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Kulturmagazin mit Charakter

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Das Landesjugendorchester NRW verreist

Exkurs ins Rätselhafte

In einem sind sich die Nachwuchstalente – auch früherer Arbeitsphasen – einig. Die Zeit beim Landesjugendorchester NRW wird als arbeitsintensives, aber schönes Erlebnis unvergesslich bleiben. Umso überraschender, dass sich die allermeisten von ihnen nach dem Schulabschluss gegen ein Musikstudium entscheiden. Ein Phänomen, das auch den Verein beschäftigt. Er hat deshalb eine Umfrage in Auftrag gegeben – die allerdings weniger erhellend daherkommt als erhofft.

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Olaf Dalmeier gehört zu den Ausnahmen im Landesjugendorchester NRW. Nicht nur, dass er sein Abitur mit 16 Jahren machen wird, er bereitet sich parallel auch für eine Bewerbung beim Bundesjugendorchester vor. Gemeinsam hat der Hornist mit vielen seiner Kollegen, dass er sich derzeit mehr oder minder intensiv mit der Möglichkeit eines Musikstudiums und den Karrieremöglichkeiten als Berufsmusiker auseinandersetzt. Tatsache ist allerdings, dass die wenigsten, obwohl sie in der Regel schon ihre Kindheit und Jugend mit dem Erlernen eines Instruments verbracht haben, die Eltern viel Geld in die Ausbildung und möglicherweise auch Hoffnungen in eine entsprechende Karriere investiert haben, nach der Schule einen musikalischen Werdegang anstreben. Viele von ihnen werden in Laienorchestern oder ähnlichen Einrichtungen wie etwa einem Hochschulorchester weiterspielen, aber eben neben einer Ausbildung in einem anderen Beruf. Und das, obwohl auch in dieser Woche, in der das Landesjugendorchester NRW in Frankreich und Belgien unterwegs ist, immer wieder zu hören ist, was für eine wunderbare Erfahrung die Zeit bei dem Exzellenzorchester darstellt, ja, viele sprechen von einem unvergesslichen Erlebnis.

Ein Phänomen, das dem Verein zur Förderung der Landesjugendensembles nicht unbekannt ist. Zwar kann der Verein auf eine Anzahl von erfolgreichen Orchester- oder Ensemblemitgliedern, ja, sogar erfolgreichen Solisten zurückblicken, die in den Landesjugendensembles aktiv waren, aber verglichen zur Gesamtzahl der Absolventen, ist die Zahl eher gering. Der Verein hat deshalb eine Umfrage unter den Alumnis in Auftrag gegeben, um möglicherweise zu erfahren, ob es Verbesserungsmöglichkeiten in der Arbeit des Vereins gibt.

„Besonders die Angst, zu wenig Geld zu verdienen und keine Freizeit mehr zu haben, ist unter uns Musikern sehr verbreitet. Auch der Druck, welcher mit einem solchen Beruf verbunden ist, ist für viele enorm. Das schöne Hobby Musik wird dann schnell zur Pflicht“, wird in den Umfrageergebnissen eine 17-jährige Teilnehmerin der Jugendbläserphilharmonie zitiert. Und die Angst ist durchaus berechtigt. Die Zahl der Orchester in Deutschland nimmt ab, und das wird sich auch in den kommenden Jahren eher beschleunigen als verbessern. Was als Prognose zu Beginn der Ampel-Koalition geäußert wurde, verdichtet sich allmählich zur bitteren Wahrheit. In Nordrhein-Westfalen werden die Gelder für die Kultur dramatisch zusammengestrichen, gerade hat der Fonds für Darstellende Künste auf Bundesebene darauf hingewiesen, dass die Fördergelder auf Bundesebene im kommenden Haushalt auf die Hälfte verkürzt werden sollen. Da kann einem die Lust auf einen Beruf im Kulturbereich schon vergehen.

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Die Umfrage kommt zu einer fraglichen Empfehlung. Die Instrumentalisten sollten sich nicht so sehr auf eine künstlerische Laufbahn festlegen, sondern eher darüber nachdenken, ob sie nicht in Zukunft als Musiklehrer arbeiten wollten. In der Tat ist der Bedarf an Musiklehrern riesig. Ob in allgemeinbildenden Schulen, an Musikschulen oder Musikhochschulen: Allerorten fehlen die Lehrkräfte. Trotzdem ist die Empfehlung mittlerweile mit äußerster Vorsicht zu genießen. Mit der Einführung des Mindestlohns können sich beispielsweise Musikschulen möglicherweise gar keine Lehrer mehr leisten. Gerade werden Äußerungen laut, die ein Massensterben der Musikschulen befürchten. Um an einer allgemeinbildenden Schule Musiklehrer zu werden, braucht man ein zweites Unterrichtsfach. Eine vollkommen überholte Vorschrift, die vielen Lehrwilligen den Zugang verweigert. Und selbst wenn jemand ein zweites Fach studiert, ist keineswegs sicher, dass er an der Schule als Musiklehrer eingesetzt wird oder nicht etwa als „pädagogische Fachkraft“ für andere Fächer eingesetzt wird.

Es gibt sie noch, die gutdotierten Orchesterstellen. Aber sie werden weniger und die Bewerberzahlen steigen. Wer sich also auf diese Laufbahn einlassen will, braucht ein gerüttelt Maß an Risikofreude. Das kann man keinem Jugendlichen ernsthaft empfehlen. Aber gerade, weil es um die Situation der Kultur momentan alles andere als gut bestellt ist, wird die Arbeit des Vereins zur Förderung der Landesjugendensembles immer wichtiger. Hier wird zunehmend mehr Wert auf die Beratung und Vernetzung der hochtalentierten Nachwuchsmusiker gelegt. Je kulturfeindlicher eine Regierung wird, desto notwendiger ist es, mit exzellenten Kulturarbeitern dagegen Front zu machen.

Die jungen Leute, die gerade einen ermutigenden Konzertauftritt in Lille hinter sich gebracht haben, nehmen jedenfalls die individuellen Beratungsangebote gerne in persönlichen Gesprächen wahr. Zu diesem Zeitpunkt, so sagt es die Umfrage, können sich noch mehr als die Hälfte der Orchestermitglieder eine künstlerische Laufbahn vorstellen. Am Verein liegt es also mehr denn je, den jungen Leuten – zunehmend individualisierter – realistische Perspektiven zu vermitteln. Das sieht im Übrigen auch Michel Rychlinski, Geschäftsführer des Vereins, so und hat noch eine Menge Ideen im Rucksack, wie er dem Beratungsbedarf für seine Schützlinge gerecht werden kann. Schön, dass es auch gute Nachrichten gibt.

Michael S. Zerban

Mehr Eindrücke von der Reise gibt es hier in der Bildergalerie.