O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Kunststücke

Mystisch neu interpretiert

Es war alles so schön geplant: Fotograf Emil Zander sollte im Alten Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich eine neue Ausstellung zeigen. Dann kam die Schreckensnachricht. Zander war im Hausflur die Treppe hinuntergestürzt. Plötzlich stand nicht nur eine Ausstellung, sondern sein Leben in Frage. Umso erfreulicher, dass seine Ausstellung jetzt gezeigt werden kann – und er bei der Vernissage fröhlich in die Videokamera des Smartphones winkt.

Rechts im Bild Christina Boss – Foto © O-Ton

Seit fünf Jahren betreibt Isabelle von Rundstedt, studierte Kunsthistorikerin, die Galerie im Alten Küsterhaus in Büderich auf eigene Kosten und eigenes Risiko. Ein halbes Jahrzehnt musste sie unter Beweis stellen, dass ihr Konzept stimmt. Da gibt es die Ausstellungen von Meerbuscher Künstlern und die von Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie in einer Mischung mit Kinderveranstaltungen, die die Kreativität der lieben Kleinen fördern. Lesungen und Konzerte runden das künstlerische Programm der Galerie ab. Fünf Jahre brauchte es, bis die Stadt Meerbusch bemerkte, dass hier ein neuer künstlerischer Schwerpunkt in der Stadt entstanden ist, den es sich finanziell zu unterstützen lohnt. Und so darf von Rundstedt sich nun darauf freuen, künftig zwei Ausstellungen pro Jahr in der Reihe Meerbuschkunst zu zeigen, die bislang auf die Teloy-Mühle im Stadtteil Lank beschränkt war. Den Anfang macht eine Ausstellung, die der Künstler beinahe nicht mehr erlebt hätte.

Eigentlich wollte Emil Zander sich der bildenden Kunst widmen. Zeichner oder Bildhauer, das wäre es gewesen. Wenn er das Talent dazu gehabt hätte. Hatte er nicht, sagt er selbst von sich. Aber er hatte ein Auge für Bildkomposition. Also studierte er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf Fotografie. Anschließend erlernte er das praktische Handwerk bei verschiedenen renommierten Mode-, Werbe- und Porträtfotografen, ehe er die eigene internationale Karriere begann. Dabei war er auf vielen Feldern unterwegs. Mode und Porträt, Architektur und Industriebauten, Stillleben und Tanz – es gab kaum ein Gebiet, auf dem er nicht Erfolge vorzeigen kann. In seiner Düsseldorfer Wohnung hängen noch immer die Porträts berühmter Künstler vergangener Zeiten, die bis heute nicht von ihrer Faszination verloren haben. In der Analog-Fotografie arbeitete er mit der Mittelformatkamera, in den letzten Jahren musste es dann nicht die Leica-Kamera sein. Da war er gern mit einer der ersten spiegellosen Kameras von Fujifilm unterwegs, wenn er nicht gerade Auftragsarbeiten im Studio erledigte. Die Aussagekraft seiner Bilder büßte deshalb nichts ein. Für eine Ausstellung bei Isabelle von Rundstedt entdeckte er ein neues Thema. Mystische Plätze.

Ob in der Trivialliteratur der Geisterjäger John Sinclair, in der Hochblüte des Fernsehens Edgar Wallace oder Francis Durbridge oder Heerscharen von Fotografen, die so genannte lost places heimsuchen – Mystik ist ein Thema, das die Menschen von Anbeginn an fasziniert hat und das bis heute mindestens so spannend wie die Fotografie von Menschen selbst ist. Dass ein Emil Zander nicht durch halbzerfallene, einsturzgefährdete Gebäude klettert, um Graffitis und eingeworfene Fensterscheiben im Bild festzuhalten, versteht sich nahezu von selbst. Er versucht, das Thema mit eigener künstlerischer Sicht zu füllen. Von Rundstedt ist begeistert, die Ausstellung wird terminiert. Alles ist geklärt, die Vorfreude auf beiden Seiten groß. Einige Tage, bevor mit der Umsetzung begonnen wird, ist Zander noch zu Besuch bei einem Konzert im Alten Küsterhaus. Mit dabei die Fuji-Kamera. Zwei Wochen später ereilt die Galeristin die Nachricht, die man einfach nicht glauben möchte. Zander ist im Hausflur die Treppe hinuntergestürzt, sein Leben hängt an einem seidenen Faden.

