O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ralf Puder

Asphalt-Festival 2020

Zivilcourage für die Heimatstadt

AKTION: AKTION!
(Theaterkollektiv Pièrre.Vers)

Besuch am
13. Juli 2020
(Uraufführung)

 

Asphalt-Festival, Jürgensplatz, Düsseldorf

Seit vielen Jahren gelten die Produktionen des Theaterkollektivs Pièrre.Vers als Höhepunkt im Asphalt-Festival. Die Stadtbegehungen unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten sind ein Muss im Düsseldorfer Sommer und stets innerhalb von Tagen ausverkauft. Das änderte sich auch nicht, als das Düsseldorf-Festival die Produktionen ebenfalls übernahm und somit weitere Aufführungen ermöglichte.

In diesem Jahr durfte man das neue Stück des Theaterkollektivs mit besonderer Spannung erwarten, denn Busfahrten oder Gruppenspaziergänge wären viel zu aufwändig in Corona-Zeiten. Und so viel sei vorab verraten: Glücklicherweise. Christoph Seeger-Zurmühlen hat so ein „Heimat-Thema“ gewählt und ein Konzept entwickelt, das open-air spielen kann, weil der Hauptspielort die Kulisse bildet. Es handelt sich um das kasernenähnliche Polizeipräsidium am Jürgensplatz in Düsseldorf.

1929 wurde der Grundstein für das Gebäude am Kavallerieplatz gelegt. Vier Jahre später war das Gebäude fertiggestellt, weitere vier Jahre später wurde der Platz in Mackensenplatz umbenannt. Erst im Sommer 1945 erhielt er seinen bis heute gültigen Namen Jürgensplatz und will damit an die Vorgänge um den 17. April 1945 erinnern. Das will auch Pièrre.Vers mit seinem Stück, das im Hof vor dem Haupteingang spielt. An diesem Tag wurde Düsseldorf kampflos den Alliierten übergeben und so der Niedergang der Stadt, wie er von den Nationalsozialisten geplant war, verhindert. Nach deren Vorstellungen hätten die Düsseldorfer den Kriegsgegnern „verbrannte Erde“ hinterlassen sollen. Die Gruppe Aktion Rheinland setzte alles daran, diese Entwicklung zu verhindern. Inwieweit tatsächlich die Aktivitäten dieser Widerstandsgruppe für die friedliche Übergabe der Stadt sorgten, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Juliane Hendes hat das in ihrer Textfassung minutiös aufgearbeitet. Polizeihauptkommissar Dirk Sauerborn stand ihr beratend zur Seite. Aus ihren Recherchen im Stadtarchiv und anderen Quellen entwickelt sie einen Krimi, wie er kaum spannender sein könnte. Die Klammer bildet eine Untersuchung des Stadtarchivars Kauhausen, der 1946 beauftragt wurde herauszufinden, ob für die getöteten Angehörigen des Widerstands eine Gedächtnisstunde angebracht sei. Kauhausen reiht die Originalzitate der handelnden Personen aneinander, um letztendlich zu dem Schluss zu kommen, dass eine Entscheidung nicht möglich sei. Dazwischen entspannt sich die Vorgeschichte bis zur friedlichen Übergabe des Polizeipräsidiums und damit des Machtzentrums der Nationalsozialisten in der Stadt.

Foto © Ralf Puder

Simone Grieshaber baut drei Bühnen und ein Podest, zwischen denen sie Drehstühle für das Publikum aufstellt. Die Schauspieler steckt sie in zeitgenössische Kostüme, die mit kleinen Abwandlungen verschiedene Rollen sichtbar machen. Auf der kopfseitigen Bühne ist eine kleine Trümmerlandschaft aufgehäuft, hinter der Musikinstrumente und Technik Platz finden. Damit hat Seeger-Zurmühlen ausreichend Platz und Möglichkeiten, seine Darsteller immer wieder in Tableaux zusammenfinden zu lassen, aus denen sie sich lösen und den kompletten Hof ausnutzen. Auch hier kommen Mikrofone zum Einsatz, deren Klang direkt auf die Kopfhörer des Publikums übertragen werden. Seeger-Zurmühlen geht noch einen Schritt weiter und lässt die Klänge verschieden modulieren. Das ist Open-Air-Theater in Perfektion.

Und die Darsteller sind trotz der schwierigen Umstände eindrucksvoll ausgeprobt. Hendes mutet ihnen massenhaft schwierigen Text zu, der durchsetzt mit Daten und Namensaufzählungen ist. Da wird einem schon als Zuschauer beim Zuhören schwindlig. Aber nach Patzern muss man lange suchen. Alexander Steindorf tritt hier besonders in der Rolle des Oberstleutnants der Polizei Franz Jürgens hervor, dem der Regisseur eine sehr ferne Stimme verleiht, die nicht nur seine uneindeutige Rolle, sondern vor allem die Position unterstreicht, dass er zum Zeitpunkt der Kauhausenschen Untersuchung bereits tot ist. Jonathan Schimmer als smarter Typ mit Oberlippenbärtchen glänzt als Untersucher wie Widerstandskämpfer gleichermaßen. Julia Dillmann hat den kleinsten Textanteil zu bewältigen, glänzt aber in Intonation und Darstellung. Anna Beetz darf sich sowohl in Hosen- wie auch Frauenrolle präsentieren, Gesangseinlagen und den emotionalen Teil abliefern, was sie eindeutig für größere Aufgaben prädestiniert. Seeger-Zurmühlen hat hier richtig entschieden, sie zu fordern. Nora Pfahl fehlt in diesem Jahr, obwohl sie bei der Vielzahl der Rollen sicher auch einen Platz gefunden und das Spiel bereichert hätte.

Wenn Corona bewirkt hat, dass die Schauspieler endlich aus der Gastgeber- und Hinweisgeberrolle herausgekommen sind und an diesem Abend dafür sorgen, dass den Zuschauern zahlreiche Schauer den Rücken hinunterjagen, war das unbedingt ein Gewinn.

Zusätzlich unterstreichen die Klangeffekte und Musikeinlagen, die Bojan Vuletić und Chriss Gross gemeinsam entwickelt haben, das Stück Erinnerung, das sicher jedem der Anwesenden ab heute im Gedächtnis haften bleiben wird. Spätestens wenn Gross, der auch Musik- und Computereffekte bedient, seine Gedenkrede für die fünf ermordeten Widerstandskämpfer hält, ein wenig holprig noch am Premierenabend, muss man sich die eine oder andere Träne verkneifen, um die Gedenkminute tapfer zu absolvieren.

Ein Stück, das unter die Haut geht. Ein Werk, das bei aller widersprüchlicher Historie zeigt, wie wichtig Erinnerung für die Zukunft ist, und vor allem, welche Bedeutung Zivilcourage bis in die Gesellschaft unserer Zeit hinein hat. Seeger-Zurmühlen und sein Team haben hier etwas geschaffen, das über den Tag hinausreicht. Schon jetzt dürfte klar sein, dass dieses Stück zur Hundertjahrfeier der Aktion Rheinland wiederaufgeführt wird. Das ist in 25 Jahren. Bis dahin wird es hoffentlich noch landauf, landab gespielt werden. Denn auch wenn es das Polizeipräsidium am Düsseldorfer Jürgensplatz nirgendwo anders gab: Den Widerstand gab es überall.

Michael S. Zerban