O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Der Kaiser von Atlantis

Mit brennender Fahne

GEDENKKONZERT
(Viktor Ullmann, Maurice Ravel)

Besuch am
25. April 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Partika-Saal, Viktor-Ullmann-Festival an der Robert-Schumann-Hochschule, Düsseldorf

Um in eine christliche Kirche zu kommen, öffnet man die Tür und tritt ein, egal, welchem Glauben man angehört. Wer Einlass in eine Moschee wünscht, wird freundlich gebeten, die Schuhe auszuziehen. Wer als Nichtangehöriger des jüdischen Glaubens Einlass in eine Synagoge begehrt, muss nicht immer freundliche Einlasskontrollen über sich ergehen lassen. So hat jede Religion in Deutschland ihre eigenen Rituale. Und weil wir in Deutschland leben, darf sie das. Wenn Religionen übergriffig werden, werden sie in der Regel zur Ordnung gerufen.

Ein wichtiges Rechtsgut ist für uns die Verhältnismäßigkeit. Sie hilft uns, die Waage zwischen unserer Freiheit und Sicherheitsmaßnahmen, die uns einschränken, zu halten. Wenn wir nette, ältere Herrschaften des Chors der jüdischen Gemeinde einladen, um mit uns gemeinsam zu singen und zu feiern, dann sind sie herzlich willkommen und brauchen keine Angst um Leib und Leben zu haben. Und sie brauchen schon gar keinen Sicherheitsdienst mitzubringen, der andere Menschen in ihrer Freizügigkeit einschränkt. Das hat die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf offenbar nicht zu Ende gedacht, wenn sie einer solchen Maßnahme zustimmt.

Und so gibt es am letzten Abend des Viktor-Ullmann-Festivals der Musikhochschule plötzlich einen Auflauf vor der Tür. Aber nicht etwa deshalb, weil so viele Menschen in den Partika-Saal wollen. Sondern, weil vor der Tür zwei Männer stehen, die wissen wollen, ob die Gäste auf einer Liste stehen, ehe sie eingelassen werden. Menschen auf Listen zu kontrollieren, passt zwar in die Zeit, um die es heute Abend geht, aber nicht in die Gegenwart. Schließlich muss die Organisation eingreifen und Gäste namentlich begrüßen, weil sie sich vorher nicht haben „registrieren“ lassen, damit sie den Konzertsaal betreten dürfen. Das ist übergriffig und unverhältnismäßig. Gut, dass die Gäste sich davon nicht abhalten lassen und kurzerhand wieder nach Hause gehen.

Moritz Führmann – Foto © O-Ton

Stattdessen ist das Festival glücklicherweise auch an diesem letzten Abend wieder sehr gut besucht. Und so kann die Feier stattfinden, die vorgesehen ist. Gedacht werden soll heute des 80. Todestages Viktor Ullmanns und der „unzähligen anderen Ermordeten“. Los geht es mit einer Wiederholung. Erneut wird Ullmanns 3. Streichquartett wie schon am Kammermusik-Abend von den Jungstudenten Stümke und Moseler aufgeführt. Ein schöner Einstieg, dem die Eröffnungsreden von Thomas Leander, Rektor der Robert-Schumann-Hochschule, und Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der jüdischen Gemeinde Düsseldorf, folgen. Man hätte vieles über Ullmann, Theresienstadt und die Geschichte sagen können; einen Bezug zur aktuellen Situation im Gaza-Streifen zu nehmen und dann herumzudrucksen, ist absolut überflüssig. Aber beide Herren halten sich dankenswert kurz.