Aber: Der Zeitpunkt für seinen Abschied ist noch nicht gekommen. Das zu diesem Zeitpunkt Unglaubliche ereignet sich. Er erholt sich, begibt sich in die Obhut seiner Lebensgefährtin nach Österreich. Von Rundstedt treibt derweil die Umsetzung seiner Ausstellung weiter voran. Dann endlich ist es so weit. Die Bilder hängen, der Abend der Vernissage ist gekommen. Vor lauter Freude wird es dann ein wenig trubelig. Anstatt auf Werdegang und Bedeutung des Künstlers einzugehen, spielen Kinder der Musikschule auf dem Klavier, hält Michael Krones, Abteilungsleiter Kultur der Stadt Meerbusch, eine Lobrede auf die Meerbuschkunst und Emil Zander winkt vom Display des Smartphones. Von Rundstedt ergeht sich in Dankbarkeit gegenüber der Stadt. Christina Boss, Lebensgefährtin von Zander, ist mit Sohn angereist, was durchaus die Wertschätzung der Ausstellung steigert. Zumal offenbar viele Freunde von Zander erschienen sind, die das Gespräch mit ihr suchen. Ach ja, und dann dürfen die zahlreichen Besucher sich doch noch die Ausstellung ansehen.

Neuer Blickwinkel

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19 Fotografien in unterschiedlicher Größe sind in der Galerie gehängt. Schnell wird deutlich, dass es Zander wirklich gelungen ist, einen neuen Blick auf mystische Plätze zu werfen, der weit über die klischeehaften Vorstellungen mystischer Plätze hinausgeht. Wie es sich gehört, erzählt Zander Geschichten in seinen Bildern. Wie die vom stillgelegten Ballsaal in Berlin, in dem die zusammengerückten Stühle von längst vergangenen Begebnissen berichten. Ein verwischtes Bild vom Friedhof ersetzt einen ganzen Roman. Der Blick in einen Garten zeigt die Feiern vergangener Zeiten, bei denen die verrosteten Stühle übriggeblieben sind. Was ist aus den Menschen geworden, die hier gefeiert haben? Auch wenn der Rost auf den Industrieanlagen zu sehen ist, liegt das Geheimnisvolle, das Vergängliche weniger im Zerfall als in dem, was wohl in diesen Anlagen passiert ist. Eines der spannendsten Bilder ist ausgerechnet das, was wohl auf den ersten Blick jedes Klischee überanstrengt. Ein großformatiges Bild zeigt eine Waldlandschaft. Ohne zu viel zu verraten, wird hier nur der aufmerksame Betrachter die Mystik, die unheimliche Geschichte, möglicherweise eine Geistergeschichte entdecken.

Wer bis hierhin noch Zweifel am ungewohnten Blickwinkel hat, wird beim Anblick des Arc de Triomphe in der Verkleidung von Christo vom Licht zu ganz neuen Erkenntnissen verführt werden. Und mindestens für Fotografen hat Zander mit seinen Mystic Places einen Anreiz geschaffen, Dinge des scheinbar Vergangenen mit neuen Augen zu betrachten.

Eine gute Gelegenheit, sich die Ausstellung Mystic Places anzuschauen, bietet sich am 15. November. Dann findet im Alten Küsterhaus ein Konzert mit Lesung unter dem Titel Poetischer Abend statt. Pianistin Ekaterina Porizko und Sängerin Stella Antwerpen sorgen für die Verbindung verschiedener künstlerischer Genres.

Michael S. Zerban