O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ludwiggalerie Schloss Oberhausen

Kunststücke

Ikonografische Bildgeschichten

Barbara Klemm hat jahrzehntelang erfolgreich als Fotografin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet. Dabei sind Bilder entstanden, die nicht nur das kollektive deutsche Gedächtnis prägen, sondern auch Einblicke in vier Kontinente geben. Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, hat gemeinsam mit der Fotografin eine Ausstellung konzipiert, in der Klemm selbst die Reihung vorgenommen hat.

Barbara Klemm – Foto © O-Ton

Fotografen nehmen die Welt doppelt wahr. Einmal, wie andere Menschen auch, neugierig mit offenem Blick dem Leben ins Antlitz schauend sowie durch die Linse eines Fotoobjektivs den einen Moment im Bild gleichsam einfrierend. In diesem einen Moment bildet die Fotografie Ort, Zeit und Menschen ab. Ein Dokument, angehalten in der Zeit, enthoben aus dem unablässigen Fließen der Zeit, erzählt Geschichte. Geschichten, private und öffentliche, nobilitiert in einer Fotoausstellung.

Für den Betrachter bietet sich die Möglichkeit, zeitgeschichtliche Kontexte zu rekonstruieren und sie mit eigenen Erinnerungen abzugleichen. Und die Erfahrung zu machen: Schwarz-Weiß ist Farbe genug. So titelt die Ausstellung mit einer Auswahl von enigmatischen Fotografien 1967 bis 2019 von Barbara Klemm in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen.

Ihre Fotoarbeiten sind bestimmt von einer individuell differenzierenden, empathischen Annäherung an Orte und Menschen. Viele ihrer Fotografien zählen heute zu den Ikonen der Geschichte der Fotografie. Schwerpunktmäßig deutsche Zeitgeschichte über fünf Jahrzehnte als Bilderzählung vor und nach der deutschen Wiedervereinigung.

Insbesondere den Künstler-Portraits ist eine subtile, empathisch fokussierte Ironie eigen. Klemm benötigt, ihrer eigenen Aussage nach, für die Shootings meistens nur eine Stunde. Sie versucht, die zu Fotografierenden durch motivierendes Sprechen oder durch beobachtendes Zuschauen beim künstlerischen Arbeiten in eine entspannt unverkrampfte Situation zu geleiten.

Ob inszeniert oder situativ vorgefunden, gerieren sich die Fotografien zum subjektiv konnotierten Ausdruck der abgebildeten Personen. Die Räume in der Ludwiggalerie über das Erdgeschoss und zwei Etagen fügen sich mit den Fotografien aus über 50 Jahren zu einem universellen, ausschnitthaft mosaikartigen Zeit-Kosmos.

Leonid Breschnew und Willy Brandt, 1973 – Foto © Barbara Klemm

Barbara Klemm hat über Jahrzehnte, genauer in der Zeit von 1970 bis 2005, als eine von drei festangestellten Fotografen der Frankfurter Allgemeine Zeitung die anspruchsvolle Journaille mit Bildmaterial versorgt. Entstanden sind dabei häufig mehr als nur dokumentarische Tagesfotografien. Ein Déjà-vu mit rund 120 ausgestellten Werken, Zeitungsartikeln und Fotobüchern. Auf einzelnen Fotografien scheinen die abgebildeten Personen den Betrachter melancholisch anzulächeln, andere lassen nachdenklich die Stirn runzeln. Es ist, als würden sie, je länger man durch die Ausstellung geht, Geschichten des eigenen Lebens bebildern.

Intuitiv im richtigen Augenblick den Auslöser zu drücken, führt im Ergebnis zu narrativem, fotografischem Assoziationsmaterial. In sich stimmige Fotografien, die eine selbstverständliche Leichtigkeit zu haben scheinen, sind Ergebnis eines zentrierten Blicks, von Geduld und manchmal auch einem bisschen Glück bestimmt.

Klemms über die Jahre verfeinerte fotografische Aufmerksamkeit ist im Ergebnis weit über die journalistische Perspektive hinausgewachsen. Ihre Fotografien sind im besten Sinne künstlerische Reflexionen von Zeit und Ort. Manchmal spektakulär situativ, manchmal empfindsam lyrisch und leise zugleich.

Am Ende ist es, als wäre man den Fotografien von Barbara Klemm der Wirklichkeit ein Stück nähergekommen. Unterwegs mit dem Wissen, dass es die eine Wirklichkeit nicht gibt, aber mit neugierigem Interesse, sie sehend in ihrer vielfältigen Interpretation zu erfahren, wird diese Ausstellung zu einer großen Erzählung über uns selbst.

Peter E. Rytz