O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Opening 23

Schwere Kost auf der Piazza

CELAN-GESÄNGE
(Gerhard Stäbler)

Besuch am
4. Februar 2023
(Uraufführung)

 

Opening 23, Bischöfliches Angela-Merici-Gymnasium, Trier

Kunst, Musik, die gesamte Kultur ist zur Unterhaltung ohne Inhalt – alias: Ablenkung – degradiert. Alles ist clean, gläsern, stromlinienförmig“, befundet Komponist Gerhard Stäbler reichlich pessimistisch die gegenwärtige Situation. Reflexhaft möchte man widersprechen. Da gibt es doch noch … da war doch noch … wann war das gleich? Ach richtig, am gestrigen Abend, da hat der Waßmann gezeigt, dass noch was anderes geht. Also bitte.

Ist schon klar, dass es Stäbler ums große Ganze geht. Und trotzdem ist der Komponist nicht im Recht, wenn er eine Entwicklung sieht. Die Unterhaltung stand immer im Vordergrund. Monteverdi, Händel, selbst der Märchenerzähler Wagner setzten auf Amüsement. Über die Tiefe der Inhalte kann man sich dabei bis heute streiten. Offen bleibt dabei die Frage, ob kulturelle Kost überhaupt schwer und komplex sein muss, wenn sie beispielsweise die Menschen auf einer anderen Ebene erreicht. In einem hat Stäbler unbedingt Recht, wenn er einen Trend erkennen will. Publikum und Kulturarbeiter driften in nicht gekannter Weise auseinander. Das Publikum reibt sich verwundert die Augen – und die Ohren – wenn so genannte Künstler den Ideologen hinterherlaufen, die versuchen, dem Volk eine neue Sprache zu verordnen. Schon einmal haben sich Theaterensembles als wunderbare Mitläufer erwiesen, aber gegen das, was heute passiert, sind Gründgens und Furtwängler ja geradezu Helden des Widerstands. Ein halbherziger, letzter Widerspruch: „Clean“ ist da nichts, stromlinienförmig alles.

Welch schwere Gedanken. Dabei beginnt der zweite Tag des internationalen Festivals für aktuelle Klangkunst, dem Opening 23, doch wirklich entspannt. Das trübe Wetter klart auf, ja, es gibt sogar vereinzelte Sonnenstrahlen, die Temperaturen steigen so weit, dass man sich in seine Kleidung vermummt sogar auf einer Außenterrasse niederlassen kann. Zum Beispiel vor dem Café Glücklich, das schräg gegenüber der letzten, noch nicht besuchten Spielstätte liegt. Die Speisenkarte ist zu modern für jemanden, der gern ein Schinkenbrötchen oder ein Stück Kuchen am Nachmittag isst. Aber es findet sich ein „New York Cheesecake“, der im Weckglas für satte fünf Euro serviert wird und geschmacklich nicht einmal zwei wert ist, aber sättigt. Danach kann es losgehen.

Das Bischöfliche Angela-Merici-Gymnasium in der Neustraße verfügt über einen Mittelbau, in dem sich eine eindrucksvolle, überdachte Piazza befindet. Ein Architektur-Historiker schlüge vermutlich die Hände über dem Kopf zusammen, aber das Ambiente stimmt. In der Halle sind unglaublich viele Stühle in U-Form um einen Flügel aufgestellt, neben dem ein Toy Piano aufgebaut ist. Die erfreuliche Nachricht ist, dass es kaum Stühle gibt, die freibleiben. Man grüßt sich freundlich, weil man die meisten Gäste vom gestrigen Tag kennt. Schön, wenn ein solches Gemeinschaftsgefühl bereits bei der ersten Vorstellung des zweiten Tages entsteht.

Gerhard Stäbler – Foto © O-Ton

Ob Paul Celan heute noch überhaupt einen Leser hätte, wenn er nicht die Todesfuge verfasst hätte? Kaum zu glauben. Sie wurde und ist bis heute sein bekanntestes Werk. Im November 1920 in Czernowitz als Paul Antschel geboren, nannte er sich später Celan. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts. Nachdem er eher konservativ in der Sprache begonnen hatte, ist die Spätphase geprägt von einer „atemlosen Stille des Verstummens im kryptisch gewordenen Wort“. Stäbler greift fünf seiner Gedichte auf, um sie zu einer Art musiktheatralischer Aufführung zu verarbeiten. Das Publikum in Trier darf das Werk als Uraufführung erleben.

Das ansonsten so informative Programmheft bleibt unglücklicherweise auch hier – wie schon am Vorabend beim Auftritt des Jugendensembles Neue Musik Rheinland-Pfalz/Saar – die Texte schuldig. Auch hier, schon fast überflüssig, das zu erwähnen, greift Pianistin Mabei Yu-ting Huang wieder in die Saiten des Flügels, Einat Aronstein, die im kommenden Jahr die künstlerische Leitung des Festivals erweitern soll, singt, wie der Komponist es wünscht und damit textunverständlich, und Gerhard Stäbler selbst trägt gesprochene Texte vor. Das Toy Piano mit seinem Schlusseinsatz erfüllt eher eine Alibi-Funktion. Bei allem Stolz, zehn Konzerte in drei Tagen unterzubringen: Das ist zu kurz gesprungen. Wer Celan-Gesänge komponiert, sollte sich eine Einführung ausbedingen und ein Gespräch im Anschluss verlangen. Sonst ist der Hörer überfordert und das Stück außer eindrucksvollen Klängen für die Katz.

Ein wohlwollendes Publikum ignoriert das, applaudiert artig und langanhaltend. Hier wäre, um den Kreis zu schließen, auch ein fordernderes Publikum eine Hilfe für den Komponisten und die Festivalleitung. Aber mehr Zeit bleibt auch nicht, denn es geht weiter in die TUFA. Schließlich gilt es, weitere Programmpunkte zu absolvieren. Und aus Sicht des Publikums – und wohl auch der künstlerischen Leitung – steht ein weiterer Höhepunkt bevor.

Michael S. Zerban