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Buch

Zu kurz gesprungen

Markus Behr ist in Hannover geboren, studierte Germanistik und Anglistik in Göttingen. Er reüssierte als Kabarettist, produzierte mehrere Hörspiele und leitete fünf Jahre lang ein Sprechtheater-Ensemble. Heute lebt Behr im Ruhrgebiet und unterrichtet an einem Gymnasium des zweiten Bildungswegs. Vor vier Jahren erschien sein Debütroman Vaterschaftstest. Jetzt legt er sein zweites Werk vor.

Eigentlich läuft es für Jonas ganz gut. Er ist Bassist in einer Band, die kurz vor dem Durchbruch steht. Das könnte ihn sogar vor dem ungeliebten Studium bewahren. Aber wie in solchen Fällen durchaus üblich, wird die Band vor dem ganz großen Auftritt noch einmal neu aufgestellt. Was in seinem Fall bedeutet, dass er raus ist. Mit der Freundin ist Schluss. Wie soll es weitergehen? Er macht sich auf den Weg nach Amsterdam, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Auch Chiara steht vor einer ungewissen Zukunft. Sie packt ihre Gitarre ein und reist ebenfalls nach Amsterdam. Sie will dort Straßenmusik machen. Kurz begegnen sich die beiden im Zug. Während Jonas mehr oder minder orientierungslos durch die niederländische Metropole irrt, lernt Chiara in einer Kneipe drei Tänzerinnen kennen. Auch sie hat eine Beziehung hinter sich – wie es heute zum guten Ton zu gehören scheint, ist sie lesbisch und hat sich von ihrer Freundin getrennt. Die drei Tänzerinnen sind ebenfalls lesbisch. Sie nehmen Chiara mit in ihre Ferienwohnung. Dort stellt sie fest, dass sie ihre Gitarre in der Kneipe vergessen hat. Jonas kehrt in dieselbe Kneipe ein und findet die Gitarre. Weil sich im Lokal niemand dafür zuständig fühlt, nimmt der Musiker das Instrument in dem festen Vorsatz mit, es am nächsten Tag wieder zurückzubringen. Bevor er es dort abliefern kann, spielt er auf der Straße, wo ihn Chiara sieht und ihre Gitarre zurückverlangt.

Sie treffen sich wieder, spielen gemeinsam auf der Straße. Könnte alles gutgehen und sich beispielsweise zu einem Road-Movie entwickeln. Weil aber Jonas offenbar auf dem Stand eines 17-Jährigen ist, bricht er ab und kehrt nach Deutschland zurück. Auch Chiara, die sich nicht zwischen zwei Lesben entscheiden kann, beendet ihren Aufenthalt in den Niederlanden. Derweil verbreitet sich ein Video von ihrem Straßenauftritt in den sozialen Netzwerken, so dass sie eine gewisse Berühmtheit erlangen. Jonas‘ frühere Band erkennt nun, dass der neue Bassist doch nicht so überwältigend ist, und das neue Label möchte gern Chiara und Jonas in die Band integrieren. Die beiden entscheiden sich dagegen. Das Ende bleibt offen.

216 Seiten lang geht das. Und doch plätschert die Erzählung an der Oberfläche dahin. Für große Gefühle ist kein Platz mehr, aber auch die Zweifel bleiben im Ungefähren. Obwohl alles nett und flüssig im Stil eines Jugendbuchs erzählt ist, gelingt es dem Autor nicht, den Leser zu packen. Das Thema Straßenmusik, das man hätte hinter dem Titel des Buchs vermuten können, findet so gut wie gar nicht statt. Dafür hätte es allerdings auch einer Recherche bedurft, die der Autor offenbar erst gar nicht angestellt hat. Das Ganze erinnert an einen dieser netten Spielfilme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Weichgespült und zeitgeistig plätschern die „Konflikte“ vor sich hin, ein Hauch von Blümchen-Lesben-Sex inklusive, bis die 90 Minuten vorbei sind. Wer so etwas in Leseform mag, ist mit diesem Buch sicher gut aufgehoben. Genauso wie derjenige, der gerne Klischees bestätigt sieht. Denn von denen gibt es reichlich. Wenn es ganz schlecht läuft, liegt Behr mit seinem Buch im Trend, der den Lesern in naher Zukunft viel Oberfläche mit einer ausreichenden Anzahl an Minderheiten präsentieren wird.

Michael S. Zerban