Kulturmagazin mit Charakter
Schubertiade Schwarzenberg 2024
LIEDERABEND CHRISTIANE KARG
(Diverse Komponisten)
Besuch am
19. Juni 2024
(Einmalige Aufführung)
Die Schubertiade im Juni in Schwarzenberg kommt mit Christiane Karg und Gerold Huber in der Mitte ihrer Konzerte an. Noch drei Liederabende stehen mit diesem Abend an. Eigentlich sollte für die erkrankte Katharina Konradi Sophie Rennert einspringen. Wegen einer Kehlkopfentzündung musste aber auch sie absagen, und so wird die Sopranistin Erika Baikoff den Liederabend absolut kurzfristig gemeinsam mit Joseph Middleton gestalten. Sie ist ab der kommenden Spielzeit Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper und mit etlichen Preisen dekoriert. Solche Umbesetzungen sind sicherlich viel Arbeit für das Organisationsteam, das hier alles den Konzertbesuchern so akribisch und freundlich vorbereitet. Den Abschluss gestalten Matthias Goerne und Leif Ove Andsnes am Samstag. Fünf Kammerkonzerte sind bis Sonntag noch geplant. Nach wie vor sind die Konzerte sehr gut besucht, meist nahezu ausverkauft. Bei Karg und Huber am Mittwoch bleiben hinten einige Reihen leer, was die gespannte Erwartung nicht mindert.
Aber eben zu Karg und Huber: „Geliebt und gelebt“ möchte die sympathische Sopranistin als Thema über ihren Liederabend stellen. Nach Des Mädchens Klage wendet sie sich, klein und mädchenhaft, verletzlich wirkend an das Publikum, und entschuldigt sich erst einmal, dass das Programm, das im letzten Jahr schon angekündigt worden war, sich geändert habe. „Geliebt und gelebt“ solle sich nun als Faden durch den Abend ziehen, was sie sehr engagiert auf Deutsch und in fließendem Englisch erklärt. Vorwiegend Frauenfiguren gibt sie ihre Stimme, zunächst in der Löwenbraut, dann in Frauenliebe und Leben von Robert Schumann nach Gedichten von Adelbert von Chamisso. Geknechtete Frauen sind es, Frauen, denen Unrecht geschieht, aber auch emanzipierte Frauen, die sich ihren Weg oder Partner selbst suchen, wie in Frauenliebe und Leben. Einige der Lieder werden eher selten in den großen Konzertsälen aufgeführt. Fünf Lieder nach Gedichten der Königin Maria Stuart sind dabei, dazu Franz Schuberts Gretchen am Spinnrade, Gretchen am Zwinger nach Johann Wolfgang von Goethe, Minona nach Friedrich Anton Franz Bertrand und Thekla (Eine Geisterstimme) nach Friedrich Schiller.
Und so wie sich dieser rote Faden durch das Programm zieht, so entfaltet sich Kargs heller, doch warmer Sopran wie ein silbernes Fädchen, an dem entlang sich die Töne spinnen. War sie in den früheren Jahren manchmal in der Höhe noch etwas scharf gewesen, so hat sich das nach der Geburt ihres zweiten Kindes schon längst gegeben. Sanft und rund ist die Stimme, die sie mit lebhafter Mimik erstrahlen lässt, sehr kopfig und obertonreich. Bewundernswert ist ihr Piano, von dem sich so manch eine Kollegin, die vielleicht eine größere Stimme hat, etwas abschauen könnte. Mit großer Ruhe geht sie ihre Lieder an, sehr innig und wohlüberlegt. Es ist eine glaubhafte Vorstellung von der Welt, die sie vorträgt. Man nimmt ihr ab, dass sie das gut nachempfinden kann, ganz besonders bei dem Frauenliebe-Zyklus von Schumann, als sie das junge, fragile Mädchen mit ihrem strahlenden, jugendlichen Timbre verkörpert. Sie beginnt ihn sehr zurückgenommen, spricht bei Helft mir, ihr Schwestern die Damen im Publikum an, zeigt und zaubert mit ihren feinen Tönen das „Bildnis“ des geliebten Mannes in den Saal. Erschütternd ist die interpretatorische Umsetzung des „Todesschlafes“ des Geliebten.
Ihr wohnt ein starker Gestaltungswille inne, den sie gemeinsam mit ihrem genialen Begleiter Huber auch fortwährend umsetzt. Das ist gerade bei den langen Strophenliedern auch gut, zu leicht würden die sonst langweilig geraten. Hier geben sich beide Musiker hinein in die Tiefe der Gestaltung, sehr mutig, zum Teil im Piano bis ins fast Unhörbare zurückgenommen. Bei den Liedern der Maria Stuart schafft sie es, sich mit großen Bögen und wohlüberlegtem Ausdruck über die etwas spröde Komposition der Klavierbegleitung zu erheben. Gretchen am Spinnrade kulminiert in einem süßen, innigen und silbrigen Kuss, ein Moment des Innehaltens, der die Finger des Begleiters sich kurz erholen lässt. Gretchen im Zwinger beenden sie mit dem „Das Herz zerbricht in mir“ abrupt im Forte, der Schmerz bleibt stehen. Dramatisch geben sich Minona mit Mord- und Selbstmord und Thekla, aus Schillers Wallenstein wie zu Beginn Des Mädchens Klage, sehr schwebend und obertonreich, das liegt der Sängerin absolut.
Huber folgt ihr in jeder Sekunde des Abends, singt innerlich mit, legt ihr einen Teppich von Tönen zu Füßen, imaginiert mit Vor- und Nachspielen ganze Landschaften, ahmt Löwensprünge nach und, was nun wirklich nicht immer selbstverständlich ist, nimmt sich absolut zurück, wenn Karg singt. Er ist ebenso ein Meister des Pianissimo wie sie.
Starker, begeisterter Applaus des Publikums fordert eine Zugabe, die selbstverständlich programmatisch ist: Ellens dritter Gesang, das Ave Maria von Schubert, das schließt den Kreis und spannt den Bogen zurück zu Schottland, basiert es doch auf Walter Scotts Gedicht The Lady oft he Lake. Und am Ende kann man sich fragen, ob das Silberfädchen nicht doch aus Weißgold ist.
Jutta Schwegler