O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

K21 - Foto © Sebastian Drüen

Kunststücke

Salto mortale rückwärts

Nach wie vor gilt in Kunstausstellungen die Regel: „Bitte nicht berühren!“ Die jetzt in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf gezeigte größte Überblicksausstellung der amerikanischen Objekt- und Konzeptkünstlerin Jenny Holzer in Deutschland erzählt, welche Wegstrecke Holzer von den Street-Art-Anfängen in den 1970-er Jahren in New York bis in den Kanon der Kunstgeschichte zurückgelegt hat.

Truisms, 2020 Vertikales vierseitiges LED-Schild – Foto © Collin LaFleche

Angekommen im musealen Understatement „Don’t touch me!“, mutet es allerdings angesichts einzelner, ursprünglich partizipativ, kommunikativ und interaktiv entwickelter Objekte eher wie ein Salto Mortale rückwärts an. Ihre Truisms-Texte, damals anonym mit schwarzer Schrift auf weißem Papier in New York plakatiert, waren eine Aufforderung – „Touch me & Tell me“. Mit Filzstift auf sie geschrieben oder gesprayt, positionierte sich die Stadtgesellschaft mit eigenen Texten. Eine der aktivsten war die später als Lady Pink bekannte Spray-Avantgardistin.

In Düsseldorf ist jetzt alles wohlgeordnet, wie in einem bürgerlichen Salon um 1900, in dem das Mobiliar mit Tüchern abgedeckt ist. Gefeit gegen Staub und anderes, das den Glanz beeinträchtigen könnte. Im Untergeschoss ist der legendäre Sitzkreis Survival, 17 Indisch Rote Granitbänke aus den Jahren 1983 bis 85, eines von Holzers Schlüsselwerken, ausgestellt. Erstmals 1989 im Guggenheim Museum in New York präsentiert, umgibt diese Arbeit eine Art Heiligenschein. Auf Nachfrage eindeutig: „Only standing, no sitting!“

Verwiesen in respektvolles Staunen, wird selbst das Träumen konterkariert. „In einem Traum erschien die Möglichkeit zu überleben, und du warst selig.“ Diese Arbeitsform, kostbaren Materialien philosophisch, sozialkritisch und literarisch intendierte Texte einzuprägen, setzt sie seitdem kontinuierlich bis in die Gegenwart fort. Was bleibt, ist die Ehrfurcht heischende Distanz.

In beinahe religiöser Versenkung vor Still Life, Sarkophag aus Breccia Medicea Marmor stehend, nimmt man das auf ihm eingeschriebene Gedicht Building the Barricade von Anna Świrszczyńska verstört wahr. Nicht der Bau einer Barrikade, sondern Entgrenzung von Barrikaden: „I am so happy“, lautet die Schlusszeile. So reduziert sich für den Ausstellungsbesucher sein Bemühen, mit Holzers Arbeiten in Interaktion zu treten, allein auf visuell beschränkte Kommunikationsversuche.

Dieser von der Kuratorin Vivien Trommer zusammen mit der Künstlerin konzeptionierten Ausstellung ist eine indirekte Aufforderung zum staunenden Betrachten immanent. Inflammatory Wall Essays, Offset-Poster auf farbigem Papier von 1979 bis 82, mehrtausendfach in elf Farben multipliziert, sind auf eine Hälfte des Untergeschosses mit dem Signum © 2023 Jenny Holzer geklebt. Beeindruckt das kleinteilig präzise Bekleben mehr, als das seit Jahrzehnten bekannte Werk?

Ähnlich kann man angesichts der von Lady Pink & Team in vierwöchiger Arbeit vor Ort in Düsseldorf vor K21 mural, nach einer Foto-Vorlage von Susan Meiselas auf die Wände eines klaustrophobisch anmutenden Kubus gesprayt, nach dem kreativ künstlerischen Mehrwert fragen. Auf Nachfrage, ob diese Wandarbeit nach Ausstellungsende abgenommen wird und womöglich in die Sammlung eingeht, verneint Trommer. Die Flächen würden für nächste Ausstellungen übermalt, frei gemacht werden. Die im Sinne einer kreativ immersiven Finalisierung gemeinte Anregung, vor dem Überstreichen regionale Spray-Artisten in Reflexion der ursprünglichen Spray-Interaktion von Holzer und Lady Pink interagieren zu lassen, bekommt ein freundliches – zustimmendes? – Lächeln zur Antwort.

Auf dem Hintergrund der langjährigen Zusammenarbeit mit Lady Pink erklärt sich das Corporate Design der Ausstellung. Von Lisa Kahane fotografiert, trägt sie ein T-Shirt mit dem millionenfach kopierten Truism „Abuse of Power Comes as no Surprise“.

It Is Guns, 2019, LED-LKW, New York – Foto © Joe Carrotta

Die Fortsetzung der Ausstellung findet in der Beletage des K 21 schwerpunktmäßig mit malerischen Arbeiten statt, die visuell der Ästhetik des Abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei verpflichtet sind. Sie implizieren einen interessanten Verweis auf die in diesem Monat beendete Ausstellung Helen Frankenthaler im Essener Museum Folkwang. Gemeinsamkeiten vor allem in der farblichen Oberflächenstrukturierung, nicht aber in Holzers thematischer Perspektive von Freiheit und Menschenrechten bis Krieg und Machtmissbrauch.

Mit den Redaction Paintings, die es seit 2005 gibt, Ölgemälde teilweise mit Blattmetallen verziert, deckt sie in geschwärzten Kopien von US-Regierungsdokumenten Macht- und Unterdrückungsstrukturen auf. Sie macht das Grausame lesbar, was hinter dem Geschwärzten subtil aufscheint. Aktualisiert in politisch humanistischer Positionierung, die allen ihren Werken eigen ist, reagiert die neue LED-Wandarbeit Ukraine zeitaktuell wie gleichzeitig zeitlos.

Die Installation Lustmord aus den Jahren 1993 bis 95, die auf den Jugoslawienkrieg mit seiner sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen als taktischer Kriegswaffe reagiert, steht dafür programmatisch. Text-Fragmente, eingraviert auf Silberringen, umfassen menschliche Knochen – von Holzer legal erworben aus dem Fundus medizinischer Arbeits- und Anschauungsmaterialien – „repräsentieren und mahnen“ die Kunstwerke „die Grausamkeiten und Verbrechen an“, sagt Holzer.

Lustmord lässt an die Performance Balkan Baroque von Marina Abramović denken. 1997 schrubbt diese während der Biennale von Venedig im Keller des italienischen Pavillons das Fleisch von Rinderknochen ab. Mit assoziierenden Verweisen auf Werke anderer Künstlerinnen, wie denen von Abramović und Frankenthaler erfährt die Ausstellung eine Erweiterung zu einer reflektierten, kanonischen Kommunikation mit der Kunstgeschichte.

Allein dieser Aspekt lohnt den Besuch der Ausstellung allemal.

Peter E. Rytz