O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Der Kaiser von Atlantis

Immer bleibt Theresienstadt

LIEDERABEND
(Kurt Weill, Viktor Ullmann, Ilse Weber)

Besuch am
24. April 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Partika-Saal, Viktor-Ullmann-Festival an der Robert-Schumann-Hochschule, Düsseldorf

Die Landeshauptstadt Düsseldorf ist in diesem Jahr um ein fabelhaftes Festival reicher. Mit dem Viktor-Ullmann-Festival Der Kaiser von Atlantis beweist die Robert-Schumann-Hochschule, dass sie mehr kann, als „Orchestersoldaten“ auszubilden. Eine vorzügliche Vorbereitung sorgt dafür, dass die Veranstaltungen reibungslos ablaufen. Musikalisch bewegt das Festival sich bislang auf einem außerordentlich hohen Niveau. Und auch wenn der Partika-Saal in diesen Tagen nicht gerade von Besuchern gestürmt wird, ist er selbst unter der Woche erfreulich gut besucht. Für eine einmalige Veranstaltung können die Verantwortlichen mehr als zufrieden sein. Das gilt auch für den Liederabend, der heute Abend nach dem Opern-, Klavier- und Kammermusikabend auf dem Programm steht.

Seit 2013 hat Hans Eijsackers an der Robert-Schumann-Hochschule eine Professur für Liedgestaltung inne und ist damit der richtige Mann, durch den Abend zu führen. Sollte man meinen. Mit niederländischem Pragmatismus beschränkt er sich auf eine kurze, abgelesene Rede mit Hinweis auf das hervorragende Programmheft und darauf, dass man an diesem Abend ausreichend Text zu hören bekomme. Tja, dann ist wohl alles gesagt. Das Programmheft besagt, dass an diesem Abend drei Komponisten auf dem Zettel stehen. Die Besucher werden mithin Lieder von Kurt Weill, Viktor Ullmann und Ilse Weber hören. Weill fällt insoweit aus dem Rahmen, als ihm die Erfahrung des Konzentrationslagers erspart blieb. Als Zeitgenosse Ullmanns passt er trotzdem in das Programm und sorgt so für den unterhaltsamen Teil des Abends. Die Zuhälterballade stammt aus der Dreigroschenoper, die 1928 entstand. Luzia Ostermann und Johannes Jost sorgen für einen großartigen Auftakt, indem sie ihren Vortrag kurzerhand auf die Bühne verlegen. Emilija Šukyté begleitet das Lied am Klavier. Herzerfrischend derb spielen die beiden Macheath und die Spelunken-Jenny, die von ihrem gemeinsamen Haushalt im Bordell berichten. Anschließend trägt Ostermann – ganz ordentlich vor dem Flügel – die Ballade von Surabaya Johnny vor, die ein Jahr später entstand. Hier gibt es die Originalfassung von Lotte Lenya. Nanna‘s Lied entstand zehn Jahre später. Das stellt Agnes Kommerth vor, die von Giuseppe D’Elia begleitet wird, einem Absolventen von Lisa Eisner-Smirnova, der bereits beim Kammermusikabend positiv in Erscheinung getreten ist. Er übernimmt auch die Begleitung von Pauline Asmuth, die den Text Der Abschiedsbrief von Erich Kästner in der Vertonung von Weill ausgewählt hat.

