O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Asphalt-Festival Düsseldorf

Fantasie des Wissens

THE STRANGE LIBRARY
(Bojan Vuletić)

Besuch am
20. Juli 2017
(Uraufführung)

 

Asphalt-Festival Düsseldorf, Weltkunstzimmer, Glashalle

Recomposing Art – so nennt Bojan Vuletić eine Reihe von Musikstücken, die sich mit Werken von Künstlern aus den Bereichen Poesie, Bildende Kunst, Fotografie, Film, Theater, Tanz und Literatur auseinandersetzen, die den Komponisten besonders beeindruckt haben. Bei der Auseinandersetzung mit diesen Werken handelt es sich ausdrücklich nicht um Nacherzählung oder Wiedergabe, sondern eher um Assoziation. Jetzt hat Vuletić das siebte Werk seiner Reihe anlässlich des Asphalt-Festivals vorgestellt.

The Strange Library (of Babel) liegen gleich zwei Bücher zugrunde. La Biblioteca de Babel von Jorge Luis Borges und The Strange Library von Haruki Murakami. Beide Werke setzen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema Bibliothek auseinander, gemeinsam ist ihnen die Faszination des Ortes an sich als auch als Sammlung von Wissen, so absurd es auch immer sein mag. In der Bibliothek von Babel entwirft Borges eine unendliche Bibliothek, die also die Bücher der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft aufnimmt. Hier werden die Menschen alt, ohne eine Antwort auf das gefunden zu haben, was sie umgetrieben hat. Bei Murakami gerät ein Junge in die Unheimliche Bibliothek eines Paralleluniversums, in der er vom Schafsmann in ein Labyrinth unter der Bücherei eingekerkert wird. Dort verschwimmen die verschiedenen Ebenen von Wirklichkeit und Buchwelten. Ein „kafkaesker Alptraum und zugleich eine einfühlsame Geschichte von Verlust und Einsamkeit“.

POINTS OF HONOR

Musik
Publikum
Chat-Faktor

Vuletić hat das nicht nur zu energetischer, sondern auch zu überraschend energischer Musik inspiriert. Erfrischend ist, dass er ohne Schlagwerk auskommt. Stattdessen besetzt er das Kammerorchester mit einem Streichquartett, Vibraphon, Saxophon, Querflöte und Trompete. Die Instrumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie in weiten Teilen von ihren Spielern nicht so genutzt werden, wie man das gewohnt ist. Zwar gibt es auch bei Geigen, Bratsche und Cello gestrichene Klänge, vor allem in den Auftakten, aber mindestens so häufig werden sie zum Zupfen, Reiben oder Vibrieren genutzt. Das Vibraphon wird statt mit Schlegeln gern auch mal mit Bögen genutzt und die Trompete wie auch Querflöte und Saxophon entsenden lautmalerische Töne oder auch Geräusche, die mit dem eigentlich gedachten Klang des Instruments wenig gemein haben. Bei Vuletić ist weniger ein Stück klassischer Musik zu hören. Vielmehr entsteht eine nahezu einstündige Klangwelt, die man durchaus als in sich geschlossen bezeichnen kann. Und gibt man sich nicht dem Fehler hin, nach den zugrundeliegenden Geschichten in der Musik zu suchen – außer an einer Stelle, an der entfernt so etwas wie eine Reminiszenz an ein Kinderlied erklingt, wird man da erfolglos bleiben – vermag man einzutauchen in eine weitere Wirklichkeitsebene, die in der Glashalle des Weltkunstzimmers gut aufgehoben ist. Dazu tragen auch die mit normal gesprochener Stimme bis geflüsterten Texte bei, die zwar weitgehend unverständlich bleiben, aber die Atmosphäre eindrucksvoll unterstreichen.

Bojan Vuletić – Foto © O-Ton

Für die Uraufführung hat Vuletić, zugleich einer der beiden Künstlerischen Leiter des Festivals, auf absolute Experten für Neue Musik zurückgegriffen. Zugute kommen ihm dabei seine guten Kontakte nach New York, wo das Stück als nächstes aufgeführt werden wird. Als „eines der kühnsten und wildesten Ensembles für Neue Musik in Amerika“ gilt das Mivos Quartet, das mit Olivia de Prato und Lauren Cauley an den Geigen, Victor Lowris an der Bratsche und Mariel Roberts am Cello die musikalischen Wünsche des Komponisten engagiert und mit tiefem Verständnis umsetzt. Hoch konzentriert steht auch Matt Moran an Vibra- und Xylophon. Nate Wooley hat sichtlich Spaß an den ungewöhnlichen Umgangsformen, die ihm Vuletić für seine Trompete in die Notenblätter geschrieben hat. Anna Kristin Webber wechselt mit pedantischem Gestus zwischen Saxofon und Querflöte. Der unbedingte Wille, das neue Werk möglichst gekonnt in Szene zu setzen, ist auch und gerade bei ihr spürbar.

Welche Anspannung und Ernsthaftigkeit die Musiker in das Werk stecken, wird erst beim aufbrandenden und nachhaltigen Applaus spürbar, als die Gesichtsmuskulaturen sich entspannen und die Instrumentalisten sich zu Recht über den Erfolg freuen. Dass die Tribüne in der Glashalle allenfalls zur Hälfte besetzt ist, scheint der Neuen Musik geschuldet. Weitaus ärgerlicher ist, dass keine Übertragungswagen der Rundfunksender vor der Tür stehen. Dass Sender, die ehemals für ihr Engagement in der zeitgenössischen Musik berühmt waren, heute kein Gespür mehr für außergewöhnliche Ereignisse in diesem Bereich entwickeln, ist über die Maßen enttäuschend.

Vuletić könnte an diesem Abend guten Grund haben, sich 50 Jahre älter zu wünschen. Denn parallel zu seiner Uraufführung wird im Deutschlandradio Kultur ein Konzert von Michael Gielen übertragen. An Qualität und Einfallsreichtum, so viel hat der Abend im Weltkunstzimmer gezeigt, mangelt es im Vergleich zur Radioübertragung nicht.

Michael S. Zerban