Kulturmagazin mit Charakter
Buch
Was ist ein guter Journalist? Vielleicht jemand, der mit brillanten Gedanken glänzt, die er in eine für jedermann gutverständliche Sprache gießt. Der Sprache mit Respekt begegnet, die sein Instrument ist, und sie schützt, um nicht leichterdings sein Handwerkszeug aus den Fingern zu geben. In keinem Fall wird er sie nutzen, um Ideologien hinterherzulaufen und die Gesellschaft zu spalten. Legt man dieses Verständnis von Journalismus zugrunde, braucht man das Buch Die Zwei-Klassik-Gesellschaft von Axel Brüggemann, das bei Frankfurter Allgemeine Buch erschienen ist, gar nicht erst aufzuschlagen. Der Autor will seine Leser über knapp 250 Seiten mit der Ignoranz der Rechtschreibregeln quälen, indem er die geforderte Ökonomie der Sprache außer Acht lässt, die einfache Regel unberücksichtigt lässt, nach der bei einer Doppelung von Begriffen der kürzere nach vorn gestellt wird, und Gruppen ohne Not in Geschlechter teilt. Dass er dabei auch gleich in Anglizismen schwelgt, verdirbt endgültig jeden Lesegenuss.
Aber, so könnte man argumentieren, wenn jemand einen wichtigen Beitrag zu einer Debatte – um eines von Brüggemanns Lieblingswörtern zu nennen – leisten kann, darf das ja kaum an mangelnden Sprachkenntnissen scheitern. Schließlich schlösse das einen Großteil der Bevölkerung von jeder Diskussion aus. Brüggemann, der als Kulturjournalist arbeitet und sich gern als Berater und Ideengeber bei „hochkulturellen“ Ereignissen wie den Festspielen von Bayreuth und Salzburg sieht, versucht sich an einer Analyse der Situation der Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu teilt er die Gesellschaft in zwei Lager. Jene, die der alten Ordnung, was auch immer das sein mag, anhängen, und jene, die eine „Transformation“ der Kulturlandschaft herbeireden wollen. Ein netter Gedanke, um ein Buch zu schreiben, aber zu viel mehr taugt die Spaltung nicht. Da ist zu lesen, das Vertreter der „sterbenden Generation“ hofften, dass Bühnen und Konzertsäle kulturelle Bollwerke gegen den allgegenwärtigen Wandel würden, sich gar den allgemeinen Transformationstendenzen verweigerten. Woher der Autor diese soziologischen „Kenntnisse“ bezieht, verschweigt er. Mindestens ebenso so willkürlich ist die Festlegung einer „letzten Generation“. Damit hat sich auf Seite 25 eine schlüssige Argumentation erledigt.
Darum scheint es Brüggemann auch weniger zu gehen. In den folgenden Kapiteln des rund 250 Seiten umfassenden Buchs wärmt der Autor allzu Bekanntes auf, wobei ja durchaus auch Wahrheiten auftauchen, wenn er sich etwa im zweiten Kapitel über die Schwächen der Musikausbildung in Deutschland auslässt, die ja in der Tat längst krisenhafte Zustände erreicht hat. In Kapitel drei wird es ärgerlich, wenn Brüggemann über den Skandal berichtet, den „Journalisten“ verursachten, als sie Menschen als „sozial produzierten Menschenmüll“ bezeichneten. Mit keinem Wort erwähnt der Mann, der sich sonst nicht scheut, Namen zu nennen, dass diesem Personenkreis, dem das Zitat zugeschrieben wird, zum Beispiel Eleonore Brüning oder Manuel Brug angehören, die sich bis heute nicht von der Äußerung distanziert haben und weiter für die Neue Zürcher Zeitung oder die Welt schreiben dürfen, als sei nichts geschehen. Anstatt die Frage zu stellen, was Schreiberlinge mit einem solchen Menschenbild qualifiziert, sich über kulturelle Fragen zu äußern, spielt Brüggemann die Menschenverachtung als „Snobismus“ herunter und kritisiert politische Tatenlosigkeit und die Unfähigkeit eines Theaters, sich mit Notständen vor der eigenen Haustür auseinanderzusetzen. Beides stimmt nachgewiesen nicht. Das findet in einem Kapitel statt, in dem es um Machtmissbrauch hinter den Kulissen geht.