Luzia Ostermann und Johannes Jost – Foto © O-Ton

Farbenfroh im pinkfarbenen Abendkleid interpretiert Kim Holtappels Der Mensch und sein Tag – 12 Lieder für Singstimme und Klavier aus dem Jahr 1943 nach einem Text von Hans Günther Adler. Begleitet wird sie von Gustas Raudonius, auch ein Absolvent von Eisner-Smirnova. Es ist die erste Begegnung mit einem Liedzyklus von Viktor Ullmann, der mit seiner Ernsthaftigkeit in deutlichen Kontrast zu Weill tritt. Mit Weill geht es dann auch gleich bei Kommerth und D’Elia weiter, die den französischen Text Je ne t’aime pas – Ich liebe dich nicht – von Maurice Magre darbieten. Französisch bleibt es auch bei Asmuth, die den wunderbaren Song Youkali in der Originalfassung von Roger Fernay vorträgt. Die Oper Marie Galante, die Weill 1934 im Pariser Exil komponierte, floppte, zwei Stücke daraus allerdings wurden Schlager, und Youkali ist bis heute ein Chanson, mit dem Mezzosopranisten die Herzen des Publikums dahinschmelzen lassen. Berückender als der französische Text ist nur noch die deutsche Fassung von Leo Kowald aus dem Jahr 2012. Heute also bleibt es beim Französischen. Wer will, kann den deutschen Text ja im eigens für diesen Abend zusätzlich erstellten Programmheft mitlesen – auch wenn das natürlich nicht dasselbe ist, als die sehnsüchtige Träumerei von der Insel des Friedens, Ehrlichkeit und erwiderter Liebe auf Deutsch gesungen zu hören. Sei’s drum.

Das Kunstlied Wendla im Garten nach einem Text von Frank Wedekind stellt Gastsängerin Elena Sverdolaite in der Begleitung von Raudonius vor, ehe Johanna Killewald mit Lisa Golovnenko am Klavier die zweisätzige Kantate Immer inmitten nach Gedichten Adlers intoniert. Hasmik Schreider setzt mit zwei Songs in der Begleitung von Nihan Ulutan den letzten Höhepunkt dieses Abends in Sachen Kurt Weill, wenn sie gefühlvoll und keck Berlin im Licht von 1928 und Wie lange noch? aus dem Jahr 1944 interpretiert.

Hans Eijsackers moderiert – Foto © O-Ton

Emilija Šukyté nimmt erneut am Flügel Platz, um den Bariton Johannes Jost zu unterstützen, der Drei chinesische Lieder aus dem Jahr 1943 vorstellt. Die hat Ullmann auf Nachdichtungen chinesischer Kriegslyrik von Klabund komponiert. Berjoskele, eines der Drei jiddischen Lieder von Viktor Ullmann aus seinem Todesjahr, kennen die Besucher bereits in der Instrumentalfassung aus dem Kammermusikabend. Jetzt trägt Janina Beutler in Begleitung von Golovnenko den Text vor. Und mit Abendphantasie nach einem Text von Friedrich Hölderlin schafft Shinyoung Lee einen bewegenden Schlusspunkt der Einzeldarbietungen.

Das Finale bleibt Ilse Weber, der Komponistin von Wiegala, vorbehalten, die ihr Schicksal mit Ullmann teilte. Alle Bühnenakteure stellen sich in einer Reihe auf, um a cappella Ich wandre durch Theresienstadt in einem eindrucksvollen Arrangement von Y. Markowicz zu singen. “Ich wende mich betrübt und matt, so schwer wird mir dabei: Theresienstadt, Theresienstadt, wann wohl das Leid ein Ende hat, wann sind wir wieder frei?“

Heute wissen wir, dass die Freiheit keine irdische mehr war. Und so bleibt auch beim Publikum, das sich für einen abwechslungsreichen, eindrucksvollen, unterhaltsamen Abend bedankt, am Ende die Kehle ein wenig enger geschnürt.

Und damit rückt das Ende eines Festivals näher, das neben dem Angedenken immer auch Luft für eine bessere Zeit lässt. Das Gedenkkonzert zum Abschluss am 25. April wird noch einmal ganz groß zelebriert. Es wird noch einmal das Streichquartett Nr. 3 zu erleben sein, der Kammerchor des Instituts für Kirchenmusik wird mit dem Chor der jüdischen Gemeinde Düsseldorf hebräische Lieder zu Gehör bringen. Moritz Führmann wird in Begleitung des Sinfonieorchesters der Robert-Schumann-Hochschule unter Leitung von Thomas Gabrisch Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke vortragen, ehe der Abend mit dem Kaddisch von Maurice Ravel schließt. Ein eindrucksvolles Programm, dessen Besuch sich unbedingt lohnt.

Michael S. Zerban