebenen Luxus kann man die Auftritte ohne permanente Hinweise auf Sponsoren genießen, sich die Diskussionen über eine mögliche Fortsetzung ersparen. Das ist sehr angenehm. Ein dichtgedrängtes Programm lässt kaum Leerläufe zu, aber auch kaum Zeit für Reflexion. Der Konsum steht im Vordergrund, was eigentlich dem Sinn des Festivals widerspricht. Zu diesem Eindruck trägt bei, dass es keine Anmoderationen gibt. Hier oder da eine Begrüßung, ein paar erläuternde Worte könnten sicher nicht schaden. Das Gefühl eines geschlossenen Kreises, wie es über die drei Tage entsteht – man begegnet stets denselben Menschen – trägt unbedingt zum Wohlgefühl, zum „Festival-Feeling“, bei. Dass man eben diesen Menschen vermutlich auch in den letzten 23 Jahren begegnet ist, gibt dem Ganzen die hermetische Geschlossenheit eines Freundeskreises. Da haben es neue Gäste schwer, sich einzufinden. Zumal es schwerfällt, sich gezielt einzelne Auftritte herauszusuchen. Möglicherweise könnte hier ein kleiner Schritt sein, das ausführliche Programmheft nicht separat zu verkaufen und die Plakatierung noch einmal zu überdenken.

Der größte Spaßfaktor ist und bleibt sicher, wie sich hier Künstler und Publikum vermischen. Die nette Dame, mit der du dich gerade unterhalten hast, steht im nächsten Auftritt plötzlich auf der Bühne. Am nächsten Morgen trefft ihr euch beim Frühstück wieder und habt noch mal Gelegenheit, über ihre künstlerischen Ideen zu sprechen. Das ist einfach ein Erlebnis – und führt zu den inhaltlichen Gegebenheiten. Ein gutes Festival lebt von der Handschrift seines künstlerischen Leiters. Je deutlicher die ist, desto klarer positioniert und qualitativ hochwertiger ist es. Wer behauptet, repräsentative Musiktage zu einem Thema zu gestalten, ist eigentlich schon ein Scharlatan. Allerdings ist der Anspruch von Opening 23 sehr hoch, wenn hier aktuelle Klangkunst zu Gehör gebracht werden soll. Wenn der subjektive Eindruck vorherrscht, dass die neuen Entwicklungen darin bestehen, Musik möglichst leise und meditativ zu machen, alle möglichen Berührungsstellen an Instrumenten zu entdecken, dann fehlt am Ende der Kontrast. Alles richtig gemacht, keiner kann sich beschweren, aber der Kick bleibt aus. Möglicherweise ist es da tatsächlich ganz gut, wenn Bernd Bleffert Dialogpartner bekommt, die im nächsten Jahr für neue Impulse sorgen. Damit soll das diesjährige Festival nicht in Abrede gestellt werden. Das war auf seine Art schön, rund und stimmig. Und wenn man sich für das kommende Jahr was wünschen dürfte? Dann wären es die Treffen im Restaurant der TUFA, dem Textorium. Da sollte doch wieder eine Kooperation möglich sein.

Michael S. Zerban