O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Kunststücke

„Hallo, Picasso!“

Gerolf Schülkes bildkünstlerische Arbeiten entstehen an abgelegenen Orten. Im Atelier des Kulturbahnhofs Eller, einem immer schon als randständig angesehenen Düsseldorfer Stadtteil und in der Einsamkeit des finnischen Schärengebiets, der Wahlheimat des Künstlers. Atmosphären, die Schülkes Zeichnungen und Fotografien transportieren. Ein anderer Blick auf das Alltägliche. Natur als Refugium.

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Gerolf Schülke gehört zu den stillen Künstlern, zu denjenigen, die alles Laute, Äußerliche nicht mögen. Man spürt das unwillkürlich. Am Charme dieser Ausstellung im Ganzen, ihrem feinen Wiegerhythmus, ihrem verschwiegenen Klangbild. Neun Werkgruppen, verrät der Künstler einleitend, habe er ausgewählt. Wobei er die ihm wichtigen Skulpturen habe auslassen müssen, hätten sie doch alles andere an den Rand gedrängt. Im selben Atemzug fällt die einigermaßen erstaunliche Selbstauskunft, wonach sich Gerolf Schülke eigentlich als Bildhauer sieht. Was man so verstehen kann, dass er, wie Otto Coester, sein Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf eben Grafiker und Bildhauer ist. Aber das wäre selbst wiederum zu äußerlich. Wer vor seinen Zeichnungen verharrt, entdeckt ja bald, dass die selbst einen plastischen Gestus an den Tag legen. All die schwingenden, zusammengedrängten, aufgestauten Körper, die den Bildraum für sich reklamieren, ihn ins Räumlich-Dreidimensionale strecken. Was auch die Landmarken betitelten Fotografien bestätigen, die Aufnahmen bemalter kleiner Holzmodelle. Manche dieser zusammengebundenen, übereinander­ getürmten, sich nach oben verjüngenden Skulptürchen sehen aus, als seien sie in Wahrheit turmhoch und begehbar. Illusionistische Fotografie. Trompe-l’œil.

Ganz anders die fotografierten Boote, die Schülke im Schärengebiert seiner finnischen Wahlheimat angetroffen hat. Schwimmende Skulpturen, sagt er dazu. Jahrhundertelang hat man sie aus Holz gebaut. Irgendwann aber müssen er und seine Frau und Künstlerpartnerin Ilsabe Schülke feststellen, dass die Bewohner vom zehrenden Zeitgeist erfasst werden, anfangen, ihre Boote aus Kunststoff zu fertigen, mit der Ironie, dass in dem Moment, wo der traditionelle finnische Holzbootbau an sein Ende gelangt, er ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wird. Schülke belässt es bei dieser Information. Eine Nachricht, die ja selbst schon Kommentar ist. Mittlerweile ist er auch in ein Alter eingetreten, in dem sich seine Liebe zum Stillen mit Weisheit verbindet. Mit einem Fingerzeig auf die älteste Werkgruppe der Ausstellung, merkt er an, dass er aufgehört habe, zu „kommentieren“.

Ein Freiluftatelier als Refugium

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Tatsächlich ist es die bis in die Mitte der 1970-er Jahre zurückreichende Werkgruppe namens Kleine Zeichnungen, die das Äußerste an Politischem im Kunstschaffen des Gerolf Schülke markiert. Hier werden sie noch aufgespießt, die Schreihälse vor den Mikrofonen, an den Rednerpulten, die aufgerissenen Münder mit ihren verbeulten, verlogenen Botschaften. Das garstige Liedgut, das uns ja tatsächlich aus allen Überschriften anspringt, die Raumzeit quietschen lässt, um uns so, wie von selbst und ganz automatisch dahin zu bringen, dass wir nach unserem Refugium Ausschau halten.

Schülke hat es gefunden. In der Einsamkeit der finnischen Schären, die ihm zum Freiluftatelier geworden sind, jener in der Eiszeit abgeschliffenen Granitrücken, auf denen nicht viel wächst und was wächst dafür entsprechend lange Zeit braucht und, wie die vielfach gewundenen Formen der Kiefern, die Schülke vor der Natur zu zeichnen pflegt, sich dem kerzengeraden Plantagenwuchs verweigern. Ein krummes Holz, das, wer genau hinhört, eine Botschaft aus dem Gezweig herausschickt: „Zeichne mich!“ Ein Ruf, der allenfalls hingehaucht ist. Gerolf Schülke hat ihn vernommen. Seit 50 Jahren schon steht er, die Zeichenfeder in der Hand, vor seinen Kiefern. Immer nur, erfahren wir, zwei bis drei Stunden pro Tag, weil Licht und Schatten sich danach so stark verändern, dass sie das Bild verändern. Kunst braucht ihre Zeit.

Und wenn Schülke dann wieder zurück ist in Eller, wundert er sich. Dann geht er bei Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen und fotografiert die von innen erleuchteten Geschäfte, Supermärkte, Waschgaragen im Stadtteil. Nachtbilder, die zu den verstörendsten Exponaten dieser hochverdichteten, qualitätvollen Ausstellung gehören. Alles dreht sich um. Wird fremd. Hopper-Stimmung in Eller. Da stirbt man schneller, sagt der Volksmund. Und Künstler wie Gerolf Schülke begrüßt derselbe Volksmund auf der Straße mit einem aufgeräumten „Hallo, Picasso!“

Georg Beck