O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Opening 23

Leise, leise

LUNA
(Kunsu Shim, Gerhard Stäbler)

Besuch am
3. Februar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Opening 23, Viehmarkttherme

Die Zielsetzung des Opening-Festivals in Trier ist klar definiert. „Brücken zu schlagen als Akte der Begegnungen zwischen alter und neuer, streng komponierter und frei improvisierter Musik, zwischen östlicher und westlicher Musik, zwischen Kontemplation und Experiment.“ Als Beispiel dafür mögen die beiden Komponisten dienen, die heute Abend mit einem Doppel-Porträt musikalisch geehrt werden. Kunsu Shim wurde 1958 im südkoreanischen Busan geboren, studierte Komposition an der Yonsei-Universität in Seoul, ehe er 1985 in Stuttgart bei Helmut Lachenmann und anschließend in Essen bei Nicolaus A. Huber seine Ausbildung vervollständigte. Auch der 1949 in Wilhelmsdorf bei Ravensburg geborene Gerhard Stäbler studierte bei Nicolaus A. Huber, zudem Orgel bei Gerd Zacher in Detmold und Essen. Seither arbeiten die beiden Komponisten zusammen bis hin zu gemeinsamen Kompositionen.

Da passt es gut, dass das Luna-Streichquartett aus Amsterdam Beispiele ihrer Arbeiten gemeinsam vorstellt. Und man könnte sich kaum eine schönere Spielstätte als die Viehmarktthermen in Trier dafür vorstellen. 1987 beim geplanten Bau einer Tiefgarage entdeckt, formte Architekt Oswald Mathias Ungers einen monumentalen Glasbau, der das Muster des von ihm entworfenen Straßenpflasters fortsetzte und so den Eindruck erweckte, als sei ein Aufzug aus dem Platz hochgefahren, in dem das historische Erbe glänzen kann. Neben der faszinierenden Architektur kann das Gebäude vor allem mit einer Akustik protzen, in der Kammermusik ihren idealen Bestimmungsort findet. Für das Organisationsteam des Festivals bedeutet der Spielort zusätzliche Strapazen, weil Auf- und Abbauzeiten eng begrenzt sind, für die Musiker bietet das historische Gemäuer keinerlei Komfort, aber Akustik und Ambiente bescheren dem Publikum bei jedem Konzert ein unvergleichliches Erlebnis, ganz egal, wessen Musik hier aufgeführt wird.

Katharina Gross – Foto © O-Ton

An diesem Abend treffen hier vier herausragende Solisten als Streichquartett zusammen. Geigerin Janneke van Prooijen hat sich nach ihrem Studium in Den Haag und Rotterdam auf neue Musik fokussiert und eine beachtliche Karriere absolviert. Jeliantsje de Vries wird als eine der herausragenden Geigerinnen ihrer Generation gehandelt. Der Orchestergraben liegt ihr fern. Tanz- und Theater-, aber auch kammermusikalische Projekte ziehen sie magisch an. Und wenn die Musik gerade erst entstanden ist: umso besser. Sie lebt in Amsterdam, sieht sich als Kammermusikerin und hat extrem viel Spaß daran, an Klanginstallationen mitzuwirken. Elisabeth Smalt verleiht der Bratsche gern die menschliche Stimme, die ihr nachgesagt wird. Eines der größten Projekte ihres Lebens war sicher die Aufführung von Vorsicht, Katharina, ein 50-minütiges Solo-Werk, das Jan van de Putte für die Cellistin Katharina Gross schrieb und in dem sie spielt, singt und musiziert.

Gleich zwölf Pulte benötigen die Musikerinnen, um die drei Stücke von Shim und Stäbler aufzuführen. Denn Positionswechsel gehören zu den Markenzeichen der Komponisten. Was sich hier andeutet, wird im Festival zu oft auftauchen. Es geht leise zu, immerzu leise. Bögen, die die Instrumente an ungewöhnlichen Stellen berühren, Dämpfungen und verzögerte Klangflächen. Statt Noten oder Akkorde zu greifen, liegen die Hände auf den Saiten, damit der Bogen kaum noch hörbar und in scheinbarer Unendlichkeit über den Resonanzräumen streicht oder noch lieber verweilt. Zupfen ist erlaubt, gern verlangsamt. Sind das also die „neuen Klangwelten“? Darüber wird noch zu reden sein. Vorerst erklingt Shims Luft. Inneres für Streichquartett aus dem Jahr 2019, Stäblers Erzählen für Streichquartett aus dem gleichen Jahr und die Uraufführung des 2022 entstandenen Stücks So seidig, so subtil für Streichquartett von Shim. Das virtuose Spiel, der wunderbare Klang im Raum und sicher auch die Anwesenheit der Komponisten sorgen dafür, dass das überaus zahlreich erschienene Publikum nicht nur schier atemlos dem Spiel folgt, sondern abschließend auch uneingeschränkt jubelt.

Michael S. Zerban