O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Kunststücke

Zugpferd Gesamtkunstwerk

Galerie-Räume sind teuer, und Galeristen müssen viel Arbeit und Geld investieren, um ihre Zielgruppen dorthin zu bekommen. Bernd Lausberg geht derzeit einen anderen Weg. Er lädt seine Gäste in ein Ambiente, das ihren Lebensgewohnheiten entspricht, und bietet neben Small-Talk ein Gesamtkunstwerk. Das kommt beim Publikum gut an.

Friederike Näscher – Foto © O-Ton

Am frühen Abend herrscht der ganz normale Wahnsinn auf den Autobahnen Nordrhein-Westfalens. Der Verkehrsfunk kommt nicht mit den Unfall- und Staumeldungen hinterher. Zudem herrscht ein Regenwetter, dass selbst Hunde darauf verzichten, ihre Menschen beim Spaziergang zu begleiten. Da verwundert es kaum, dass zu Veranstaltungsbeginn kaum ein Viertel der Plätze besetzt sind. Bernd Lausberg beweist Mut und zögert den Beginn hinaus. Schließlich haben die Voranmeldungen großes Interesse versprochen. Die bereits anwesenden Besucher werden mit Kanapees und Wein versorgt, fühlen sich also nicht allzu unwohl im behaglichen Ambiente des Kaminzimmers im Schlosshotel Hugenpoet. Allein der Blick in den Park hätte mit seiner Tristesse in den Romanen der Romantik Anlass für den Protagonisten gegeben, seinem Leben und damit der unglücklichen Liebe ein frühzeitiges Ende mit der Offizierspistole zu setzen. Dass im Essener Stadtteil Kettwig nichts Schlimmeres passiert, liegt wohl am ehesten an der Neugier der Besucher. Galerist Lausberg hat nicht weniger als ein Gesamtkunstwerk für diesen Abend versprochen.

Daran beteiligt ist die Künstlerin Friederike Näscher. Sie stammt aus einer Düsseldorfer Künstlerfamilie, hat an der Folkwang-Universität der Künste in Essen Kommunikationsdesign studiert. Nach dem Studium arbeitete sie als künstlerische Leiterin für internationale Verlage und Agenturen, ehe sie eine eigene Designagentur gründete. Seit 2010 lehrt sie außerdem als Hochschuldozentin visuelle Kommunikation. Ihre Spezialität sind Fotogramme. Vierzehn dieser Werke hat sie als „Heine-Zyklus“ unter dem Titel Meer und Himmel hör ich singen zusammengefasst. Die stehen jetzt auf Staffeln im hinteren Teil des Raums, denn an den Wänden hängen bereits großformatige Ölschinken. Vor dem Kamin ist eine Leinwand aufgehängt. Rechts davon sind ein Rednerpult und ein Klavier aufgebaut. Der Clou des Abends: Näscher hat den einzelnen Bildern Texte von Heinrich Heine zugeordnet, die nun, da der Raum bis auf den allerletzten Platz besetzt ist, entweder von ihr selbst gesprochen – oder gesungen werden, so weit Robert Schumann sie vertont hat. Dazu hat Lausberg den Bariton James Martin eingeladen. Geboren ist er in Brisbane, Australien; er studierte an der Guildhall School of Music and Drama in London und an der Staatlichen Hochschule für Musik in Mannheim. Seither tritt er freischaffend an Opernbühnen und auf Festivals auf. Sein eher hell getönter, enorm kraftvoller Bariton ist prädestiniert für die Textverständlichkeit und den oft lyrischen Klang von Liedern, denen er sich in zahlreichen Konzerten widmet. Begleitet wird er heute Abend von Meghan Behiel. Die gebürtige Kanadierin studierte in ihrer Heimatstadt Calgary, später an der Universität der Künste in Bern, lebt seit vielen Jahren in Deutschland und verfügt über ein unglaubliches Repertoire in der Klavierbegleitung.

Nachdem Lausberg die Künstler vorgestellt hat, gibt es keine weiteren großartigen Erklärungen, sondern Näscher beginnt mit den Rezitationen der Gedichte Meer und Himmel hör ich singen, Aus dunkler Höh mit wilder Macht und Das Fräulein stand am Meere, während die Werke, denen sie die Texte zugedacht hat, auf die Leinwand projiziert werden. Die Wirkung ist dramatisch. Das Publikum findet so einen leichten Zugang zu ihren Arbeiten und kann sich schnell über gelenkte Assoziationen damit identifizieren. Das mag zwar nicht dem allgemeinen Kunstverständnis von Künstlern entsprechen, kommt aber dem Publikum ungeheuer entgegen. Darüber kann man nachdenken.

James Martin und Meghan Behiel – Foto © O-Ton

Das Prinzip setzt sich in rascher Folge fort. Martin trägt die Lore-Ley des Komponisten Friedrich Silcher vor, Näscher liest Berg und Burgen schaun herunter und Die Mitternacht war kalt und stumm, ehe Martin das Publikum mit Im wunderschönen Monat Mai und Am leuchtenden Sommermorgen erfreut. Gern hätte Näscher häufiger dem wunderbaren, kristallklaren Vortrag Martins gelauscht, sagt sie zwischendurch, aber es gab einfach nicht mehr Vertonungen der von ihr ausgewählten Gedichte. Die Besucher können gut damit leben, auch wenn das Mikrofon schon vor Beginn ausgefallen ist und sie kräftig die Ohren spitzen müssen, um Näscher zu verstehen. Im Weiteren beschleunigt sich das Tempo noch, weil Näscher und Martin wechselweise vortragen. Zum gesprochenen Die Welt ist so schön … leuchtet es orangerot von der Leinwand, wenn Martin Ich will meine Seele tauchen singt, mischen sich Orange und Blau, Der Schmetterling ist in die Rose verliebt wird von Näscher zu ähnlichen Mischfarben vorgetragen, bei der wunderbaren Schumannschen Lotusblume darf sich ein helles Gelb dazugesellen, ehe es bei den letzten beiden Stücken auf der Leinwand eisblau wird.

Bereits nach einer halben Stunde ist der künstlerische Vortrag beendet, das Publikum ist hingerissen. Nur kurze Zeit später ist Näscher von einer Menschentraube umringt, die Genaueres über die Werke wissen will. Gern erzählt sie vom Entstehungsprozess. Dass sie zunächst mit lichtdurchlässigen Objekten die Strukturen gestaltet, sie ins rechte Licht rückt, ehe sie sie dann fotografiert. Die Künstlerin hat noch die Arbeit in der Dunkelkammer kennengelernt, die aber mit ihrem Arbeitsprozess nichts mehr zu tun hat. Deshalb spricht sie lieber vom nächsten Arbeitsschritt in der Lichtkammer, also am Computer, wo die Strukturen in die letztgültige Form gebracht werden. Nur ausnahmsweise fügt sie hier noch Elemente hinzu. Das Finish erhalten die häufig flächigen Werke im Druck auf verschiedenen Materialien. Erst allmählich sind die Besucher informationsgesättigt und wenden sich weiteren Gesprächen zu. Schöner kann ein solcher Abend kaum laufen.

Michael S. Zerban