O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Neue Recken braucht der Ring

Merke: Selbst der Corona-Virus kann Alberichs Fluch nur bedingt aufhalten. Auf den großen Bühnen kann und darf der Ring des Nibelungen nicht dem Rhein entrissen, verflucht und nach vielen Todesfällen und nichts weniger als dem Ende der germanischen Götterwelt dem Rhein wieder zurückgegeben werden. Prominentes Opfer an dieser Stelle sind die Bayreuther Festspiele, deren Neuinszenierung um zwei Jahre verschoben wird.

Aber auf den digitalen Medien findet das Weltendrama in seinen Einzelteilen weiterhin statt. Das Material wird ja einfach nur wiederentdeckt oder im Falle dieser Neuerscheinung im letzten Jahr aufgenommen. Nachdem das Label BR Klassik im Jahr 2015 das Rheingold veröffentlicht hat, folgt nun die Walküre – aufgenommen in den ersten beiden Monaten des Jahres 2019 im Münchener Herkulessaal. In beiden Fällen liegt die musikalische Leitung bei Simon Rattle, der mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks voraussichtlich den gesamten Ring des Nibelungen erarbeiten wird. Über den Sinn oder Unsinn einer neuen Gesamtaufnahme kann dabei in der aktuellen Zeit nochmal neu nachgedacht werden. Normalerweise würde man sagen, der Markt ist übersättigt. Aber wenn die Kultur jetzt überwiegend auf dem digitalen Weg stattfindet und das vermutlich auch über den abgesagten Festspielsommer hinweg, dann bleibt ja nur noch der digitale Weg. Und wie sagt Wotan schon so schön im Rheingold: „Wandel und Wechsel liebt, wer lebt“.

Abwechslung versüßt das Hören und gerade bei Simon Rattle und dem Orchester gibt es unglaublich viel zu hören. Es ist einfach wunderbar zu hören, wie Rattle jeden Moment dieser Partitur durchdacht hat, ohne dass aber das Endergebnis dann verkopft wirkt, was das ein oder andere Mal schon vorgekommen ist. Aber hier entsteht genau dieser Sog einer Erzählung mit naturalistischen Effekten, mit tragischen Elementen, mit dramatischen Entwicklungen. Vielleicht nimmt Rattle das Aufflammen der Walsungen-Liebe ein bisschen zu pathetisch, aber das ist ja auch Geschmackssache. Erfreulich bei dieser Einspielung ist auch, dass das Orchester nicht nur sauber spielt, sondern dass es gelungen ist, auch eine gewisse Stimmung in die Aufnahme hineinzuretten. Leider wurde der Applaus des anwesenden Publikums der konzertanten Aufführung weggeschnitten, was immer etwas schade ist, da es den Charakter dann wieder etwas verfälscht. Aber dank einer guten Tontechnik sind Orchester und Sänger fabelhaft abgestimmt.

Was leider auch gleichzeitig ein kleiner Nachteil der Aufnahme ist. Das Vibrato in der Stimme ist ein komplexer und hoch diskutierter Bereich, vor allem wenn man noch den nicht so schönen Bruderbegriff Tremolo mit anschließt. Über ein tatsächliches Tremolo verfügt keine der hier zu hörenden Stimmen. Allerdings ist das auftretende Personal doch schon etwas in die Dienst-Jahre gekommen. Wenn man Land ein, Land auf Wagner interpretiert, dann wird die Stimme nun mal schwerer, das Vibrato größer und was in einem Saal mit entsprechender Akustik sehr angenehm schwingt, ist auf der CD eher unangenehm flackernd. Wenn dann nahezu alle Stimmen schon in besserer Verfassung bekannt sind, dann muss man doch wieder über den Sinn einer Neuerscheinung nachdenken.

Vielleicht braucht die Ring-Welt neue Recken und Heldinnen. Eva-Maria Westbroek beispielsweise ist der Sieglinde fast entwachsen, so sehr sie auch die Präsenz dieser Rolle bis ins kleinste beherrscht und solche Momente wie „der Männer Sippe saß hier im Saal“ mit Hingabe erzählt. Stuart Skelton ist ein wenig der Glanz abhandengekommen. Er singt einen leicht farblosen Anti-Helden, aber mit schöner Piano- und Legatokultur. Der Hunding von Eric Halvarson ist natürlich ein finsterer Zeitgenosse, durch und durch grausam, aber eben auch schon mit einer Tendenz zum Großvater. In der Götterwelt herrscht der Wotan von James Rutherford immer noch souverän, aber eben nur souverän und dazu weist seine Stimme schon den ersten Verschleiß auf. Elisabeth Kulman ist seine Gattin Fricka. Ausgerechnet sie, die so gut wie in keiner Oper mehr auftritt und dazu angekündigt hat, 2021 ihre Gesangskarriere zu beenden, bietet mit ihrer wortdeutlichen Charakterstudie die beste Leistung dieses Albums. Auch Irene Theorin hat ihre Turandots, Isolden und diversen Brünnhilden noch hörbar gut überstanden und weiß dank ihrer Erfahrung jugendliche Dramatik zu kreieren.

Alles in allem sicher ein schönes Zeitdokument und für die Fans der jeweiligen Opernstars ebenso sicher ein Muss, aber insgesamt ist die Konkurrenz auf diesem Sektor zu groß.

Rebecca Broermann