O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Opening 23

Ohne Anfang und Ende

KUGO
(Eva-Maria Houben, Sanae Kagaya)

Besuch am
3. Februar 2023
(Uraufführung)

 

Opening 23, TUFA, Großer Saal

Wer es ernst meint mit einem Festival für aktuelle Klangkunst, der muss mit mindestens einer Vielzahl von Uraufführungen aufwarten. Denn genaugenommen ist alles, was nicht zum ersten Mal bei diesem Festival aufgeführt wird, alt. Wobei auch alte Musik bei einem solchen Fest durchaus willkommen ist. Wie sonst sollte man das Neue vergleichen und einordnen? An deutschen Konzert- und Opernhäusern findet man dazu ja nur marginal Gelegenheit – obwohl es einst zu den Grundideen gehörte, warum man diese Institutionen steuerfinanzierte: „Neue Kunst“ zu produzieren, ohne auf große Besucherzahlen angewiesen zu sein. Längst ist der an sich richtige Gedanke unterlaufen und ausgehöhlt. Der Großteil von Uraufführungen findet heute auf Festivals und in der so genannten Freien Szene statt.

Und so kann man die Uraufführung des Werks Kogu von Eva-Maria Houben und Sanae Kagaya im Großen Saal der TUFA beim internationalen Festival für aktuelle Klangkunst Opening 23 erleben. Es ist der letzte Programmpunkt des ersten Festivaltages, und manch einer mag sich fragen, ob es wirklich notwendig ist, nach bereits absolvierten fünf Stunden noch ein umfangreiches Werk anzuhängen. Aber keiner, der auf dem Weg von den Viehmarktthermen zurück zur TUFA mault.

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Auf der Bühne ist ein Flügel aufgebaut. Vor der Sitzbank steht ein Notenpult. Die Fläche vor der Bühne ist leer bis auf einen weißen Kasten, auf dem ein weiteres, asiatisches Saiteninstrument liegt. Gleich werden Houben und Kagaya den Raum betreten. Die beiden, die eine stammt aus Krefeld, die andere aus Tokyo, haben sich erst vor drei Jahren kennengelernt und ein Jahr später einen gemeinsamen Auftritt absolviert. „Diese gemeinsame Arbeit war der Beginn einer neuen Welt, in der Menschen, Zeitalter, Erdteile und verschiedene Kulturen miteinander verbunden werden“, ist im Programmheft zu lesen. Ein hoher Anspruch, den die beiden nun mit Kugo verwirklichen wollen. Kugo ist einerseits ein bespielbares Instrument, andererseits ein Windspiel. Die überraschende Erkenntnis: Wird das Instrument ausschließlich dem Wind ausgesetzt, erklingen Töne voller Trauer und Klage. Während nun Houben am Klavier Stellung bezieht und dort Klänge produziert, nimmt Kagaya am Kugo Platz, ohne dass bei ihrem Spiel wirklich etwas zu hören wäre. Houben macht aus dem Flügel ein Saiteninstrument. Keine wirklich neue Idee. Ein paar Jahre noch, und die Menschen werden sich fragen, was die komischen Tasten am Kopfende des Flügels bedeuten.

Alsbald verlässt Kagaya das Kugo und begibt sich in den Tanz. Damit erfolgt auch die Auflösung, warum ihr Kostüm ihren Körper bis zur Unkenntlichkeit verhüllt. Denn die Klage drückt sie nicht oder nur wenig über die Bewegung, sondern vielmehr über die Mimik aus. Das allerdings ist wirklich faszinierend. Wie es ihr gelingt, das Gesicht zu dem einer alten Frau werden zu lassen, wird man nicht so bald vergessen. Wenn die Tänzerin nicht davor zurückschreckt, sich mit entrücktem Blick bis in die zweite Publikumsreihe vorzuwagen, ruft das kein Wohlbehagen, aber einen nachhaltigen Eindruck vor. Ihre Bewegungen kommen aus dem Nichts und wollen kein Ende. Während Houben unablässig in die Saiten des Flügels greift, setzt Kagaya ihre Wanderung über die Bühne fort. Die Tanzimprovisation könnte unablässig weitergehen, darauf legen die Künstlerinnen Wert. Wenn es der Tänzerin gelingt, Liebe, Hoffnung und Vertrauen zu gewinnen „in einer Welt, die erfüllt ist von Kriegen, Hunger, Angst, Mangel und Misstrauen“, dann ist der Sinn des Abends erfüllt. Schließlich endet die Reise der Tänzerin am Flügel, wo sie sich mit der Pianistin trifft und zu einer Einheit verschmilzt.

Das Publikum ist begeistert, aber auch nicht traurig, dass der Abend nun ein Ende findet. Eine weitere Tanzveranstaltung steht an, am nächsten Tag, wenn es ein wenig Erholung gab und neue Kraft, sich auf die Herausforderungen der aktuellen Klangkunst einzulassen.

Michael S. Zerban