O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Kunststücke

Der zweite Blick lohnt

Lars Eidinger gehört zu den bekanntesten Schauspielern der Gegenwart. Allerdings ist das Schauspiel auf der Bühne und im Film längst nur noch ein Teilbereich in seinem Leben. Einen Namen hat er sich auch als Discjockey und Filmmusikkomponist gemacht. Derzeit taucht er immer häufiger auch im Zusammenhang mit der Fotografie auf. Noch bis zum 12. August ist in Düsseldorf eine Fotoausstellung von ihm zu sehen. Der Besuch lohnt sich.

Lars Eidinger – Foto © Franziska Stünkel

Wenn namhafte Modedesigner, Musiker, Kabarettisten oder Schauspieler plötzlich ganz neue künstlerische Seiten an sich entdecken, ist grundsätzlich erst mal ein gesundes Misstrauen angebracht. Früher warfen solche Menschen Parfüms auf den Markt, um ihr schmales Salär aufzubessern. Heute sind es Bilder, Computergrafiken oder Fotografien, mit denen die „Bekannt-aus-Film-und-Fernsehen“-Leute in die Öffentlichkeit treten. Und so ist auch zunächst Zurückhaltung angesagt, wenn die Düsseldorfer Leica-Galerie eine Foto-Ausstellung des Schauspielers Lars Eidinger veranstaltet. Zumal der Titel – überflüssigerweise in Englisch – mit Black and White Thinking eher profan wirkt. Unglücklicherweise bezeichnet der Titel mit seinem Schwarzweißdenken auch noch das genaue Gegenteil von dem, was der Künstler seinem Publikum sagen will.

Wie üblich ist der Zugang zur Galerie, die sich im Untergeschoss des Foto-Fachgeschäfts in der Kö-Galerie präsentiert, kostenfrei. Schon beim Betreten der Räumlichkeit fällt die ungewöhnliche Hängung auf. „Eine Idee des Künstlers“, sagt Ulla Born, die Galerieleiterin, die die Ausstellung kuratiert hat. Etliche der Bilder sind nicht gerahmt, sondern mit kleinen Nägeln an die Wand gespießt. Da weiß nun jeder, der mit Fotos auch nur entfernt zu tun hat, dass sich das Papier rasch wellt. Was hier auch längst passiert ist. Ein künstlerisch gewollter Effekt? Born bestätigt das. Die unmittelbare Nähe zur grauen Wand gebe so einen stärkeren Bezug zur Straße. Das mag der Künstler so sehen, der Besucher sieht wohl eher, dass die Ausdrucke an Wertigkeit verlieren.

Und damit steht das Schwarzweißdenken wieder im Raum. Eidinger möchte mit seinen Straßenfotografien aus Frankfurt, Berlin, Budapest und Cannes der Vielfalt Raum geben und damit der Tendenz, die er sieht, „die Welt in Extremen wahrzunehmen, wie wir es heute verstärkt erleben“, entgegenwirken. Da ist das Medium recht gewählt. Schließlich ist der Begriff Schwarzweißbilder an sich ja schon falsch, richtiger müsste es Graustufenbilder heißen. Und genau um die geht es dem Fotografen. Hier lohnt es sich bei jedem Bild, genauer oder auch ein zweites Mal hinzuschauen, auch wenn man den Erläuterungen Eidingers nicht immer kritiklos folgen mag. Wie bei dem Bild, das einen rauchumwölkten Cowboy auf dem Dach der Philip-Morris-Fabrik in Berlin-Neukölln zeigt. „Ich wurde so sozialisiert, dass der Cowboy der Gute ist und der ‚Indianer‘ der Böse“, sagt Eidinger. Das mag bei ihm so sein, wer seinen Winnetou gelesen hat, wird dem möglicherweise widersprechen wollen. Wobei das mit den Interpretationen ohnehin so eine Sache ist. Denn eigentlich, erzählt Eidinger, drücke er zunächst einmal intuitiv den Auslöser, um sich erst im Angesicht des Ergebnisses seine Gedanken dazu zu machen. So wie bei dem Foto, das den Haupteingang der Weißfrauenkirche im Frankfurter Bahnhofsviertel zeigt. Darüber ist das Wort „Mensch“ befestigt. Erst nachdem das Bild entstanden war, erfuhr Eidinger, dass der Künstler Mirek Macke das Wort aus den Leuchtbuchstaben gefertigt hat, die einst das Kaufhaus Schneider in Frankfurt zierten, auf das unter anderem Andreas Baader und Gudrun Ensslin 1968 den Brandanschlag verübten, der in der Folge zur Gründung der RAF führte.

