O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Album

Klangflächen und Rhythmuslinien

Wer die neue CD The Next Billion Years zur Hand nimmt, die Robot Koch im April 2020 auf dem im vergangenen November von BMG gegründeten Label Modern Recordings veröffentlicht hat, wird gleich doppelt auf das besondere Unternehmen vorbereitet, das Koch produziert hat: Zum einen ist die Hülle  des Albums mit abstrakten, grau-braun changierenden, verfremdeten  Nebeln oder Eiskristallfiguren dekoriert, zum anderen hat der Komponist seinen bürgerlichen Namen Robert in den CD-affinen Robot verwandelt und betont damit ein wesentliches Merkmal der von ihm und einem kleinen Orchester im Studio produzierten CD. Koch liefert auf einem Beipackzettel auch Hinweise auf sein Weltverständnis, das er gern zwischen Humanismus und Futurismus angesiedelt sehen möchte. Er bekennt, fasziniert von Science-Fiction zu sein und möchte mit seiner Musik „die Grenzen des Bekannten und Möglichen“ erweitern. Mit dem Künstler Michael Le Goff will er sich auf eine „musikalische Erkundung des Weltraums“ begeben und schafft dazu eine abstrakte Musik mit großflächigen Klangfarben und feinen, meist zurück genommenen Rhythmuslinien.

Obwohl die insgesamt zwölf Einzelstücke alle mit Realtiteln versehen sind, jeweils zwischen vier und sechs Minuten lang, wecken sie kaum analoge Assoziationen. Mit sphärisch-elektronischen Klängen, verfremdeten Streicherpassagen und sparsam eingesetzten Basseinwürfen beginnt Koch in dem Stück Manipura sein Albumg. Im zweiten Stück Liquid herrschen Trommeltöne vor. Harte Trommelrand-Schläge, rim clicks, lassen kaum Raum für harmonische Klänge, und im Stück All Forms are unstable sind Gliederungselemente nur schwer zu erkennen. Durchlaufende Arpeggien und Geräuschschleier in der Komposition Stars as Eyes erinnern bestenfalls an Sternennebel, im Stück Nebula treibt ein harter beat das Tempo an, um von schwebenden Klangflächen abgelöst zu werden. Auch im Stück Dragonfly erklingen keine melodischen Linien oder Akkorde, flatternde Klangflächen mit sphärischem Charakter werden immer wieder von harten beat-Einwürfen unterbrochen. In der Komposition Hawk breitet Koch schwebende Klangfelder aus, die elektronisch verfremdet sind. Der zunächst im Hintergrund gespielte Rhythmus tritt immer härter und lauter in den klanglichen Vordergrund. Im Stück Glow erklingen zunächst bläserähnliche, melodische Klangpartien mit einer ostinaten Tonbegleitung, bevor sich ein sanfter beat und Dreiklangvariationen dazu gesellen. Eher filigran arbeitet Koch in der Komposition Post String theory, wenn er Schüttelgeräusche mit einfach Melodien und eingeworfenen piano-ähnlichen Einzeltönen verbindet. Nach eigenen Worten verdankt Koch den Impuls zu seinen Kompositionen einem Vortrag des Unterwasserforschers Jacques-Yves Cousteau mit seinen Überlegungen zum „Überleben unserer Spezies“, denen er voll zustimmt. Ihm widmet er das Stück Cousteau, in dem er einem elektronisch-flächigen Wabern eine leichte Schlagwerkbegleitung im Hintergrund hinzu fügt. Wenn Particle Dance erklingt, kann sich der Hörer leicht bei durchlaufenden Trommeln und einer Bassdrum die optische und akustische Mischung vorstellen, die Koch hier in Klänge umzusetzen versucht. Auch im letzten Stück Kassel bleibt das Musikalische auf verschachtelte Rhythmen, gelegentlich Gitarreneinwürfe und eine rätselhafte Geräuschkulisse beschränkt. Bei leichter Trommelbegleitung verschwinden langsam schwebende Klänge immer mehr im Diminuendo.

Koch arbeitet bei diesem Album mit dem Künstler Mickael Le Goff und dem estnischen Dirigenten Kristjan Järvi und seinem Orchester zusammen, außerdem setzt er ein umfangreiches elektronisches Equipment ein. Einen näheren Eindruck von seiner Arbeitsweise zeigt ein Dokumentarfilm auf YouTube.

Robot Koch hat ein Album produziert, mit der er versucht, seine Zuhörer auf eine „erlebbare audiovisuelle Reise durch den Weltraum“ zu schicken. Wer sich den Soundtrack von Stanley Kubricks 2001. Odyssee im Weltraum von 1968 anhört, wird feststellen, wie weitgehend sich die Digitalisierung der Musik und damit die Musik als Ganzes verändert haben und um wie vieles bunter, variationsreicher und selbständiger diese „digitale Musik“ geworden ist. – Ob die „Idee von kosmischem Bewusstsein“ der Musik einen neuen, einen digitalen „Klassiker“ hervorgebracht hat, ist noch nicht klar. Und ob die Aufnahmen Kochs Grundfrage beantworten, „wie die Zukunft aussehen könnte“, werden die Zuhörer ohnehin für sich entscheiden.

Horst Dichanz