O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Opening 22

Blanke Virtuosität

ALTE UND NEUE GITARRENMUSIK
(Diverse Komponisten)

Besuch am
11. Februar 2022
(Einmaliges Gastspiel)

 

Opening 2022, Trier, Viehmarktthermen

Trier kennt man als Ausflugsort für Schülerklassen, die Porta Nigra und Kaisertherme besichtigen. Als ein Zentrum für neue Musik ist die Stadt mit mehr als 110.000 Einwohnern und nach eigenen Angaben älteste Stadt Deutschlands in Rheinland-Pfalz weniger bekannt. Genau deshalb investieren die Stadt Trier und das Kulturzentrum TUFA gemeinsam mit zahlreichen Förderern alljährlich in das Opening-Festival als internationales Festival für aktuelle Klangkunst. Seit 22 Jahren gibt es das Festival, seit 2011 haben Bernd Bleffert und Thomas Rath die künstlerische Leitung inne.

Bernd Bleffert selbst bezeichnet sich als Schlagzeuger und Klangkünstler. 1955 in Altenahr geboren, lebt und arbeitet er heute in Trier, ist Mitbegründer von Tonwerke Trier, einem Ensemble für experimentelle Musik. Seit 1990 entwickelt er eigene Schlagwerke und die dazugehörigen Spieltechniken. Thomas Rath hat in Hannover Bildhauerei, Philosophie und Kirchenmusik studiert, später trieb es in unter anderem als Musikdramaturg an das Theater und als freien Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit den beiden als Festivalleiter hat sich Opening verändert. War es vorher auf experimentelle Musik und Musiktheater kapriziert, sollte es fortan aktuelle Musik in den Mittelpunkt stellen.

Was ist ein Festival für „aktuelle Klangkunst“? Ein verhindertes Donaueschingen? Wie üblich ein Festival, das von sich behauptet, neue Musik zu liefern, um dann mit längst verstorbenen Komponisten zu reüssieren? Oder womöglich ein paar Tage, in denen tatsächlich lebende Komponisten die Gelegenheit bekommen, ihre aktuelle Musik spielen zu lassen? Opening ist ein bisschen von allem und mehr. Zunächst einmal ist Opening offen. Deshalb gibt es auch kein Motto. Die künstlerischen Leiter wollen sich nicht festlegen lassen, sondern sich möglichst vielen Formen der Kunst öffnen. Dazu gehört auch die Kombination musikalischer Erfindungen mit bildender Kunst. Das wird in den nächsten Tagen zu erleben sein. Auch sind sie sich bewusst, dass neue Musik, also Musik, die heute entsteht, immer auch auf den Einflüssen älterer Musik beruht. Dem wollen Bleffert und Rath ebenfalls Rechnung tragen.

Christian Wernicke – Foto © O-Ton

Und so findet im Vorlauf des Festivals, also am Donnerstagabend, eine Aufführung statt, die die Musik John Cages zum Thema hat. Die Sonatas & Interludes gehören zu den bedeutendsten Werken des 20. Jahrhunderts (!). Mit der zweiten Aufführung des Abends gibt es dann endlich die Musik zu hören, die ein Festival für moderne Klangkunst ausmacht. Gleich vier Werke aus den letzten drei Jahren führen Sopranistin Einat Aronstein und Oded Geizhals am Schlagwerk unter dem Titel Forever and Sunsmell auf.

Freitagabend. Das Festival Opening 2022 startet durch. Eine offizielle Eröffnungsveranstaltung ist dank kurzer Grußworte schnell abgefrühstückt. Oberbürgermeister Wolfram Leibe ist persönlich erschienen, um sich als Liebhaber neuer Musik zu erkennen zu geben und kenntnisreiche, einführende Worte zu finden. Hut ab. Ein paar musikalische Kostproben runden den positiven Eindruck ab. Danach bleibt ein wenig Zeit, sich zu den Viehmarktthermen zu begeben, denn das wird die Spielstätte für die heutigen Konzerte. Und was für eine.

