O-Ton

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Düsseldorf-Festival 2022

Fantasie ist kein Fremdwort

ZÉPHYR
(Mourad Merzouki)

Besuch am
23. September 2022
(Premiere)

 

Düsseldorf-Festival, Theaterzelt, Düsseldorf

Das Düsseldorf-Festival neigt sich allmählich dem Ende entgegen. Nach eigenen Angaben werden knapp 15.000 Zuschauer die Veranstaltungen besucht haben. Das dürfte einer Auslastung von etwa 75 Prozent entsprechen – und damit deutlich über den Besucherzahlen anderer Veranstaltungen liegen. Ein erfreuliches Ergebnis, das die Sponsoren, von denen in den drei Wochen viel die Rede war, animieren kann, sich auch in Zukunft zu engagieren. Was aber viel wichtiger ist: Die Stimmung vor Ort war durchweg gut, und Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen ist auch in diesem Jahr wieder gelungen, die Menschen mit ihrem Programm zu begeistern. Nicht nur war Vielfalt Trumpf, sondern die Aufführungen lieferten durchgängig hohe Qualität. In den vergangenen 32 Jahren ist es den künstlerischen Leitern gelungen, ein unterhaltsames Programm auf hohem Niveau zu bieten. Der heutige Abend ist ein schönes Beispiel dafür.

Was braucht ein Choreograf? Ein Bühnenbild, Licht, Tänzer in Kostümen und Musik. Ein bisschen Nebel ist ebenfalls hilfreich, schon, damit das Licht gut wirkt. Und dann braucht es natürlich ein Thema. Da kommt die Fantasie ins Spiel. Besonders viel davon hat Mourad Merzouki. In Algerien geboren, wuchs er in Lyon auf, besuchte dort eine Zirkusschule, feierte Erfolge als HipHopper, ehe er als Choreograf nicht nur in Frankreich eine Berühmtheit wurde. Mit Zéphyr zeigt er jetzt im Theaterzelt des Düsseldorf-Festivals am Schlossturm, wie man die Zutaten so mischt, dass man das Publikum regelrecht verzaubern kann. Zéphyr ist der griechische Gott der Westwinde – und damit führt der Titel ein wenig in die Irre. Denn die Westwinde sind die Frühlingswinde, also die milden, sanften Winde, die die Saaten reifen lassen. Ganz so entspannt geht es auf der Bühne nicht zu.

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Dabei fängt alles harmlos an. Zwei Tänzer nehmen vor einem winzigen Ventilator Platz, der an der Rampe steht. Umgeben sind sie von drei Wänden, in denen sieben Löcher eingelassen sind, als Bullaugen könnte man sie möglicherweise sehen. Daraus krabbeln acht weitere Tänzer, ehe die Löcher mit Ventilatoren verschlossen werden. Aber da ist das Wogen und Tosen schon im vollen Gange. Benjamin Lebreton hat sich das originelle Bühnenbild einfallen lassen, in dem weite Räume wie intime Situationen darstellbar sind. Émilie Carpentier steckt die Akteure der Compagnie Käfig in Jeans und offene Hemden, unter denen sie T-Shirts tragen. So können sie bei voller Bewegungsfreiheit die verschiedensten Situationen durchleben. Ob es die Gruppe ist, die vom Wind hin- und hergeworfen ist, der Solist, der sich allein im Sturm bewegt, während die Gruppe an den Seitenwänden auf Rettung hofft oder Flüchtlinge sind, die auf dem offenen Meer zurechtkommen müssen. Dafür nutzen sie Elemente des zeitgenössischen Tanzes ebenso wie HipHop-Einlagen, während der Wind den Nebel auf der Bühne vor sich hertreibt. Das hat man so noch nicht gesehen, und es ist zutiefst eindrucksvoll. Dass man überhaupt alles immer sehen kann, hat Yoann Tivoli zu verantworten. Der Lichtdesigner hat keinen Spaß am Versteckspiel und kostet dabei dennoch alle Nuancen der Helligkeit aus.

Armand Amar trägt mit seiner Musik entscheidend dazu bei, die Zuschauer weiter in den Bann der Bühne zu ziehen. Eigens für Zéphyr komponiert, kommt die Musik aus einem Guss von der Festplatte. Hier kann man sich einen Eindruck ihrer Magie verschaffen. Wenn das Segel zu Hisser les Voiles gehisst wird, bläst den Zuschauern ordentlich der Wind ins Gesicht. Das Startsignal für weitere Ideen des Choreografen, das Publikum zu überraschen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es wohl schon keinen Zuschauer mehr im Saal, der in Zukunft bei jedem Ventilator, den er sieht, nicht an diesen Abend denken wird.

Was also braucht ein Choreograf, um einen unvergesslichen Tanzabend zu bereiten? Nichts als überbordende Fantasie, ein Gespür für Poesie und einen Haufen hochenergetischer Helfer, die daran mitarbeiten, seine Visionen umzusetzen. Dann ist nichts leichter, als einen solche Aufführung zu zeigen. Das Publikum lässt seiner Begeisterung freien Lauf. Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen dürfen sich derweil einmal mehr auf die Schulter klopfen, einen guten Freund aus Frankreich nach Düsseldorf eingeladen zu haben.

Michael S. Zerban