Der Shalom-Alejchem-Chor der jüdischen Gemeinde Düsseldorf beginnt anschließend mit dem hebräischen Lied Elijahu hanawi, der Prophet Elijahu, unter der Leitung von Rozaliya Chufistova in der Klavierbegleitung von Maryana Brodska. Aus dem Jahr 1943 stammen die jiddischen Lieder Ullmanns, die nun vom Kammerchor des Instituts für Kirchenmusik unter Leitung von Timo Nuoranne in Dialog gesetzt werden. Dazu beginnen „zwei hebräische Chöre für gemischten Chor“ ebenfalls mit dem Propheten Elijahu. Der Chor der jüdischen Gemeinde intoniert Du solst nich gejn, und so geht es im Wechsel weiter. Es gelingt den beiden Chören, eine ganz wunderbare Atmosphäre herzustellen und das Publikum in ihren Bann zu ziehen, das abschließend herzlich und langanhaltend applaudiert. Ein schönes Projekt, das eine fortbestehende Kooperation auch über den traurigen Anlass hinaus wünschenswert erscheinen lässt.

Schön auch, dass die beiden Männer am Eingang sich zur Pause entspannt haben, so dass es keine weiteren Einschränkungen gibt und man sich ganz auf die folgenden Ereignisse einlassen kann. Bevor Ullmann 1944 nach Auschwitz verbracht wurde, komponierte er als letztes Werk eine Orchestererzählung. Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke ist ursprünglich eine Prosadichtung von Rainer Maria Rilke, die Ullmann leicht kürzte und mit Musik für ein Sinfonieorchester untermalte. Der junge Christoph Rilke zieht Mitte des 17. Jahrhunderts als einfacher Soldat nach Ungarn in den Krieg gegen die Türken. Während seine Kompanie in einem Schloss rastet, erlebt der mittlerweile zum Fahnenträger, also Cornet, avancierte Rilke seine erste Liebesnacht mit der Gräfin. Währenddessen wird das Schloss angegriffen. Um die Fahne zu retten, verlässt der Pflichteifrige das Schloss ohne Waffenrock und Helm. Mit brennender Fahne findet er sich unter Feinden wieder und stirbt.

Thomas Gabrisch – Foto © O-Ton

Als Sprecher konnte die Musikhochschule den Schauspieler Moritz Führmann gewinnen, der mit einem gelassenen Auftritt und einer Lesung glänzt, wie man sie in der Qualität selten zu hören bekommt. Da ist außerordentlich bedauerlich, dass die technische Anlage, mit der Führmann mikrofoniert ist, nicht ganz den Anforderungen standhält, so dass selbst Thomas Gabrisch, der das Sinfonieorchester der Hochschule hochengagiert durch den durchaus anspruchsvollen und vielseitigen Klang leitet, Schwierigkeiten mit der Balance zwischen Stimme und Musik bekommt, so dass die Textverständlichkeit mitunter leidet. Da die Geschichte, die Führmann erzählt, nicht so komplex ist, bleibt es im Gesamteindruck aber eine herausragende Aufführung, in der man das Sinfonieorchester einmal mehr loben muss.

Überaus gelungen kann man den Übergang zum Finale bezeichnen. Statt großer Umbauten erlischt kurz das Licht, und Solenne Païadassi und Paolo Giacometti beziehen am Rand des Orchesters Stellung. Heute Abend ist es Païadassi, die die Geige von Itzchak Orloff zur Verfügung gestellt bekommt. Sie wirkt an der Hochschule als Professorin für Kammermusik und Violine, während Giacometti eine Professur für Klavier wahrnimmt. Das Kaddisch von Maurice Ravel, das bereits am Kammermusik-Abend von dem Studenten Wonjay Seo an der Geige vorgetragen wurde, bildet damit den würdigen und wie bei Wonjay Seo fehlerfreien Abschluss des Festivals.

Die Robert-Schumann-Hochschule hat in der vergangenen Woche gezeigt, dass sie sehr wohl in der Lage ist, ein bedeutsames Festival zu entwickeln und durchzuführen. Das ist in der Stadtgesellschaft wenig bekannt. Da wäre es doch schön, wenn die Verantwortlichen beizeiten über ähnliche Projekte für die Zukunft nachdenken, um den Bürgern ihre Exzellenz – und vor allem die ihrer Studenten – näherzubringen. Die Gäste dieser Woche jedenfalls kommen mit Sicherheit gerne wieder.

Michael S. Zerban