Würde und Fotografie – ein Widerspruch?

Foto © Lars Eidinger

Ein großes Diskussionsthema ist sowohl bei Hobby- als auch bei Profi-Fotografen im Bereich der Straßenfotografie die Abbildung von Menschen. Das hat inzwischen zu einer bedauerlichen Wende zur Silhouetten- und „Rückenfotografie“ geführt, weil die rechtliche Unsicherheit groß ist. Solche Diskussionen braucht Eidinger nicht zu führen, ist doch die künstlerische Abbildung eindeutig geregelt. Wenn er allerdings einen – nicht erkennbaren – Mann unter einem Pappkarton liegend vor zwei Geldauszahlungsautomaten zeigt, wirft das Fragen auf. „Geldautomaten faszinieren mich, weil sie ein Glücksversprechen verkörpern. Der Mann ist dem Reichtum sehr nah. Ihn trennt nur die Geheimzahl“, erklärt der Künstler. „Er wirkt entmenschlicht, wie eine Mensch-Maschine“, sagt er noch. Ist das noch ein würdevolles Abbild des Mannes? Denn das ist doch ein viel entscheidenderes Moment bei der Aufnahme. Ist die Würde des Menschen zugunsten der Kunstfreiheit doch antastbar? Auch bei dem Bild, bei dem sich ein offenbar Erwachsener in einen Kinderwagen zurückzieht, fragt man sich, ob hier nicht jemand in die Privatsphäre eines anderen Menschen eingebrochen ist. Und andererseits: Braucht es nicht gerade viel mehr solcher Fotos, um auf die soziale Wirklichkeit der Gegenwart künstlerisch hinzuweisen? Werke, die viel Anlass zu Gesprächen liefern.

Für Gespräche ist Eidinger durchaus offen, erinnert sich Born an die Vernissage, bei der er, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, geduldig bis zum Schluss blieb und jedem einzelnen Besucher, der das wollte, Rede und Antwort stand. Da blieb gleich noch Platz für die Anekdote zu dem Bild, das einen Fuchs mitten in Berlin zeigt. Eigentlich, unterstreicht Eidinger seine Spontaneität in der Straßenfotografie, fotografiere er ja mit dem Handy. Für die hier gezeigten Fotos hatte ihm allerdings der Kamerahersteller aus Wetzlar ein Leihgerät zur Verfügung gestellt. Eine Vollformatkamera mit 60 Megapixeln, technisch ganz was Feines. Allerdings fotografisch auch eine Herausforderung im Vergleich zu einem Mobilfunkgerät, bei dem zwei Klicks ausreichen, damit die Software die Arbeit leistet. Und da steht also der Schauspieler in Berlin auf der Straße, vor sich das „Motiv seines Lebens“, und stellt verzweifelt die Kamera ein. Ein herrliches Bild, vor allem, wenn man sieht, dass er am Ende doch noch erfolgreich war.

Noch bis zum 12. August kann man sich das breite Panoptikum zwischen Schmunzeln und Nachdenklichkeit in Düsseldorf anschauen. Und nein, Lars Eidinger liefert hier keinen Parfümflakon mit seinem Namenszug ab, sondern Bilder, die über den Tag hinaus beeindrucken.

Michael S. Zerban