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Das Landesjugendorchester NRW verreist

Exkurs über falsches Spiel

Es ist nicht mehr als ein kleiner Skandal. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens leistet sich ein jugendliches Exzellenz-Orchester, sieht aber von einer ausreichenden finanziellen Ausstattung großzügig ab. Das ist mehr als bedenklich, zeigt es doch das Bild einer Politik, die nicht nur die Prioritäten falsch setzt, sondern symbolisiert auch den Stellenwert der Kultur bei der Regierung.

Michel Rychlinski – Foto © O-Ton

Man kennt das. Wenn man die Besten will, muss man dafür entsprechend zahlen. Es sei denn, man ist die Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Dann kann man die Spielregeln selbst bestimmen und sich mit fremden Federn schmücken. Aber der Reihe nach. Das Land Nordrhein-Westfalen leistet sich eine Reihe von Jugendensembles, die in einem Verein zusammengefasst werden. Es ist legitim, dass das Land die Hürden dafür hochlegt, wer in einem der Ensembles mitwirken darf. Schließlich sollen die jungen Nachwuchstalente als musikalische Botschafter des Landes auftreten. Dazu bildet das Land aber nicht etwa eigene Musiker aus, sondern wählt aus. Nur wer einen Jugend-musiziert-Wettbewerb mindestens auf Landesebene gewinnt oder sich – als Ausnahme – in einem Vorspielen profilieren kann, darf auf Aufnahme hoffen.

Wenn man eine solche Entscheidung als Belohnung ob all der Mühen, die Kinder und ihre Eltern im Vorfeld auf sich genommen haben, verstehen will, darf man allerdings auch erwarten, dass mit der Aufnahme in ein solches Exzellenz-Ensemble eine besondere Förderung verbunden ist. Alles andere wäre dann doch wohl eher Ausbeutung. Über den Grad einer solchen Förderung bestehen erwartungsgemäß verschiedene Auffassungen. Das Land finanziert teilweise den Verein, indem es den Verwaltungs- und Organisationsapparat zur Verfügung stellt. Wenn aber die für die Jugendlichen Verantwortlichen verlangen, dass die Jugendlichen auskömmliche und förderliche Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt bekommen, sieht sich das Land nicht mehr zuständig. Da fehlt dann plötzlich das Geld.

Michel Rychlinski ist seit zwei Jahren Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Landesjugendensembles. Der gebürtige Franzose ist studierter Kirchenmusiker und Organist, hat selbst ein Orchester und Vokalensemble unter dem Namen Les Lumières aufgebaut und weiß sehr wohl, dass man ein Ensemble nicht mit Brosamen abspeisen darf, wenn man Spitzenleistungen erwartet. Als er mit der Orchestermanagerin Rita Menke und ihrem Team die Konzertreise des Landesjugendorchesters organisierte, musste er erfahren, dass sie im Grunde gar nicht finanzierbar war. So musste der Verein allen Ernstes einen Unkostenbeitrag von 45 Euro pro Tag pro Teilnehmer erheben, um die Reise auch nur annähernd guten Gewissens durchführen zu können. Seine Intervention stieß beim Land auf taube Ohren. Es sei kein Geld da, Pech gehabt. So einfach ist das.

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Oder vielleicht doch nicht. Schickte das Land ein bestehendes Erwachsenenorchester wie beispielsweise die Düsseldorfer Symphoniker auf „Botschafterreise“, gäbe es überhaupt keine Diskussion darüber, dass für jeden einzelnen Musiker Reise, Unterbringung, Verpflegung und Honorar zu zahlen wäre. Großspurig hören wir da die Reden von Bildung, Chancengleichheit und Mindestlohn in den täglichen Bulletins. Bei Kindern gilt das offenbar nicht. Rychlinski verrät, dass die Teilnahme einiger Nachwuchsmusiker überhaupt nur möglich wurde, weil der Verein Stipendien aus anderen Fördertöpfen ausschütten konnte. Das ist im Sinne der Solidargemeinschaft aller Ehren wert, führt aber am Problem vorbei. Und entlässt eine Landesregierung aus der Pflicht, die in Kauf nimmt, dass nur die Kinder begüterter Familien an solchen Reisen teilnehmen.

Man muss sein Instrument und die Musik schon sehr lieben, und die Eltern müssen schon vermögend sein, um sich die Reise leisten zu können, die immerhin so die Kosten eines Sommerurlaubs leicht übersteigt. Den Eltern darf man im Übrigen wünschen, dass es das einzige Kind in der Familie ist, das mit Einzelunterricht und einer Mitgliedschaft im Landesjugendorchester NRW solch hohe Jahreskosten verursacht. Günstig wären da Geschwister, die sich dem Spitzensport verschreiben und in Elite-Schulen und -Sportstätten wenigstens ordentlich gefördert werden.

Es ist bekannt, dass die Landesregierung die Versprechungen über die Erhöhung der Kulturbudgets längst zurückgenommen und durch Streichungen vor allem in der so genannten Freien Szene ersetzt hat. Das ist die eine Seite. Wenn aber die gleiche Regierung sich Exzellenz-Ensembles leisten will, um damit in aller Welt – und das im Wortsinn – zu glänzen, dann ist es schlicht und einfach schäbig, die Jugendlichen und ihre Eltern dafür zahlen zu lassen. Von Kinderarbeit will hier natürlich niemand reden. So etwas kommt ja in Deutschland nicht vor. Aber wie nennt man das, wenn Jugendliche musikalische Höchstleistungen erbringen, um ihr Bundesland glänzen zu lassen, und dafür bezahlen müssen? Da wird sich doch sicher noch eine „woke“ Vokabel finden lassen.

Die Konzertreise des Landesjugendorchesters NRW nach Frankreich und Belgien ist letztlich nur dadurch ermöglicht worden, dass keine Kosten für Proben- und Auftrittsräume entstanden. Das geht in Ordnung, weil Gastfreundschaft in Europa immer noch ein hohes Gut ist. Auch das ist etwas, findet Rychlinski, was die jungen Musiker unbedingt lernen sollten. Für ihre Zukunft und damit für die Zukunft Europas.

Übrigens: Im kommenden Jahr wird ein neuer Förderer zumindest für eine teilweise Entlastung sorgen.

Michael S. Zerban

Mehr Eindrücke von der Reise gibt es hier in der Bildergalerie.