O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Erinnerung des Herzens

Was schenkt man einem großen Künstler zu seinem 80. Geburtstag? Diese Frage haben sich sicher viele Freunde und Weggefährten von Bernd Weikl gefragt, der am 29. Juli diesen runden Geburtstag feiern durfte. Da man auch im Vorfeld nicht wusste, ob wegen der Covid-19-Pandemie überhaupt eine größere Feier möglich war, kam man auf eine ganz besondere Idee. Eine Gruppe von Freunden Weikls ist seit Jahren lose miteinander verbunden; man lernte sich bei Veranstaltungen mit ihm kennen und traf sich von Zeit zu Zeit bei solchen Gelegenheiten. Ein Höhepunkt war in dieser Hinsicht die Einweihung des Museums Kammersänger Bernd Weikl als eines staatlich anerkannten Privatmuseums des Freistaates Bayern in Bodenmais am Arber, der Heimat seines Vaters, wo Weikl auch Ehrenbürger ist. Im Namen des Freundeskreises übernahmen Klaus Billand, Opernkritiker, Christoph Dammann, Direktor des Kulturreferates der Stadt Kaiserslautern, Gerald Diesener vom Leipziger Universitätsverlag, Albert Gier, Librettologe und Romanistik-Professor, Heinz Irrgeher, Musikautor, und Christiane Meine, Ärztin, als verantwortliche Herausgeber, die persönlich gehaltenen Glückwünsche zu Weikls 80. Geburtstag zu sammeln. Freunde, Kollegen und Weggefährten des Jubilars wurden eingeladen, sich an diesem Projekt zu beteiligen.

Entstanden ist nun eine Festgabe, ein bilderreicher Band mit rund 80 zum Teil sehr persönlichen, handschriftlichen Glückwünschen von Freunden, Kollegen, Institutionen oder Bewunderern. Sie eint die Wertschätzung für einen brillanten Sänger, der gerne auch als der „Jahrhundert-Sachs“ bezeichnet wird, aber auch für einen klugen und nicht immer bequemen Kopf, der in vielen Büchern, Schriften, Meisterkursen und Vorträgen frei nach dem Wagnerschen Motto „Hier gilt’s der Kunst“ ein Verfechter derselben ist.

Denn neben seiner strahlenden Sänger-Karriere hat er sich stets im besten Sinne des Wortes als „homo politicus“ begriffen, der zu Entwicklungen in der Gesellschaft – seien sie im Bereich der Politik, der Kunst oder der Bildung angesiedelt – seine Stimme erhob. So schreiben es die Herausgeber in ihrem Vorwort. „Den Bildungsauftrag staatlich subventionierter Institutionen im Kunstbetrieb mahnte er beispielsweise immer dann an, wenn ihn Fehlentwicklungen beunruhigten. Bücher aus seiner Feder beschrieben ganz unterschiedliche Problemlagen in bestechender Klarheit, er verlor hier nie den Blick auf das jeweilige Ganze und sparte neben vielen Überlegungen zu wünschenswerten zukünftigen Entwicklungen nicht an Kritik, wo es ihm notwendig erschien.“

Seine Baritonstimme gilt als die schönste ihrer Zeit, voluminös, rund und weich, markant und lyrisch, dreieinhalb Oktaven umfassend. Als „kraftvoll“ und „vielseitig“ lobte die Fachwelt die Stimme von Weikl, der am 29. Juli 1942 in Wien geboren wurde, in Bodenmais im Bayerischen Wald und in Mainz aufwuchs und Sänger wurde. Sein Repertoire umfasst an die 120 Opernpartien, von Mozart, Verdi, Wagner und Strauss bis Heinrich Sutermeister und Wilfried Hillers 2003 in Nürnberg uraufgeführter Oper Oswald von Wolkenstein über den mittelalterlichen Minnesänger, die Hiller für Weikl komponiert hat. Mit den Pianisten Cord Garben, Irwin Gage und Helmut Deutsch gab er Liederabende im In- und Ausland, sang Beethoven, Schubert und Hugo Wolf.

