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Buch

Wirren der Revolution

Dresden im Jahre 1849: Elise lebt mittlerweile als gefeierte Violinistin und angesehene Ehefrau des Komponisten Adam Jacobi in Dresden. Doch eine schicksalhafte Begegnung mit dem Kulissenmaler Christian droht, das fragile Gleichgewicht ihres Lebens zu erschüttern. Mit dem aufstrebenden Künstler an der Semperoper verbindet sie eine große Sehnsucht, eine Leidenschaft für die Kunst – und eine romantische Erinnerung. Elise spürt, dass ihre Liebe auch nach Jahren noch stärker ist als alle Konventionen. Doch bevor sie das Unmögliche wagen kann, brechen blutige Aufstände in der Stadt aus. Unzufriedene Arbeiter und Dienstmädchen, Künstler und Intellektuelle, Männer und Frauen ziehen für ihre Rechte in den Kampf. Auch das prächtige königliche Hoftheater im Herzen der Stadt wird zum Schauplatz der widerstreitenden Gegner. Denn selbst Kapellmeister Richard Wagner und Gottfried Semper rufen zum Widerstand gegen die Obrigkeit auf. Dann bittet der König die preußische Armee um Hilfe. Es kommt zum Äußersten. Und Elise muss sich in den blutigen Wirren entscheiden, auf welcher Seite sie steht – und wie viel zu opfern sie bereit ist.

In diesen fragilen Zeiten zu Beginn der Mai-Revolution 1849 in Dresden spielt Anne Sterns neuer Roman Rot das Feuer rund um das Königliche Hoftheater Dresden, der heutigen Semperoper, und knüpft mit einem Zeitsprung von acht Jahren an den ersten Roman Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie der neuen Saga an. Anne Stern, Jahrgang 1982, wuchs in Berlin auf. Sie studierte in Potsdam Germanistik und Geschichte auf Lehramt und promovierte anschließend in deutscher Literaturwissenschaft. Nach dem Referendariat unterrichtete sie an verschiedenen Berliner Schulen. Heute ist sie freiberufliche Schriftstellerin. In ihren Werken stehen Frauen im Mittelpunkt. Die Handlungen spielten bisher im historischen Berlin mit einem Schwerpunkt auf den 1920-er und 1930-er Jahren. Stern begann ihre schriftstellerische Karriere zunächst nebenberuflich im Selbstverlag, wo sie die Reihen Die Familie Pauly-Saga und Die Frauen vom Karlsplatz als E-Book veröffentlichte. Dann wechselte sie zu einem Buchverlag. Die Reihe Fräulein Gold über eine Hebamme in den 1920-er Jahren erschien im Rowohlt-Verlag und erreichte die Bestseller-Listen. Die vorherige Reihe Die Frauen vom Karlsplatz wurde daraufhin zusätzlich als rororo-Taschenbuch veröffentlicht. Anschließend schrieb sie eine fiktive Romanbiografie über die Freundschaft zwischen der Malerin Lotte Laserstein und ihrem Modell Traute Rose. 2022 erschien mit Drei Tage im August im Aufbau-Verlag ein Roman über eine Chocolaterie in der Straße Unter den Linden, der 1936 angesiedelt ist.

Im vergangenen Jahr hat sie mit Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie den Ausflug in das historische Dresden gestartet. Ein kurzer Rückblick in das Dresden anno 1841: Das feierlich eröffnete königliche Hoftheater wirkt in seiner Pracht wie ein Palast für die Musik. Doch hinter den Kulissen geht es nicht weniger dramatisch zu als auf der Bühne: Die Primaballerina hütet ein tragisches Geheimnis, die Requisiteurin will ihrer Vergangenheit entfliehen, und die Kostümschneiderin hat den Glauben an wahre Leidenschaft verloren. Dennoch ist das Opernhaus für sie alle ein magischer Ort. Auch die junge Elise Spielmann ist bei ihrem ersten Besuch verzaubert. Sie entstammt einer Musikerdynastie und träumt davon, eine gefeierte Violinistin zu werden. Als sie dem talentierten Malergehilfen Christian Hildebrand begegnet, entspinnt sich eine zarte Bindung zwischen ihnen – in größter Heimlichkeit und gegen alle Konventionen. Währenddessen ziehen sich im ganzen Land revolutionäre Kräfte zusammen. Doch vor dem sich verdunkelnden Himmel strahlen die Liebe und die Musik umso heller.

Der zweite Band Rot das Feuer beginnt mit einem Prolog im Jahre 1813, während der Völkerschlacht zu Leipzig. Ein junges Mädchen namens Clementine überlebt in einem Dorf schwerverletzt als einzige ein Massaker der französischen Truppen an der Dorfbevölkerung. Sie wird später im Jahre 1849 in Dresden eine Leitfigur des Kampfes für Frauenrechte, der neben der Mai-Revolution ein zentrales Thema in dem Buch darstellt. Stern hat da gut recherchiert; auch die Hintergründe der Revolution, an der auch Richard Wagner und Gottfried Semper aktiv beteiligt waren, bilden den politischen Rahmen für die eingebettete Liebesgeschichte zwischen Elisa Jakobi, geborene Spielmann, und dem Maler Christian Hildebrandt.