Als 1986 auf dem Viehmarktplatz in der Trierer Innenstadt Vorbereitungen für den Bau einer Tiefgarage begannen, wurden die Reste römischer Thermen entdeckt. Statt einer Tiefgarage gab es daraufhin einen Glaskubus um die Ausgrabungen herum. Neben der faszinierenden Architektur bietet das heutige Museum sich auch als Konzertraum an. Allerdings mit einer Akustik, die es in sich hat. Da muss man schon sehr genau auswählen, wen man da auftreten lässt, soll der Abend ein Erfolg werden.

Wolfgang Sehringer und Andrès Hernández Alba – Foto © O-Ton

Für den heutigen Abend ist das Aleph-Gitarrenquartett eingeladen. Es ist eindeutig eines der edelsten Quartette, die sich für die neue Musik auf scheinbar ungewöhnlichen Instrumenten engagieren. 1993 fanden Andrés Hernández Alba, Tillmann Reinbeck, Wolfgang Sehringer und Christian Wernicke zusammen, um zu zeigen, welche Virtuosität auf Gitarren möglich ist. Dazu greifen die Musiker auf alte wie neue Musik zurück. Im Rahmen der Musik unserer Zeit vergeben sie auch Kompositionsaufträge. Inzwischen eilt sein Ruf dem Quartett voraus, so dass es kaum verwundert, dass nahezu sämtliche Plätze im improvisierten Konzertsaal besetzt sind. So sehr Gitarren bei Hobby-Musikern beliebt sind, so selten sind sie im Konzertbetrieb geworden. Umso schöner, wenn man auf Virtuosen trifft, die auch noch das richtige Umfeld vorfinden, in dem sich der Klang des uralten Instrumentes grandios entfalten kann. Wie bei vielen anderen Instrumenten gibt es natürlich „die Gitarre“ nicht, sondern du musst deine Gitarre finden, die zu dir und deiner Musik passt.

Zunächst einmal ist hier nichts neu. Nach der etwas spröden Anmoderation treten vier Herren in schwarz auf, setzen sich in langgeübter Praxis im Halbkreis vor das Publikum und beginnen nach einigen Stimmarbeiten das Konzert mit Un mar de tierra blanca von Mauricio Sotelo aus dem Jahr 2017. In der Umgebung der Thermenüberreste entfaltet sich ein wunderbares Klangbild, zunächst kaum hörbar, später immer präsenter. Ohne weitere Erläuterungen geht es in das Jahr 2019, aus dem polvo, tumba von Nùria Giménez Comas stammt. Ist es schon ein Genuss, einem Gitarrenvirtuosen zu lauschen, wird es schnell zum Staunen, wenn man die Zusammenarbeit der vier Musiker erlebt. Hier geht es um Millisekunden, feinste Nuancen in Lautstärke und Anschlag, soll aus dem Gitarrenstück ein Erlebnis werden. Dem Adelph-Gitarrenquartett gelingt das mit höchster Konzentration. So auch, wenn es mal eben ganz unauffällig in das 16. Jahrhundert zurückgeht. In dieser Zeit hat der italienische Benediktinermönch, Organist und Komponist Adriano Banchieri die Fantasie overo canzoni alla francese für „vier beliebige Instrumente“ verfasst, hier also für vier Gitarren. Dass dem Publikum hier alte Musik „untergejubelt“ wird, fällt möglicherweise dem auf, der aufmerksam das Programmheft mitverfolgt, in dem die Jahresangabe fehlt. Alle anderen lassen sich weiter vom Können der Musiker begeistern, die übergangslos zum Kampftanz in das Jahr 1999 zurückkehren, den Manuel Hidalgo komponiert hat. Deutlicher wird der Unterschied zum Quartett, das Georg Friedrich Haas 2007 verfasst hat. Mit der Music for Marcel Duchamp von John Cage gibt es noch eine Zugabe aus dem Jahr 1947, die vom Publikum ebenso frenetisch beklatscht wird wie der vorangegangene Abend.

Der große Auftakt, den jedes Festival gern für sich verzeichnet, ist in Trier zweifelsohne gelungen. Gern hätte der Bühnentechniker darauf gewartet, dass das Publikum die Spielstätte verlässt, um den nächsten Auftritt vorzubereiten. Vergiss es. Die Besucher stehen im Pulk um die Musiker herum, um das Gespräch mit ihnen zu suchen.

Michael S. Zerban