Auch in Kapitel vier versucht Brüggemann, bestehende Narrative zu verfestigen, wenn er das Ende der Musikkritik beklagt. Der Niedergang des Feuilletons sei unaufhaltsam und damit die Musikkritik beendet, ist da sinngemäß zu lesen. Mon dieu, das Feuilleton ist seit mindestens 20 Jahren tot, weil die Menschen nicht länger die Selbstbeweihräucherung der „Kritiker“ – ich zeige euch jetzt mal, wie schlau ich bin – hinnehmen wollten. Neue Formen der Kritik, die im Internet Gestalt annehmen, haben in den Augen des Autors keine Geltung. Schöne Grüße aus vergangenen Jahrhunderten. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Dass sich Hobby-Schreiber auf entsprechenden Plattformen äußern, kommt beim Publikum durchaus an. Und auch für ernsthafte Kritiken, die moderne Bedürfnisse berücksichtigen, indem sie den Theaterbesuch als Gesamtereignis begreifen, gibt es ein Publikum, von dem die gedruckte Presse nur träumen kann. Bis dahin reicht die „Analyse“ des Autors allerdings schon nicht mehr. Auch der Hinweis, dass nunmehr jeder seine Meinung in den so genannten Sozialen Medien äußern könne, zeugt kaum von qualifizierter Kenntnisnahme. Immerhin fehlt dann der Hinweis nicht, dass Theater auf kontroverse Kritik angewiesen sind. Und bei genauerer Betrachtung hätte Brüggemann durchaus herausgefunden, dass es die auch gibt – aber eben im Internet und nicht in den Jubelkritiken der örtlichen Tageszeitungen.
Es langweilt schon, in der Tagespresse die Pressemitteilungen von Orchestern lesen zu müssen, die jetzt häufiger mit dem Zug als mit dem Flugzeug verreisen wollen, oder von Stadttheatern, die ihre Beleuchtung reduzieren, damit mehr Strom für Elektroautos übrigbleibt. Nun, auch der moderne Autor will nicht auf ein solches Mainstream-Kapitel verzichten, das man getrost überschlagen kann. Weder trägt es zum Verständnis einer Kulturkrise bei, noch interessiert einen Theater- oder Konzertbesucher, wie die Musiker oder Darsteller zu ihm kommen. Auch das Kapitel über verschiedene Vermarktungsmodelle für Musiker ist überflüssig wie ein Kropf, zumindest in der dargestellten Form. Im Kapitel über Präsentationsformen gibt es noch so etwas wie Kritik, wenn Brüggemann zurecht anmerkt, mit welcher Fahrlässigkeit Theater und Konzerthäuser die digitale Welt ignorieren.
Zum Schluss, eigentlich löblich, gibt es 45 „Denkanstöße“ für die weitere Debatte. Die Idee ist gut, nur einfach schlecht umgesetzt. Wenn Brüggemann kaum mehr dazu einfällt, als dass Theater und Konzerthäuser sich wieder verstärkt im Bewusstsein der Gesellschaft verankern müssen, ist es schlecht um die Zukunft der Kultur bestellt. Man könnte hier vieles anführen, angefangen dabei, die Blasen aufzulösen, in denen sich die Kulturarbeiter einigeln, bis hin zu der Frage, ob wir tatsächlich die bisherigen Formen der Kulturpräsentation noch brauchen, oder wie wir mehr Vielfalt in die Kultur bringen, indem wir beispielsweise die Existenzen von Einzelkünstlern oder kleinen Ensembles sichern. Aber vielleicht spielen solche Fragen über einen Horizont hinaus, der sich in Bayreuth und Salzburg begrenzt. Brüggemann hat hier eine Chance verspielt, die Zeit seiner Leser vergeudet und darüber hinaus ihre Geldbörse über Gebühr belastet.
Michael S. Zerban