O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Düsseldorf-Festival 2024

Ungeahnte Dimensionen

11.000 SAITEN
(Georg Friedrich Haas)

Besuch am
15. September 2024
(Zweites Konzert)

 

Düsseldorf-Festival, Messe, Halle 7A, Düsseldorf

Gib einem Festival die Unterstützung, die es sich wünscht. Dann kann es sich beweisen. Eine solche Chance bekamen Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen, die künstlerischen Leiter des Düsseldorf-Festivals. Und sie haben sie genutzt. Das heutige Konzert sprengt alle Dimensionen, die das Düsseldorfer Musikleben bislang kannte. Damit dürfte sich das Festival nicht nur ein Denkmal setzen, sondern auch in die Musikgeschichte der Stadt eingehen.

Und das kam so: Der künstlerische Leiter des Klangforums Wien, einem Ensemble für neue Musik, Peter Paul Kainrath, besuchte auf einer China-Reise den Klavierbauer Hailun. Dort wurde er in einen Raum geführt, in dem etwa 100 Klaviere maschinell bespielt wurden. Kein Klavier, so erfuhr er, verlasse die Fabrik, ehe es nicht die 48 Stunden dauernde Prüfung bestanden hat. Kainrath war begeistert. Er rief den Komponisten Georg Friedrich Haas an, ob der nicht ein Werk für 50 Klaviere komponieren wolle. Nach kurzer Bedenkzeit willigte Haas ein, sofern Kainrath in der Lage sei, die Klaviere zu besorgen. Gesagt, getan. Hailun stellte die Klaviere, und so konnte das Werk 11.000 Saiten für 50 im Raum verteilte Klaviere im Hundertsteltonabstand und Kammerorchester am 1. August vergangenen Jahres in Bozen uraufgeführt werden. Weitere Aufführungen folgten in Wien, Prag und Amsterdam.

Jetzt ist es Oxenfort, Dahmen und ihrem Team gelungen, die deutsche Erstaufführung nach Düsseldorf zu holen. Mithilfe dreier finanzkräftiger Förderer und der Messe Düsseldorf, die als Gastgeber eine Messehalle zur Verfügung stellt, kann der immense organisatorische Aufwand gestemmt werden. Zwei Klavierstimmer reisen aus China an, um die Klaviere passgenau in die richtige Tonlage zu bringen. Zwei Tage brauchen sie dafür. Die Maßgabe Haas‘, die baugleichen Klaviere mit Pianisten aus der Region zu besetzen, kann immerhin zu großen Teilen erfüllt werden. Zusätzlich reisen 25 Musiker vom Klangforum Wien an. Die musikalische Leitung obliegt Tim Anderson.

Wer die Messe Düsseldorf und ihre Parkpolitik kennt, genießt jeden Augenblick der Ankunft. Freundliches Personal verlangt keine absurden Parkgebühren, sondern weist einen höflich auf die Parkplätze in unmittelbarer Nähe zur Halle ein. Da möchte man ja schon euphorisch werden. Eine Mitarbeiterin ruft rechtzeitig in die wartende Menge, dass der Kassenstand sich auf der anderen Seite des Einlasses befindet. Zwar wäre es nicht schlimm gewesen, die Türen ein paar Minuten eher zu öffnen, wie kurze Zeit später lange Warteschlangen vor den Toiletten zeigen, aber dank des verspäteten Beginns findet jeder entspannt auf seinen Platz. Bei freier Platzwahl ist eine gewisse Unruhe unvermeidbar, aber schnell zeigt sich, dass die Sitzordnung „demokratisch“ ist, es also keine besseren oder schlechteren Sitzplätze gibt.

Der erste Eindruck ist schon mal kolossal. In der Mitte der Halle ist ein Regie-Zentrum errichtet, auf dem digitale Riesenuhren später die Spielzeit anzeigen. Darum herum sind die rückenfeindlichen Klappstühle für die Besucher angeordnet, die von einem Kreis von Klavieren umgeben sind. Vor den Klavieren und in den Eckpositionen sind die Spielstationen der Kammermusiker und die Schlagwerke aufgebaut.

Wenn ich als Komponist eine solch opulente Einladung bekomme, werde ich natürlich, sofern ich über die geistigen und handwerklichen Fähigkeiten verfüge, alles daran setzen, so viele Effekte wie nur irgend möglich einzubauen. Und Haas nutzt in 66 Minuten seine Möglichkeiten. Ein Sirren und Dröhnen erfüllt die Luft in Wellen, wie man es sonst nur aus der elektronischen Musik kennt. Das ist eindrucksvoll als Effekt, musikalisch gefälliger wird es aber vor allem, wenn Haas Klanginseln einwirft, ehe die Pianisten in einem furiosen Finale ihre Klaviaturen mit Handschuhen bearbeiten.

Nicht jeder erträgt die teils bombastischen Klanglandschaften und verlässt das Konzert vorzeitig. Wer bis zum Schluss durchhält, allein schon, weil die Leistungen der Musiker überaus beeindrucken und damit der Akt der Aufführung als solcher noch einmal eine eigene Qualität gewinnt, ist erschöpft und so fällt der Applaus unverdient müde aus. Noch während des Schlussapplauses beginnen die Besucher, die Halle zu verlassen. Vielleicht hat sich mancher doch anderes erhofft, sich von dem Aufwand mehr versprochen – aber was sollte das gewesen sein? Während die in der Halle Verbleibenden über die Musik „aus dem Universum“ diskutieren, bleibt von diesem Abend in jedem Fall die Erinnerung, bei einem für Düsseldorf einmaligen Ereignis dabei gewesen zu sein.

Michael S. Zerban

Mehr Bilder vom Konzert gibt es hier.