O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Nana Franck

Asphalt-Festival 2020

Circle of Nature

ZIRKUS EMPEDOKLES
(Peter Trabner)

Besuch am
16. Juli 2020
(Premiere am 13. Juli 2020)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Bühne auf dem Kaiserteich

Das Asphalt-Festival ist verwöhnt, was das Wetter angeht. Auch in diesem Open-air-Jahr musste noch keine Vorstellung ins Wasser fallen. Die Hoffnung, dem Regen ganz zu entgehen, erfüllt sich nicht. Aber wen stört das, wenn auf der Bühne so viel Aufregendes passiert, dass einem der Regen häufig gar nicht auffällt. Auch an diesem Abend, nach einem ausgesprochen kühlen und regnerischen Tag, lassen sich die Zuschauer nicht von einem tiefgrauen Himmel abhalten, die Bühne auf dem Kaiserteich am Schwanenspiegel in Düsseldorf zu besuchen. Einige von ihnen, offenbar Freiluft-Festival-unerfahren, glauben, sich besonders gut vorbereitet zu haben – und öffnen ohne die geringste Rücksicht auf die Besucher in den hinteren Reihen ihre großen Schirme. So wird manchem Zuschauer plötzlich schwarz vor Augen. Aber mit der Rücksichtnahme scheinen die Deutschen ja ohnehin immer mehr zu hadern.

Rücksichten nimmt auch der heutige Gast auf der Bühne glücklicherweise nicht viel. Schon zehn Minuten vor dem offiziellen Beginn wird er nervös, tigert auf den Planken hin und her. Veranstaltet mit den bereits Anwesenden eine Tonprobe, beschimpft das Einlasspersonal, warum es nicht vorangeht. Na, das kann ja ein lustiger Abend werden, den Peter Trabner da unter dem Titel Zirkus Empedokles vorbereitet hat. Im Billig-T-Shirt mit einer Jeans, auf der das gefälschte Logo einer bekannten deutschen Sportartikel-Firma klebt, beigefarbenen Socken und roten Turnschuhen nimmt man ihm leicht den Regisseur ab, der gleich zu Beginn erklärt, dass nun die Proben zu Friedrich Hölderlins Schauspielfragment Der Tod des Empedokles, das unvollendet blieb und eigentlich als unspielbar gilt, begonnen haben.

Foto © Nana Franck

Die Bühne wirkt eher wie eine Sperrmüll-Ansammlung. Hinten links ein Küchenstuhl mit einer Kiste davor, an der ein paar Accessoires liegen. Davor aufgestapelter Kunstrasen, auf dem in einem Metallgefäß ein kleines Feuer brennt. Auf der rechten Seite ein kleiner Olivenbaum in einem Holzbottich, der später in den Genuss kommt, Anspielpartner zu werden. Dahinter undefinierbares Gerümpel. Ein kleines Privattheater, in dem der cholerische Regisseur endlich will, dass seine wahre Größe der Welt entdeckt wird. Noch immer eine durchaus alltägliche Situation. Und sogleich entwirft er die ganz große Vision von einer ihm angemessenen Bühne. Trabner ist nicht nur ein großartiger Schauspieler, was er später unter Beweis stellen wird, sondern auch einer der ganz großen Improvisateure. Das zeigt er, wenn er vier Zuschauer nach und nach in sein Spiel integriert. Und er bleibt unglaublich souverän, als ihm einer unterkommt, der sich zu dämlich anstellt, ein Mikrofon in der Hand zu halten. Da hilft die Berliner Kodderschnauze, obwohl Trabner eigentlich aus Niedersachsen kommt. Moin. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Bald johlt das Publikum, und es wird viel gelacht an diesem Abend. Der Circle of Nature wird zum running gag. Aber wirklich groß wird es erst, wenn der Schauspieler Hölderlin zitiert. Da gibt es auch schon mal Gänsehaut. In seiner Intensität bekommt Trabner alle zu packen. Kinder sind an diesem Abend glücklicherweise nicht zugegen, denn wenn sich seine Stimme überschlägt, kann einem schon Angst und bange werden. Auch wenn geübt, scheint das gewaltige, schier überbordende Stimmvolumen aus dem Ruder zu geraten. So viel zu ausbrechenden Vulkanen, in die sich altgriechische Philosophen fallen lassen, um zu Größerem zu werden. So geschickt der Wechsel zu den großen Ungerechtigkeiten dieser Welt gelingt, muss doch die Frage erlaubt sein, ob es nutzt, einmal mehr über den asozialen Umgang des weltgrößten Lebensmittelkonzerns mit Trinkwasser zu lamentieren. Brillant allerdings die Rückkehr ins Schauspieler-Milieu, die nicht nur das Prekariat der Berufsgruppe ins Auge nimmt, sondern auch einen kritischen Blick auf die politische Korrektheit wirft, die derzeit – vor allem in sprachlicher Hinsicht – jedes Augenmaß verliert. Dass ausgerechnet in den letzten zehn Minuten der Aufführung, nachdem der Schauspieler grundlegende Veränderungen durchlaufen hat, ein kräftiger Regenschauer niedergeht, kann die Zuschauer nicht schrecken und so müssen sie – so unglaublich es klingt: nach einer Zugabe – aufgefordert werden, den Applaus zu beenden und zu gehen, damit das nachfolgende Konzert pünktlich beginnen kann.

Am kommenden Samstag wird Trabner, der vielen auch durch seine Fernsehrollen bekannt sein wird, zum letzten Mal auf die Bühne am Kaiserteich treten. Es lohnt durchaus, an der Abendkasse noch nach Karten zu fragen, um ein pralles Stück Leben zu genießen.

Michael S. Zerban