Bei den Bayreuther Festspielen war Bernd Weikl für ein Vierteljahrhundert eine tragende Säule, insgesamt 226 Aufführungen auf dem Grünen Hügel weist die Aufführungsdatenbank der Festspiele aus. Eine Woche vor seinem 30. Geburtstag, am 21. Juli 1972, debütierte Weikl mit der Partie des Wolfram von Eschenbach in Wagners Tannhäuser in Bayreuth, in der legendären Inszenierung von Götz Friedrich. Die musikalische Leitung hatte Erich Leinsdorf und Gwyneth Jones war in der Doppelrolle als Venus und Elisabeth zu sehen. 34-mal sang Weikl diese Partie, die sein Durchbruch im Wagner-Fach war. Am 20. August 1996 sang Weikl zum letzten Mal in Bayreuth, die Partie des Amfortas im Parsifal in der Inszenierung von Wolfgang Wagner und unter der musikalischen Leitung von Giuseppe Sinopoli. Insgesamt 74-mal verkörperte Weikl im Zeitraum von 1975 bis 1996 den leidenden König. Doch seine Lebenspartie wurde der Hans Sachs in den Meistersingern von Nürnberg. Nachdem er in den Jahren 1973 bis 1975 schon 20-mal als Nachtwächter Nürnberger Luft geatmet hat, stand Weikl am 26. Juli 1981 mit gerade mal 39 Jahren zum ersten Mal als Sachs auf der Bühne, in einer Inszenierung von Wolfgang Wagner unter der musikalischen Leitung von Mark Elder. Bis zum 29. August 1988 stand Weikl 43-mal als Schusterpoet in Bayreuth auf dem Grünen Hügel. Den fliegenden Holländer in der Inszenierung von Dieter Dorn sang Weikl in den Jahren von 1990 bis 1993 gleich 31-mal, und den Heerrufer im Lohengrin gab er von 1979 bis 1982 insgesamt 26-mal.

In diesem Vierteljahrhundert stand er in Bayreuth mit dem „Who is Who“ des Wagner-Gesangs auf der Bühne und prägte eine Ära, die bis heute unerreicht ist. Hinzu kommen die unzähligen Aufführungen in München, Wien, London, Mailand, New York und so vieles mehr. Weikl war als Sänger, aber auch als Künstler und Freigeist ein Botschafter Deutschlands in der ganzen Welt. Der Bariton, der Oper als Bildungsauftrag versteht, ist Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und erhielt Auszeichnungen als Österreichischer, Bayerischer und Hamburger Kammersänger. Seine 2007 erschienene Autobiografie hat er Licht & Schatten. Meine Weltkarriere als Opernsänger genannt und schildert darin seine Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Herbert von Karajan, Karl Böhm, Carlos Kleiber, Leonard Bernstein, Lorin Maazel, Wolfgang Sawallisch, Horst Stein, James Levine, Christoph von Dohnányi und vielen anderen.

So ist diese Festgabe zum 80. Geburtstag von Weikl auch ein Stück Zeit- und Musikgeschichte, die über ein gutes halbes Jahrhundert reicht. Es ist nicht nur Verehrung ob der großen Stimme, es ist auch die Anerkennung für sein Engagement, für seine warmherzige Persönlichkeit und für sein großes kulturelles und bürgerliches Engagement. So schreibt Edda Moser in ihrem Grußwort auch über die vielen Entbehrungen, die Künstler oft hinnehmen müssen: „Nach den vielen Entbehrungen fragte niemand, und ‚Entbehrung‘ lernten wir erst, als sich der Vorhang nach dem letzten Auftritt schloss. Ach, Bernd Weikl, wieviel Glück hattest Du, einen der ersten Plätze im Weltall zu besetzen. Im Weltall der Musik. – Du großer weiser Darsteller und Interpret des Geheimnisses des Singens.“ Sie schließt ihre persönlichen Worte mit den sehr nachdenklichen Zeilen: „Wenn’s zum Ende geht, ist jeder einsam, Ende der Karriere, Ende der Erregung, Ende des Lampenfiebers, Ende der Verantwortung, die einem in die Hand gegeben wurde durch einmalige Fähigkeiten. Es gibt keinen Trost. Es gibt aber Dankbarkeit. – Und ‚Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens‘ (sagte der Fuchs zum Kleinen Prinzen). Auch das gehört natürlich zu einer großen Karriere, der Moment des Abschieds von der Bühne, die Endlichkeit des eigenen Seins.“