Der historische Hintergrund der Revolution in Dresden beginnt im April 1849 mit dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung. Sachsens König Friedrich August II. weigerte sich, die „Paulskirchen-Verfassung“ anzunehmen und löste die sächsischen Kammern auf. Daraufhin brachen in Dresden am 3. Mai 1849 blutige Straßenkämpfe aus. Richard Wagner rief bereits im April in Röckels radikalen Volksblättern mit einem Beitrag unter der Überschrift Die Revolution zur vollständigen Zerstörung der bestehenden Ordnung auf und nahm auch praktisch an den Aufständen teil. In Wagners Garten des Palais Marcolini versammelten sich in den Tagen unmittelbar vor dem Aufstand in Dresden mehrfach Gleichgesinnte wie Röckel, Bakunin und Semper, und auch die Romanfigur Christian Hildebrand nimmt an diesen konspirativen Sitzungen teil. Sie berieten über eine mögliche Volksbewaffnung und die Strategie der Erhebung. Wagner hatte Handgranaten beschafft, lagerte sie in seinem Garten und war einer der unermüdlichen Aktivisten. Am 3. Mai 1849 brachen die Unruhen aus, Barrikaden wurden gebaut, der König und die Regierung flohen elbaufwärts zur Feste Königstein. Für einige Tage herrschte die Revolution und mitten in ihr: Richard Wagner. Er bezog auf dem Turm der Dresdner Kreuzkirche seinen Posten, direkt bei den Scharfschützen, beobachtete die heranziehenden preußischen Truppen, gab seine Erkenntnisse an die Leitung des Aufstandes im Rathaus weiter. In Flammen ging während der Aufstände unter anderem das Theater am Zwinger auf, in dem Wagner noch Anfang April das von ihm begründete Palmsonntagskonzert mit Beethovens 9. Sinfonie dirigiert hatte. Wagner wurde später zu Unrecht der Brandstiftung verdächtigt. Bereits nach sechs Tagen war die Revolution verloren. Nach einem Bericht von August Röckel gab es 30 Tote und 100 Verwundete bei den Regierungstruppen und auf Seiten des Volkes 196 Tote, und 115 Verwundete, darunter auch mehrere Frauen. Über 400 Beteiligte wurden gefangen gesetzt, unter ihnen auch kurzzeitig die berühmte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, die noch 1849 aus Sachsen ausgewiesen wurde. Am 19. Mai 1849 erschien ein – auf den 16. Mai datierter – Steckbrief, mit dem Wagner wegen „wesentlicher Teilnahme an der aufrührerischen Bewegung“ gesucht wurde. Doch der war zu diesem Zeitpunkt bereits Richtung Schweiz entkommen.

Die Hauptfigur des Romans, Elise Spielmann, ist seit acht Jahren mit dem Komponisten Adam Jakobi verheiratet, eine unglückliche Ehe, denn sie war von ihren Eltern standesgemäß arrangiert. Jakobi akzeptiert zwar das Violinspiel seiner Frau, ansonsten besitzt sie aber keine Freiheiten. Ihr einziges Glück ist die Adoptivtochter Netty, deren leibliche Mutter, eine ehemalige Ballerina, sich im ersten Band das Leben genommen hatte. Und da ist die unerfüllte Liebe zu Christian, den sie seit ihrer Hochzeit mit Adam nicht mehr gesehen hat. Natürlich kommt es zu einem schicksalhaften Wiedersehen, allerdings erst auf Seite 76 des Bandes. Von dem Moment an nimmt Elise ihr Schicksal in die eigene Hand, emanzipiert sich immer mehr von ihrem Mann und geht eine verhängnisvolle Beziehung mit Christian ein, die jäh vorerst durch die Geschehnisse und Wirren der Dresdner Revolution beendet wird. Natürlich ist die Geschichte, die Stern wieder sehr poetisch und einfühlsam schildert, noch nicht auserzählt, wie der Epilog erahnen lässt. Fünf Monate sind seit der Revolution vergangen, die Stadt Dresden erholt sich langsam von den Geschehnissen, und auch in Elises Leben ist mittlerweile einiges passiert, was hier natürlich nicht vorweggenommen werden soll. Das Ende ist jedenfalls wieder offen, so dass auch der zweite Band eine Fortsetzung fordert. Und die wird schon im August 2024 erscheinen. Samtschwarz die Nacht spielt dann in Dresden anno 1869 und wird die Trilogie um die historische Semperoper abschließen. Und wer sich mit der Geschichte der Semperoper auskennt, der weiß natürlich, dass das ehemalige Königliche Hoftheater am 21. September 1869 in Flammen aufging und bis auf die Grundmauern niederbrannte. Das könnte dann ein feuriges Finale der Geschichte werden.

Im Nachwort befasst sich Stern mit der sozialkritischen Schriftstellerin und Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung Louise Otto-Peters, die im Buch ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Auch die Musik kommt nicht zu kurz, es werden Aufführungen von Mozarts Zauberflöte, Hochzeit des Figaro und Don Giovanni sowie Beethovens Fidelio beschrieben. Auch der zweite Band Rot das Feuer liest sich poetisch schön und macht neugierig auf den Abschluss der Geschichte.

Andreas H. Hölscher