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Buch

Ein Leben für die Kunst

Kaum zu glauben, aber Brigitte Fassbaender feierte im Juli letzten Jahres den 80. Geburtstag. Dabei ist die Jubilarin in der Musikwelt so präsent wie in ihren Zeiten als international gefeierte Mezzosopranistin. Denn sie eroberte sich neue künstlerische Bereiche, nachdem sie 1994 das Singen, noch im Vollbesitz der Stimme, abrupt aufgegeben hatte. Sie weitete ihre Regietätigkeit, die sie 1990 parallel zum Gesang aufgenommen hatte, aus, war ab 1999 13 Jahre lang Intendantin des Tiroler Landestheaters Innsbruck und leitete dazu von 2009 bis 2017 das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen. Auch als Pädagogin und Jury-Mitglied in Wettbewerben ist sie gefragt, sie gibt Meisterkurse und, nicht zu vergessen, sie findet beim Malen Erfüllung.

Nun hat sie ihre Memoiren vorgelegt, die sie – natürlich – selbst und ohne Mithilfe geschrieben hat, was einmal mehr ihre künstlerische Allround-Begabung unterstreicht.

Die musische Berufung wurde Brigitte Fassbaender von ihren Eltern, der Schauspielerin Sabine Peters und dem Bassbariton Willi Domgraf-Fassbaender, der sie auch als einziger Lehrer unterrichtete, in die Wiege gelegt. Ihr erstes Engagement führte sie 1961 gleich an die Bayerische Staatsoper. Die wurde zu ihrem Stammhaus und blieb es, ungeachtet ihrer weltweiten Opern- und Konzertverpflichtungen. Über dreißig Jahre lang galt sie neben Christa Ludwig als bedeutendste deutsche Mezzosopranistin, sang Mozarts Dorabella und Sesto, Carmen, auch Dramatisches wie Amneris und Brangäne. Maßstäbe setzte sie als Octavian und Orlofsky, eine ihrer Lieblingspartien war die Charlotte in Massenets Werther. Über allem aber stand der Liedgesang mit besonderer Affinität zu Schubert, dessen Zyklen Die schöne Müllerin und Die Winterreise sie als eine der ersten Sängerinnen interpretierte. Auch im Aufnahmestudio war sie überaus präsent. Davon zeugen über 250 Einspielungen, die ihr Repertoire fast vollständig dokumentieren. 1990 gab sie ihr Regiedebüt in Coburg. Seitdem hat sie im In- und Ausland über 70 Inszenierungen erarbeitet. Für 2021 ist Wagners Ring des Nibelungen in Erl geplant.

Im ersten und umfangreichsten Teil des Buches erzählt Brigitte Fassbaender von ihren familiären Wurzeln, ihrer Jugend und ihrem beruflichen Werdegang. Er ist gespickt mit Erinnerungen an private und künstlerische Begegnungen, an Regisseure, Dirigenten und Pianisten, die sie prägten, wie Günther Rennert, Wolfgang Sawallisch oder Erik Werba, an befreundete Kolleginnen, wie Gundula Janowitz oder Lucia Popp, auch an Nachwuchstalente, die sie förderte, wie Juliane Banse. Einmal aber trügt ihr Gedächtnis. Denn nicht die von ihr bewunderte Birgit Nilsson sang 1963 bei der Wiedereröffnung des Münchner Nationaltheaters die Färberin, sondern Inge Borkh.

POINTS OF HONOR

Buchidee
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Preis/Leistung
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Chat-Faktor

Einen vertiefenden Einblick in ihre Profession gibt Fassbaender im sogenannten Theatertagebuch, das sie 1993 während der Entstehung ihrer Amsterdamer Inszenierung von Brittens Midsummer Night’s Dream führte und das in gekürzter Form abgedruckt ist. Es verdeutlicht die Hochspannung des Schaffensprozesses von den ersten Konzeptionsgesprächen bis hin zur Premiere. Die psychischen Belastungen, die auch aus der damaligen Doppelbelastung und den hohen Ansprüchen an sich und das kollegiale Umfeld herrührten, werden nicht ausgespart oder beschönigt, die emotionale und kreative Unterstützung durch ihre Partnerin Jennifer Selby immer wieder positiv hervorgehoben.

In einer Art Zusatz, Regiegedanken genannt, erläutert Fassbaender ihre Sicht vom Inszenierungshandwerk im Allgemeinen und einige Stückkonzepte im Speziellen.

Komm‘ aus dem Staunen nicht heraus ist so lebendig und ehrlich – soweit man es beurteilen kann – geschrieben, dass man das 350-seitige, mit zahlreichen Fotos illustrierte Buch mit nicht nachlassender Spannung liest.

Der Titel, der sich auf einen Ausspruch des Ochs‘ aus dem von Brigitte Fassbaender so geliebten Rosenkavalier bezieht, entspricht ihrem Lebensgefühl, wie sie zum Ende hin schreibt. Und sie wünscht sich, dass es noch eine Weile so weitergehen möge. Dem kann man sich nur anschließen.

Karin Coper