O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Den gab’s nur einmal

Er war Schlagertexter, Komponist und Musical-Übersetzer, Lebemann, Kommunistenfreund und Emigrant: Robert Gilbert, auf den all diese Charakteristika zutreffen, führte ein persönlich und künstlerisch kontrastreiches Leben.

So spannend wie seine Vita ist auch die Biografie von Christian Walter zu lesen. Sie basiert auf der Dissertation des Autors und Fernsehjournalisten, die von ihm für das Buch erweitert und aktualisiert wurde.

Dabei steht der Lebensweg Gilberts im Mittelpunkt, doch ist dieser eingebettet in den zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund. Der Untertitel Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution ist programmatisch: Er spielt darauf an, dass in Gilberts Brust zeitlebens zwei Seelen wohnten: der smarte Unterhaltungskünstler und der revolutionäre Politdichter.

Robert Gilbert, der eigentlich David Robert Winterfeld heißt, wird 1899 in Berlin geboren. Sein Vater ist der berühmte Operettenkomponist Jean Gilbert, der seinen ursprünglichen Namen Max Winterfeld aus besseren Vermarktungsgründen geändert hat. Als Abgrenzung zum begüterten Elternhaus

studiert er Philologie und Kunstgeschichte und interessiert sich für die Arbeiterbewegung. Er besucht kommunistische Versammlungen, distanziert sich aber später von den radikalen Strömungen der Partei.

Seine künstlerische Laufbahn beginnt 1922 mit Kabarettnummern und Schlagertexten. 1925 kreiert er gemeinsam mit seinem Vater die Operette Annemarie, die zum Kassenschlager wird, auch wegen des Marschs Durch Berlin führt immer noch die Spree. Parallel schreibt er Arbeiterlieder, darunter 1929 zusammen mit Hanns Eisler das berühmte Stempellied. Auch an der Berliner Bühnensensation Im weißen Rössl ist er beteiligt: als Komponist der Einlage Was kann der Sigismund dafür.

Gilberts dichterische Spannweite ist breit. Populäres steht neben Politischem, Tonfilmschlager neben proletarischer Lyrik. Dank seines Talents für Wortwitz, fein gesetzte Pointen und freche Reime schreibt er einen Hit nach dem anderen: Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n, Ein Freund, ein guter Freund, Das gibt’s nur einmal sind solche Evergreens. Erst als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird seine Produktivität gestoppt, und er ist als Jude gezwungen, auszuwandern. Über Wien und Paris flieht er 1939 nach Amerika.

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In New York wird er Teil der lebendigen Emigrantenszene und trifft alte Freunde wieder: die Komponisten Werner Richard Heymann und Robert Stolz, die politische Philosophin Hannah Ahrendt und ihren Ehemann Heinrich Blücher.

1949 kehrt er nach Europa zurück und kann, im Gegensatz zu vielen Rückkehrern, an frühere Erfolge anknüpfen. Er verfasst einen Kriminalroman, der auch verfilmt wird und erobert als Übersetzer ein neues Betätigungsfeld. Initiator ist Gilberts 1924 nach Amerika ausgewanderter Jugendkamerad Friedrich Löwe, der dort als Frederick Loewe im Show-Geschäft Karriere gemacht hat. Er beauftragt ihn, sein Musical My Fair Lady ins Deutsche zu übertragen. Das Resultat ist so überzeugend, dass er weitere Anfragen in diesem Metier bekommt. Hello Dolly und Cabaret sind nur zwei Beispiele für seine pointierte Übersetzungskunst.

Bis Anfang der 1970-er Jahre bleibt Gilbert kreativ, dann wird es still um ihn. 1978 stirbt er in seiner Tessiner Wahlheimat.

In einem Gedicht schreibt Gilbert über Memoiren, die er selbst nicht verfassen wollte: „Meine Memoiren, sollt‘ ich sie schreiben? Oder sag ich lieber: Basta! Schwamm darüber Lass es besser bleiben.“ Christian Walther hat sich glücklicherweise nicht daran gehalten. Von seinem gut 300 Seiten umfassenden Lebensporträt, das auch der privaten Seite Gilberts genügend Raum gibt, ist man durchweg gefesselt. Bereichert wird der Band durch den Abdruck vieler Liedtexte und persönlicher Fotos, dazu gibt es im Anhang eine sorgfältige Auflistung der Quellen.

Karin Coper