O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Pinakothek der Moderne, München - Foto © bangerprojects

Kunststücke

Lust und Leid

Geboren 1884 in Leipzig, wurde Max Beckmann Maler, Grafiker, Bildhauer, Autor, Hochschullehrer – und Reisender wider Willen. Mit seinem Lebensweg, der 1950 in New York endete, befasst sich eine monografische Sonderausstellung der Pinakothek der Moderne in München. Etwa 70 Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen hat das Museum zu diesem Zweck zusammengetragen.

Stillleben mit Fernrohr

Fotografien und filmische Facetten, die von Max Beckmann in der Ausstellung Departure – was im Deutschen gleichermaßen Abreise wie Aufbruch heißen kann – in der Pinakothek der Moderne in München noch bis zum 12. März zu sehen sind, zeigen auf den ersten Blick wenig von den Mühen eines Exils. „Denn auch im Exil kann man schlemmen. Ich kenne viele Verbannte, denen es daheim nie so fett in den Töpfen gestanden hat wie in der baren Fremde“, schreibt Albert Vigoleis Thelen 1953 in Die Insel des zweiten Gesichts, Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis.

Transit, Unterwegssein heißt im Grunde nichts weniger, als ein Ziel niemals endgültig erreichen zu können. In beinahe dramatischer Überhöhung antiker Mythen, die sich durch sein Œuvre ziehen, stirbt Beckmann am 27. Dezember 1950 an einem Herzinfarkt mitten im Central Park auf dem Weg von seinem New Yorker Atelier zu einer Galerieausstellung.

Zwischen Aufbruch, Abfahrt und Ankunft durchmisst ein Reisender Landschaften, Meere und Städte. Wenn die Ankunft über kurz oder lang allerdings nur eine Etappe vor der nächsten Abreise markiert, wird sie zu einer transitorischen Erfahrung. In den Etappenorten als Gast auf Zeit geparkt. Finden diese Eindrücke als Erinnerung keine Form, versinken sie im Unbewussten, verloren im Gedächtnis.

Departure sollte für Beckmann eine Wirklichkeit werden, die nie Normalität sein konnte. Es bleiben Fluchtpunkte in der wesentlich von den Zeitläuften einer unmenschlichen nationalsozialistischen Diktatur getriebenen Biografie. Diese existenzielle Grunderfahrung springt den Ausstellungsbesucher vor jedem Bild in der Ausstellung geradezu unmittelbar an.

Neben dem größten europäischen Gemäldebestand Beckmanns in der Pinakothek der Moderne reihen sich die etwa 70 Leihgaben aus bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen in Europa und den USA in dieser monografischen Sonderausstellung als visuelles, gesellschaftlich relevantes Gedächtnis aneinander.

Mit der 2015 erfolgten Schenkung der Familiennachlässe des Malers – darunter Fotoalben, Einreisepapiere, Ansichtskarten, Filme und Notizen – an das Max-Beckmann-Archiv der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nutzen die Kuratoren Oliver Kase und Christiane Zeiller mit Sarah Louisa Henn eine Fülle von bisher unbekannten Materialien und Dokumente für eine empathisch grundierte Ausstellung. Sie nimmt den Betrachter als imaginären Reisebegleiter Beckmanns mit in seinen Kosmos von Leben und Kunst. In Zusammenarbeit mit der von der Gestalterin Juliette Israël entwickelten Ausstellungsszenografie ergibt sich ein erzählerischer Spannungsbogen von Beckmanns ambivalenten Empfindungen wie Befreiung und Lust, Sehnsucht und Melancholie bis zu Sorge und Angst.

Beckmanns Credo „Was ich will, wird erst am Ende meines Schaffens deutlich werden, als Ganzes gesehen“ spiegelt sich insbesondere in den zehn Triptychen wider. Zentral ist ihnen die Frage nach dem Ich, nach der eigenen Persönlichkeit eingeschrieben. Die frühe Arbeit Junge Männer am Meer (Öl auf Leinwand, 1905), die noch unbeeinflusst von seinem Lebensschicksal Exil zwanzig Jahre später ist, zeigt einen Künstler auf der Suche nach der eigenen Identität.

The Cabin

Die ausgestellten Dokumente, insbesondere Fotografien und Film-Facetten aus seinem privaten Leben bis Ende der 1920-er Jahre sowie Bücher aus seiner Handbibliothek wie Die Argonauten von Apollonius Rhodios, die ihn über alle Reisen begleiten werden, bezeugen Beckmann auch als einen, der auf dem Hintergrund seines frühen Ruhms zu genießen versteht. Im Nachhinein hat es den Eindruck, als würde er in dieser Zeit auf Vorrat leben. Alles scheint möglich.

Gewinnt damals schon das Atelier seine Bedeutung als eigener Kosmos, so wird es ihm späterhin gewissermaßen transitorisch einzig eine feste und verlässliche Größe bleiben. Der unmittelbare Bezug auf die antike Argonauten-Mythologie in seinen Werken umklammert mit den Motiven Aufbruch, Reise und Ankunft seine malerisch reflektierte Biografie.

Beim Ausstellungsrundgang zwischenzeitlich immer mal wieder in den offenen Dokumentationsboxen mit Fensteroptik zu verweilen, lädt die Aufmerksamkeit auf die ikonografischen Beckmann-Arbeiten nicht nur informativ auf. Die Bildwelten transzendieren Wirklichkeiten von Exilerfahrungen, von mit Gewalt erzwungenen Wanderungsbewegungen weltweit, wie sie seit einigen Jahren immer noch respektive bereits wieder die Weltgemeinschaft erschüttern.

In der Ausstellungsarchitektur lädt eine sofaähnliche Liegelandschaft vor dem Triptychon Versuchung aus den Jahren 1936/37 geradezu aufreizend ein, sich einer solchen, vieldeutigen Versuchung auszusetzen. Oder vielleicht doch mehr, wie mit einer Generalpause in der Musik, vor einer dramatischen Sequenz noch einmal tief Luft zu holen. Atem anhalten, sehen, staunen, nachdenklich werden.

Peter E. Rytz