Als erste Gratulantin in diesem Buch haben die Herausgeber des Werks die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner, prominent gesetzt. Mit offiziellem Briefkopf der Festspiele, maschinell geschrieben, heißt es da: „Ich darf Ihnen, verehrter Kammersänger Bernd Weikl, sehr herzlich zu Ihrem 80. Geburtstag gratulieren. Fast 25 Jahre waren Sie eine der tragenden Säulen der Bayreuther Festspiele und haben mit Ihrer Stimme und Darstellungskraft das Publikum und alle Mitwirkenden in den Bann gezogen. Als Buchautor, Dozent und Regisseur haben Sie ihren enormen Erfahrungsschatz weitergegeben und für die Nachwelt festgehalten. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin beste Gesundheit und die Neugier auf alles Kommende. Mit herzlichen Grüßen, Ihre Katharina Wagner“. Diese „Gratulation aus Bayreuth“ hat den Charme einer Verlautbarung in einem Amtsblatt. In der Vergangenheitsform käme sie auch als Nachruf in einer Todesanzeige zur Geltung. Auf Nachfrage bei einem der Herausgeber wird deutlich, wie wenig ein Sänger der Vergangenheit bei Katharina Wagner zählt. Drei Tage vor Redaktionsschluss hatte es keine Antwort aus Bayreuth gegeben, und erst das nochmalige beharrliche Nachfragen ergab kurz vor knapp das Statement, das hervorragend zu der aktuellen Diskussion um die Festspielleitung Katharina Wagners passt. Dürftiger und weniger empathisch kann man einen verdienten Sänger nicht mehr würdigen. Als Katharina Wagner geboren wurde, hatte Bernd Weikl bereits 67-mal in Bayreuth gesungen. Seine beiden großen Partien, der Sachs und der Amfortas, hat er in Inszenierungen ihres Vaters Wolfgang Wagner gesungen, der Weikl als jungen Sänger nach Bayreuth geholt und ihn gefördert hat. Wolfgang Wagner hätte sicher sehr persönliche, handschriftliche Grüße versendet, denn für ihn waren seine Sänger Teil der Bayreuther Familie. Ein Foto von einem Gartenfest in Bayreuth zeigt den jungen Weikl mit Wolfgang Wagner und anderen Mitwirkenden bei einem geselligen Bier. Solche Gedanken sind Katharina Wagner fremd, und die Peinlichkeit ihres Grußes steht für sich.

Wenn man dann im Buch schnell weiterblättert, kann man noch einmal den „Wahnmonolog“ des Hans Sachs aus dem dritten Aufzug der Meistersinger von Nürnberg nachlesen, neben der Schlussansprache die wohl wichtigsten Worte des Schusterpoeten, die auch titelgebend für die Festschrift sind. Eine Collage aus den Kalenderblättern Weikls von 2010 bis 2015 zeigt sein großes Engagement auch noch im fortgeschrittenen Alter. Und dann beginnt der Reigen der Gratulanten. Die meist handgeschriebenen Grüße werden, falls nicht in deutscher Sprache, übersetzt und sowohl im Original als auch in Maschinenschrift zum besseren Lesen abgedruckt, oft mit persönlichen Fotos der Gratulanten, die auch auf die enge Verbindung zum Sänger verweisen. Eröffnet wird der bunte Blumenstrauß persönlicher Glückwünsche von Placido Domingo. Er beginnt seinen Gruß mit „Amfortas! Die Wunde!“ und schreibt über ihre gemeinsamen Aufführungen des Parsifal in Bayreuth, den Domingo 15-mal sang. Hier erweist einer der größten Sänger seinem ein Jahr jüngeren Kollegen Achtung und Anerkennung. Den Brief schließt Domingo mit den Worten: „Dear Bernd, stay healthy and let us open a bottle, when we meet the next time. Es lebe der Champagner, der König aller Weine. Alles Gute, Dein Placido“. Eine Reminiszenz an diverse Aufführungen der Fledermaus, die Domingo in Wien dirigierte und in denen Weikl den Eisenstein gab.

Zu den Gratulanten zählen Wilfried Hiller, der Komponist der Oper Wolkenstein, und der Regisseur Percy Adlon, der die Uraufführung des Werkes mit Weikl in Szene setzte. Die Anrede: „Viel geliebter Weiklsteiner, auch ‚Wölkchen‘ genannt …“ lässt erahnen, wie herzlich und innig das Verhältnis der Protagonisten zur Uraufführung am 6. März 2004 in Nürnberg gewesen sein muss. Was Katharina Wagner in ihrem Grußwort vermissen lässt, holt Sven Friedrich, der Leiter des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth, mit einer Hommage und Würdigung der Lebensleistung Weikls nach. Auszüge aus Presseberichten, die den jungen Weikl bei seinem Debüt als Wolfram von Eschenbach in Bayreuth in den Himmel lobten, lesen sich heute wie „aus längst vergangenen Zeiten“. Friedrich ergeht sich aber nicht in reiner Lobhudelei, sondern analysiert scharfsinnig die Karriere Weikls in Bayreuth, und lässt auch nicht aus, warum er auf dem Grünen Hügel nicht den Wotan gesungen hat.

