O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Opening 22

Improvisationsfreude mit Schall

BELCANTO OST/WEST
(Naoko Kikuchi, Marc Boukouya)

Besuch am
11. Februar 2022
(Einmaliges Gastspiel)

 

Opening 2022, Trier, Viehmarktthermen

Koto. Das Wort klingt in deutschen Ohren erst einmal nach einer Verniedlichung von Unrat. Für Naoko Kikuchi ist es das Instrument, das ihr Leben bedeutet. Denn die Koto ist eine japanische, mit dreizehn Saiten bespannte Wölbbrettzither. Kikuchi stammt gebürtig aus Sendai und erlernte seit ihrer Kindheit das Instrument, das in der höfischen Musik Japans eine große Rolle spielt, bei ihrer Großmutter und Mutter, um ihre Kenntnisse später im universitären Studium zu vertiefen. Heute beherrscht Kikuchi das Instrument so gut, dass sie nach erweiterten Formen der Nutzung sucht.

Beim Opening-Festival lernte Kikuchi Marc Boukouya kennen. Er stammt gebürtig aus Bouzonville, einer Kleinstadt irgendwo in Elsass-Lothringen. Nach dem Studium der Posaune und des Gesangs zieht es in hinaus in die Welt. Er lebt in London, in Berlin, baut eine Karriere als Posaunist, Komponist und Dirigent auf. Er sieht seine Musik auf dem experimentellen Gebiet, dem Jazz und der neuen Musik. Einen Namen macht er sich besonders in der Jazz-Improvisationsszene. Da dürfte es ihm ein innerer Vorbeimarsch gewesen sein, Kikuchi kennenzulernen. Was schließlich könnte unter musikalischen Aspekten aufregender sein, als eine Koto mit einer Posaune zu paaren? Aus Laiensicht mögen die Gegensätze beider Instrumente kaum größer sein. Vielleicht sogar zu groß. Jedenfalls nimmt das Zuschauerinteresse in den Viehmarktthermen abends um halb neun merklich ab.

Foto © O-Ton

Das ist so bedauerlich wie überflüssig. Auch wenn die ersten Probestöße in die Posaune zunächst beängstigend an die Wirkung der Trompeten von Jericho erinnern. Boukouya selbst scheint ziemlich zu staunen. Thomas Rath übernimmt erneut die Anmoderation, dann kann das Konzert mit dem Titel Belcanto Ost/West beginnen. Unter Belcanto versteht man die Gesangskunst, die im 16. Jahrhundert an Opernhäusern üblich war. Ein Schöngesang, der neben der Weichheit des Tons eine ausgeglichenes Stimmregister und allerlei feste Regeln in der Kunstform verlangte. Von all dem ist an diesem Abend wenig zu hören. Auch die Beschreibung eines Tagesablaufs zweier Musiker verschiedener Kulturen ist ernsthaft nicht zu erkennen, die im Programmheft angegeben ist. Das interessiert allerdings auch die allerwenigsten Zuhörer. Faszinierender ist die Improvisationsfreude der beiden Musiker. Kikuchi bearbeitet ihr Instrument jenseits aller Regeln der Kunst. Ständig unterlegt sie die Saiten mit Plastik-Stegbünden, die sie permanent verschiebt. Unterschiedliche Gegenstände werden an der Unterseite des Instruments geschlagen, geklopft oder gerieben. Ein Tuch sorgt mitunter für die Dämpfung der Saiten. Eine solche Behandlung, die von Griffen mit übergestülpten verlängerten Fingerspitzen der rechten Hand begleitet wird, die in die Saiten greifen, erhöht kaum die Lautstärke der Koto – und so wird die Zither immer das unterlegene Instrument sein, solange der Posaunist sich nicht bewusst in der Lautstärke reduziert.

Die Improvisationen der beiden sind dann aber doch eher ein Geben und Nehmen, allenfalls ein respektvolles Überlappen. Neben der Technik der Zither-Spielerin begeistert, wie der Posaunist – auch durch das Aufsetzen verschiedener Klangbremsen und Positionswechsel – die Schallräume des Museums erkundet. So entsteht neben dem wechselhaft fragilen wie brachialen Klangkonstrukt die visuelle Faszination. Gestört wird der Genuss der frischen Klänge allenfalls durch den wiederholten Blick Boukouyas auf die Uhr, zum ersten Mal nach 20 Minuten. Wenn es denn so sehr pressiert, nimmt es viel von der Verführungskraft. Aber er hält die Dreiviertelstunde durch, und so kann sich auch Kikuchi ganz entfalten.

Kaum ist der begeisterte Applaus der Gäste verklungen, versammeln sich die ersten Besucher schon Kikuchi, um sich nach den Besonderheiten ihres Instruments zu erkundigen. Das ist das Schöne auch dieses Festivals: Die Grenzen zwischen Publikum und Künstlern verschwimmen. Und auch wenn sich so manches Gespräch nach dem Konzert ähneln mag, zeugt doch jedes immer wieder von der Nähe zwischen beiden Welten.

Eine gastronomische Bewirtung ist in diesem Umfeld nicht vorgesehen, sonst hätte sich der Abend vermutlich noch deutlich in die Länge gezogen. Das macht aber nichts. Der Abend war erschöpfend, und am nächsten Tag warten weitere aufregende Programmpunkte auf die Festivalbesucher. Dann auch mit gastronomischen Höhepunkten, über die noch zu reden sein wird.

Michael S. Zerban