O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Katrin Ribbe

Ruhrtriennale 2022

Substanz reicht nicht

HAUS
(Sarah Nemtsov)

Besuch am
31. August 2022
(Uraufführung)

 

Ruhrtriennale, Jahrhunderthalle Bochum

Der Ehrgeiz der Intendantin Barbara Frey in allen Ehren: Mit den Musiktheaterproduktionen dieses Jahres scheint die Ruhrtriennale jedoch den letzten Rest an Bodenhaftung zu verlieren, den selbst noch die anspruchsvollsten Vorgänger Freys von Gerard Mortier bis Heiner Goebbels bewahrt haben. Die szenische Uraufführung von Sarah Nemtsovs Instrumentalkomposition Haus in der Turbinenhalle der Bochumer Jahrhunderthalle steigert den bereits abgehobenen Anspruch der Eröffnungsproduktion Ich geh unter lauter Schatten zu einer konzeptionell völlig überfrachteten multimedialen Melange.

Die Idee, ein Haus für eine musiktheatralische Raumperformance zu nutzen und alle Winkel und Nischen der noch mit alten Turbinen und diversen Aggregaten bestückten Halle musikalisch und visuell zu füllen, kann reizvoll sein. Die Komponistin, die Regisseurin Heinrich Horwitz sowie die Videokünstlerin Rosa Wernecke investierten auch viel Fantasie und Arbeit in die zweistündige Produktion. In der Tat bleiben etliche Bilder und optische, oft bizarr märchenhaft angehauchte Effekte Werneckes haften. Die Verknüpfung mit den in den letzten zehn Jahren entstandenen Kammermusikwerken Sarah Nemtsovs gelingt dagegen weit weniger überzeugend.

Foto © Katrin Ribbe

In einer halbstündigen Eingangsphase können die Besucher die Halle durchwandern und die aus allen Ecken teils elektronisch, teils live erklingenden Stücke für Flöte, Bassklarinette, Harfe, Keyboard und Schlagzeug auf sich wirken lassen. Musik mit einem hohen geräuschhaften Anteil. Im Hauptteil nimmt das Publikum auf einer Tribüne Platz, während ihm zwei fest installierte Instrumentalgruppen nebst einem Schlagzeuger nur noch einen licht- und videotechnisch angereicherten Konzertvortrag bieten. Wobei die begrenzte kompositorische und szenische Substanz bei weitem nicht ausreicht, um damit anderthalb Stunden einigermaßen anregend füllen zu können.

Wenig hilfreich sind die im Programmtext formulierten Versuche der Regisseurin, das alles mit feministischen Botschaften zur Gender-Thematik zu verknüpfen. Wovon sich in der Performance, von ein paar skurrilen Kostümteilen abgesehen, nicht das Geringste nachvollziehen lässt.

Die sechs Instrumentalisten führen Nemtsovs komplexe, in der Fülle jedoch zu lang geratene Werke mit beeindruckender Souveränität und stabiler Kondition aus. Den konzeptionellen Fehler, die Performance als zweistündiges Musiktheater zu präsentieren und nicht als begehbare Raum-Klang-Installation oder visuell angereichertes Konzert, können auch sie nicht korrigieren.

Ein aufwändiges, ehrgeiziges Projekt, das letztlich an den übersteigerten Ansprüchen der Macher scheitert und Barbara Freys Absicht, neue und breitere Publikumsschichten für die Ruhrtriennale zu erwärmen, nicht dienlich sein dürfte.

Pedro Obiera