O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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BAM! - Berliner Festival für aktuelles Musiktheater 2019

Die Oper ist tot, es lebe die Oper

DIE OPER # 1- AM KREIS
(Novoflot)

Besuch am
29. September 2019
(Einmalige Aufführung)

 

BAM!, Elisabeth-Kirche

Wenn eines am Berliner Festival für aktuelles Musiktheater auffällt, ist es, dass in diesen Tagen viel geredet wird. Und so ist auch am letzten Festivaltag viel Wort zu hören, aber kaum Gesang zu erleben. Den Anfang macht die 2002 gegründete Opernkompanie Novoflot an einem weiteren Spielort des Festivals. Die Elisabeth-Kirche in Berlin-Mitte gehört zu den vier Vorstadtkirchen, die Karl Friedrich Schinkel in den 1830-er Jahren konzipierte. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde sie zerbombt und blieb in den folgenden Jahrzehnten eine Ruine. Bis 2001 wurde sie wieder aufgebaut und dient vielfältigen Veranstaltungen abseits der institutionalisierten Kultur.

Zwei Stunden nehmen die Künstler um Sven Holm sich Zeit, um die Oper in ihrer bisherigen Form zu verabschieden und nach neuen Ausdrucksformen zu suchen. Der Abend beginnt mit dem Auftritt des Mädchenchors der Singakademie zu Berlin, der sich auf dem kleinen Rasenstück vor der Kirche mit Partituren in der Hand versammelt, um dem Publikum mitzuteilen, dass in der bisherigen Oper alles gesagt sei. Dazu haben die Mädchen eigens eine Choreografie einstudiert, die von den zahlreich erschienenen Besuchern begeistert aufgenommen wird. Der Mut, trotz regnerischen Wetters und vergleichsweise niedriger Temperaturen aufzutreten, wird mit kräftigem Applaus belohnt. Zu den Eigenheiten des Festivals scheint zu gehören, dass man die Besucher gern bis zur letzten Minute vor Beginn einer Veranstaltung vor der Tür warten lässt. Und so lassen die Veranstalter ihre Gäste auch über Gebühr in der kühlen Abendluft vor den geschlossenen Toren der Kirche warten, in der der zweite Teil des Abends stattfinden soll. Letztlich weiß man aber nicht, was das kleinere Übel ist: Sinnlos seine Zeit vor einer Kirchentür zu vertrödeln oder sich auf die vollkommen überfüllte, rücken- und kniefeindliche Tribüne zu quetschen. Zu zuletzt Eintretenden schließlich bleibt nur der Steinfußboden zur Sitzgelegenheit. Aber schließlich gilt es ja hier der Kunst und nicht dem Luxus.

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Mit der Kunst allerdings ist es dann auch so eine Sache. Vor der Tribüne ist eine kreisförmige Lackfolie ausgebreitet – Arena für kommende Ereignisse. Dahinter, im ursprünglichen Altarraum, der durch deinen Gaze-Vorhang abgetrennt ist, gibt es eine Wohnlandschaft. Diese Räume, von Elisa Limberg unter Hilfe von Anne Storandt gestaltet, bemüht sich Regisseur Sven Holm im Folgenden zu bespielen. Die Herausforderung: Es gibt im Grunde nur einen theoretischen Exkurs zur Oper. Ein bisschen wenig für anderthalb Stunden. Auch wenn Raphael Clamer noch sehr versucht, ihn interessant und abwechslungsreich zu gestalten. Also wird etliches Beiwerk gefunden. Unter der musikalischen Leitung von Vicente Larrañaga tritt eine gemischte Combo auf. Von der Posaune über die Gambe bis zum Cembalo sind „alte“ Instrumente vertreten, aber es kommen auch Saxofon, Kontrabass, Gitarre, Schlagwerk und ein Synthesizer zum Einsatz. So können die Tänzerin Ichi Go und der Tänzer Rafal Dziemidok ihre Bewegungskünste beitragen, die schließlich wieder von den jungen Damen des Mädchenchors unterstützt werden. Mit Yuka Yanagihara kommt sogar ein Sopran zum Einsatz. Einige schöne Lichteffekte und Projektionen von Mirko Borscht runden das Gesamtpaket ab.

Rechte Begeisterung will ob des in die Länge gezogenen Vortrags nicht aufkommen, zumal eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den physisch stark beanspruchenden Sitzgelegenheiten kollidieren. Vereinzelt verlassen Besucher auch vorzeitig die Veranstaltung. Bedauerlich für die Künstler, vor allem die Mädchen, die doch allesamt mit Feuereifer ihre Aufgaben erfüllen. Aber ganz so einfach scheint die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Musiktheater dann – aus künstlerischer Sicht – doch nicht zu sein.

Michael S. Zerban