O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Düsseldorf-Festival 2021

Der Chorleiter als Solist

DEM HIMMEL SO NAH
(Diverse Komponisten)

Besuch am
19. September 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf-Festival, Johanneskirche, Düsseldorf

Auch wenn das Theaterzelt auf dem Burgplatz im Zentrum des Düsseldorf-Festivals steht, sind Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen, die künstlerischen Leiter des Festivals, stolz darauf, über renommierte, zusätzliche Spielstätten zu verfügen. Eine davon ist die Johanneskirche, ein paar Meter von der Königsallee entfernt, die seit vielen Jahren fester Bestandteil des Festivals ist. Am 5. November beispielsweise wird in diesem Jahr dort die Uraufführung der Oper O Ihr Menschen stattfinden, die das Düsseldorf-Festival produziert und die das Erstlingswerk des Johanneskirchen-Kantors Wolfgang Abendroth sein wird.

Aber eine Nummer kleiner geht es auch. Welcher Ort eignete sich besser für einen Chor-Auftritt als eine Kirche? Also hat das Festival das Ensemble Provocale Düsseldorf eingeladen, ein hochinteressantes Programm auf den Altarstufen aufzuführen. 1983 bereits hat Sebastian Voges das Ensemble in, na klar, Oberhausen gegründet. Voges selbst, der bis heute den Chor leitet, studierte evangelische Kirchenmusik an der Folkwang-Hochschule Essen und anschließend Gesang, war lange Zeit Kantor an der Lutherkirche Düsseldorf. Jetzt hat er ein Programm entwickelt, das in erster Linie Voges darstellt. Am späten Nachmittag findet sich ein überschaubares Publikum ein, das mit Interesse das Programmheft studiert, das zwar einfach gestaltet, aber endlich einmal frei von Rechtschreibfehlern – was bei den sonstigen Publikationen des Festivals nicht der Fall ist – alle Wünsche der Besucher erfüllt. Neben einer kurzen Einführung ins Programm wird das Ensemble vorgestellt, ehe nach dem Programm die Gesangstexte inklusive einer deutschen Übersetzung nachzulesen sind. Wunderbar. Da braucht es weder Übertitel noch weitere Erläuterungen. So kann man das machen. Auf der Rückseite wäre sicher noch Platz gewesen, die Choristen und Solisten aufzuführen.

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Der Chor tritt zu Trommelklängen auf, ehe er sich der Begräbnismusik für Königin Maria II von England widmet. 1695 hatte Henry Purcell die Funeral Music of Queen Mary komponiert und so erklärt sich auch, warum hier die unterschiedlichsten Blockflöten zum Einsatz kommen. Immer wieder eindrucksvoll ist die Bass-Flöte. Voges dirigiert die 19 Sänger unaufgeregt, aber aufmerksam und präsentiert sich damit als souveräner Chorleiter.

Mit Café 1930 wird der Chor zum Schweigen verurteilt. Marita Bahr und Harald Mohs bekommen Gelegenheit, sich dem vierhändigen Werk von Astor Piazzolla am Klavier zu widmen. Klingt im Kirchenraum großartig und leitet über zum Magnificat, das Voges komponiert hat. Dass er sich in seinem Werk bis zur Sprachunkenntlichkeit versteigt, indem er die Chorgruppen reichlich schräg durcheinander und übereinander singen lässt, klingt sehr modern. Unter einem Magnificat versteht man den Lobgesang Marias aus dem Lukas-Evangelium.

Daran schließt sich Nightclub 1960 von Piazzolla an, wiederum vierhändig am Klavier. Ein großartiger Einfall, gibt es hier doch keine gravierenden Brüche. Und völlig überraschend wird der Chorleiter zum Solisten, wenn der Bariton die Songs of Travel von Ralph Vaughan Williams aus dem 20. Jahrhundert anstimmt. Und dann wird Voges auch noch zum Krisenmanager. Denn eigentlich werden die Lieder From the Bavarian Highlands opus 27 von Edward Elgar vom Chor mit Klavierbegleitung gesungen. Das setzt allerdings voraus, dass der Pianist über Noten verfügt. Harald Mohs sucht sie vergebens. Schließlich helfen die Choristen mit ihren Notenblättern aus der ungewöhnlichen Situation. Glücklicherweise, denn die Elgar-Lieder werden vom Chor sehr schön, ja, fröhlich präsentiert und runden damit ein Konzert ab, das programmatisch ungewöhnlich und deshalb umso interessanter daherkommt. Das Publikum weiß es zu würdigen und applaudiert ausgiebig. Bedankt sich auch für die Zugabe, ehe es sich in alle Winde zerstreut. Der gemütliche Ausklang nach einem Konzert gehört derzeit der Vergangenheit an.

Michael S. Zerban