Kulturmagazin mit Charakter
Schubertiade Schwarzenberg 2024
LIEDERABEND ERIKA BAIKOFF
(Diverse Komponisten)
Besuch am
21. Juni 2024
(Einmalige Aufführung)
Man sagt ja, dass in Schwarzenberg die Natur mitspielt, und das spürt man recht deutlich an diesem Freitag. Nicht nur, dass der Regen immer dann einsetzt, wenn man gerade vom Parkplatz im Foyer ist und umgekehrt. Nein, viel besser: Auf der Bühne stimmen Erika Baikoff und ihr Begleiter Joseph Middleton Die junge Nonne von Franz Schubert an, und man glaubt es kaum: ein heftiger Regenschauer geht über das Plateau herab – passend zum Text „rollet der Donner, es leuchtet der Blitz!“.
Aber nicht nur äußerlich handelt es sich um einen besonderen Liederabend im gut besetzten Angelika-Kauffmann-Saal. Baikoff ist die zweite Einspringerin. War erst Katharina Konradi vorgesehen, wurde sie zunächst durch Sophie Rennert ersetzt. Die wiederum musste wegen einer Kehlkopfentzündung absagen, so dass Baikoff ins Spiel kam und innerhalb von einem Tag einsprang. Ein Gewinn, ohne die beiden anderen Sängerinnen schmälern zu wollen.
Baikoff ist Absolventin des Lindemann Young Artist Development Program der Metropolitan Opera, hat Liederfahrung durch die Auftritte bei der Schubertíada in Spanien und dem Ciclo de Lied und war letztes Jahr zum ersten Mal in Hohenems bei der Schubertiade zu hören. Ab der Spielzeit 2024/25 wird sie Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper in München sein. Man darf gespannt sein, was diese reiche Stimme auch in der Oper zu bieten hat.
Robert Schumann, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Hugo Wolf rahmen Lieder von Franz Schubert ein, Baikoff zeigt, was sie kann.
Und das ist nicht wenig, fordern doch die verschiedenen Komponisten eine unterschiedliche Herangehensweise der Vortragenden.
Baikoff hat eine reiche Stimme, füllig und weich. Sie singt sich mit Sehnsucht und Lotosblume frei und zeigt in Aufträge am Ende opernhafte Ansätze, die keineswegs stören, sondern der Gestaltung dienen. Über einer eher dunkel eingefärbten Mittellage blüht die Stimme im oberen Bereich nochmals auf, ohne das gute Fundament, die Weichheit zu verlieren. Das Requiem packt einen von der ersten Zeile an und schließt wundervoll im dreifachen Pianissimo.
Foto © Schubertiade Schwarzenberg
Mit Schuberts Zwerg zeigt sich Baikoffs unbedingter Ausdruckswille. Sehr intensiv imaginiert sie Landschaft und Situation, gibt sie ohne jede Übertreibung die Dialoge wieder. Sie ist der Zwerg, sie ist die Königin. Bei der Tiefe zeigt sie besondere Farben, dunkel und samtig. Auch Middleton setzt in dem schwierigen repetitiven Klavierpart starke Akzente. Des Fischers Liebesglück schmeichelt bei sehr zärtlicher Beschreibung wohl jugendlichen Liebesglückes mit leisesten, honigsatten Tönen den Ohren der Hörer.
Mendelssohns Die Liebende schreibt, Auf Flügeln des Gesanges, Schilflied und das neckisch vorgetragene Neue Liebe verlangen von der Sängerin wiederum große Bögen und unterschiedliche Farben.
In Wolfs Liedern der Mignon aus Wilhelm Meisters Lehrjahre von Johann Wolfgang von Goethe trifft sie den besonderen Ton für den manchmal etwas spröden Komponisten. Bei Kennst du das Land finden Sängerin und Pianist zu einem dramatischen Ausdruck.
In Schuberts Suleika I nach Goethes West-östlichem Diwan drückt die junge Sängerin überzeugend die ungeduldige Sehnsucht der Geliebten aus. Hier hätte sie noch mehr auf längere Bögen achten sollen. Leider folgt Middleton nicht immer genau der Solistin, so dass manchmal beide etwas auseinander liegen. Auch Im Frühling hätte in der Einleitung der Pianist der Sängerin einen bunteren Blumenteppich ausbreiten können. Baikoff schafft im Schwesterngruß vom ersten Ton an eine ungeheure Spannung, der ihr Klavierbegleiter zunächst nicht folgen kann. Die junge Nonne zeigt zum Schluss noch neue Farben der Sopranistin, fahl und hohl klingt „Und finster die Brust, wie das Grab“. Und wie sie am Ende das „Alleluja“ hinflötet – wie man heute so schön sagt: Gänsehautmoment!
Middleton begleitet sie aufmerksam, ist aber im Vergleich zu Daniel Heide mit Bodenhaftung versehen. Während letzterer am Ende der Lieder das Pedal mit der größten Sorgfalt unhörbar loslässt, ist Middleton anscheinend schon in Gedanken beim nächsten Lied. Auch das „Glöcklein vom Turm“ in der jungen Nonne entbehrt jeglicher Verlockung, was die Sopranistin durch ihr Timbre zum Glück schnell ausgleicht auf dem Weg „zu ewigen Höhn“.
Man möchte sie wieder hören, diese Sängerin – vielleicht mit einem noch sensibleren Begleiter – und so ist der Applaus vom Publikum der Schubertiade auch begeistert und fordert mit rhythmischem Klatschen und Trampeln vehement eine Zugabe: Schuberts Frühlingsglaube lässt die Lüfte nochmals durch den Saal wehen, bevor Sängerin und Pianist ein sehr zufriedenes Publikum zurücklassen.
Jutta Schwegler