O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Valentin Dobrun

Asphalt-Festival 2021

Ein Stück Lebensfreude

ROMEOS & JULIAS UNPLAGUED
(Yoshiko Waki, Rolf Baumgart)

Besuch am
15. Juli 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Central

Der Staat bleibt übergriffig, und die öffentlich-rechtlichen Medien unterstützen ihn nach Kräften. Ein Befund, der schon in Zeiten hoher Infektionszahlen äußerst fragwürdig war, allmählich aber zur ernsten Bedrohung wird. Gesundheits- oder Ordnungsämter, je nach Gemeinde, hätten mit sinkenden Inzidenz-Zahlen längst ihre erweiterten Aufgaben ablegen müssen. Stattdessen werden munter weiter Auflagen erlassen, die nur noch mit Behörden-Willkür zu erklären sind. Das beste Beispiel sind kulturelle Veranstaltungen wie das Asphalt-Festival. An einem Tag, an dem keine Neuinfektionen in Düsseldorf gemeldet werden, gelten folgende Regeln in der Spielstätte Central: Händedesinfektion, Maskenpflicht im Hause bis hin zu den Plätzen, Meldezettel und Abstand. Und wehe, du hast die Maske nicht korrekt im Gesicht. Da steht das Aufsichtspersonal schneller vor dir, als du denken kannst, um dich zu belehren. Selbstverständlich ist dem Personal kein Vorwurf zu machen, stellt es doch nur sicher, dass das Ordnungsamt keinen Anlass bekommt, das Festival abzubrechen. Vielleicht hätte ein weniger bestimmter Ton den gleichen Effekt gehabt, und der ausgestreckte Zeigefinger war vermutlich mehr Übersprungshandlung als gemeint. Aber über solche „Kleinigkeiten“ macht man sich in Deutschland längst keine Gedanken mehr.

Foto © Valentin Dobrun

Sehr wohl Gedanken über die Situation macht sich die Tanz-Kompagnie Bodytalk aus Münster in Kooperation mit der polnischen Tanz-Kompagnie Polski Teatr Tańca aus Posen. Erstmalig aufgeführt in Posen am 20. Juni, beschäftigt sich das Stück Romeos & Julias Unplagued von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart mit der Lebenssituation junger Liebespaare in einer Zeit, in der ein Virus weniger präsent ist als die Angst vor ihm, die Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen schüren. Nanako Oizumi ist für die Ausstattung verantwortlich. Ihre Ideen sind genial. Die Grundmaterialien sind „Schutzkäfige“, die an Plastikkleiderschränke erinnern, die man sich für die Winterwäsche in den Keller stellt, allerdings mit transparenten Seitenwänden. Ergänzt werden sie um dreiteilige Spiegel und eine fahrbare Plattform. Bei den Kostümen darf sie ihren Gedanken noch freieren Lauf lassen. Das reicht von Basics bis zu fantasievollen Blumenbikinis. Die Geschichte, die die 16 Tänzer aus Münster und Posen vertanzen, ist schnell erzählt. Ausbruch aus der Isolation in eine neue Freiheit, nicht ohne vorher getestet zu werden. Wer infektiös ist, wird gnadenlos aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Aus einer Gesellschaft, die feiern will. Da wird hemmungslos gerauft, gebalzt und getanzt, egal, ob in Gruppen, Pas de deux‘ bis hin zu Alleingängen bis zur völligen Erschöpfung. Waki und Baumgart finden hier großartige, teils gewaltige Bilder, denen sich die Zuschauer nicht entziehen können.

Damian Pielka sorgt für die pulsierende, wechselvolle musikalische Live-Untermalung. Wermutstropfen bleibt die technische Übertragung der Stimmen, die nicht nur wegen der Fremdsprachen unverständlich bleiben. An der Faszination des Abends ändert es nichts. Selbst dann nicht, wenn das Ende etwas kryptisch gerät und die Käfige sich in Särge verwandeln. Da gibt es ja immerhin noch die eine Tänzerin, die sich wieder erhebt und in eine ungewisse Zukunft davonschreitet … Das Publikum applaudiert nachhaltig – und vielleicht gibt es den einen oder anderen unter den Zuschauern, der nach diesem Abend noch einmal darüber nachdenkt, ob es nicht auch in der Eigenverantwortung liegt, sich in das Leben zurückzukämpfen, das der Staat inzwischen unbotmäßig vorzuenthalten scheint.

Beim Asphalt-Festival bleibt es bei der einen Aufführung. Die nächste Gelegenheit, das eindrucksvolle Stück zu erleben, bietet sich im September im Münsteraner Theater im Pumpenhaus.

Michael S. Zerban