Christian Thielemann bringt es in einem kurzen, aber prägnanten Gruß auf den Punkt: „Lieber Bernd, die Zusammenarbeit mit Dir ist mir unvergesslich! Wie oft habe ich Dich gehört und Deine Gestaltungsgabe bewundert.“ Pianist Helmut Deutsch, der mit Weikl Franz Schuberts Winterreise eingespielt hat, denkt mit berührenden Worten an die gemeinsame Arbeit zurück, und Brigitte Fassbaenders Geburtstagsgruß an den drei Jahre jüngeren Kollegen liest sich wie eine Liebeserklärung: „Und wenn ich an Dich denke, dann sehe ich einen ‚Lieblings-Guglielmo‘ vor mir, dessen viriler Schöngesang, dessen verführerischer Mund und dessen verschmitzte Augen mein Dorabellen-Herz höher schlagen ließ! Ich glaube, wir waren ein ziemlich sexy-Paar auf der Bühne ….“ Dame Gwyneth Jones, die bei Weikls Debüt in Bayreuth im Tannhäuser die Venus und die Elisabeth gleichsam verkörperte, beginnt ihren Gruß mit einem Zitat der Feldmarschallin aus dem Rosenkavalier von Richard Strauss: „Die Zeit ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.“ Und in ihren Erinnerungen an die gemeinsame Tannhäuser-Produktion schreibt sie. „Jedes Mal blieb ich, nachdem ich Elisabeths Gebet im dritten Akt gesungen hatte, auf der Seite stehen, um Wolframs und Deinem wunderschönen Gesang an den Abendstern zu lauschen …“ Und Moser, die ja schon im Grußwort des Buches berührende Worte fand, schreibt in einem persönlichen Brief an Bernd Weikl herzlich, dass man als Leser einfach berührt und auch gerührt sein muss: „Ich denke oft daran, wie wir an der Staatsoper zu Wien Figaro sangen, Du den Conte, ich die Contessa, und wir standen vor unserem Auftritt, und Du sagtest: ‚Also ich singe die Rolle nicht gern‘. Du gingst hinaus auf die Bühne, und der Himmel öffnete sich … Horst Stein lächelte, und Mozart da oben wahrscheinlich auch … Du großer wunderbarer Sänger! Lächeln unter Tränen und Erinnerungen, welche Dankbarkeit des Herzens sind. Deine Edda Moser.“ Schöner kann man Kollegialität und Freundschaft nicht mehr ausdrücken.

Doch es sind nicht nur die großen Sänger, die ihre Verbundenheit mit Weikl zum Ausdruck bringen, auch weniger bekannte Freunde, Kollegen, Bewunderer kommen im Buch zu Wort, und deren Herzlichkeit steht den eben zitierten in keiner Weise nach. Mit einem gewissen Schmunzeln darf man das Schreiben des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes Straubing lesen: „Gerne erinnern wir uns an Ihr Gastspiel anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Zentralen Bußgeldstelle des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes in Viechtach 2007 zurück. Ihr künstlerischer Beitrag hat diesen Jahrestag zu einem besonderen Ereignis gemacht. Als Ehrenkommissar werden Sie immer ein Teil des PVA bleiben.“ Das zeigt, dass Weikl nicht nur auf den großen Bühnen der Welt zuhause war, sondern die Gemeinschaft seiner väterlichen Heimat zu schätzen wusste, bürgerlich und volksnah.

Und so ist die Festschrift ein buntes Potpourri persönlicher, herzlicher Grüße zu Weikls 80. Geburtstag, initiiert durch Freunde, die Weikl nicht nur als Sänger, sondern auch als Mensch schätzen und ihre Zuneigung mit diesem Buch zum Ausdruck gebracht haben. Für Freunde von Weikls Gesang und seiner Darstellung ist das Werk ein Muss, aber auch wer ihn nicht näher kennengelernt hat, wird an diesem Buch mit vielen Fotos seine Freude haben. Kleine Empfehlung zur Lektüre: Ein guter Rotwein und auf CD den dritten Aufzug der Meistersinger von Nürnberg in der legendären Aufnahme des Bayerischen Staatsorchesters unter Wolfgang Sawallisch, natürlich mit Bernd Weikl in seiner Paraderolle als Hans Sachs. „Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“

Andreas H. Hölscher