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Aschenputtels letzte Arie

Mord in der Oper! Ein in den meisten dramatischen Opern nicht ungewöhnlicher Aspekt. Tosca ersticht Scarpia, Otello erwürgt Desdemona, Siegfried erschlägt Mime, Don José ersticht Carmen. Die Liste lässt sich beliebig erweitern, der Mord als dramatischer Höhepunkt macht auch den Reiz der Oper aus. Besonders interessant wird es, wenn der Mord nicht auf der Opernbühne passiert, sondern hinter den Kulissen. Und wenn es dann auch noch die Diva der Wiener Staatsoper trifft, dann hat das schon fast etwas von einem gesellschaftlichen Ereignis und ist Stoff für eine eigene Oper. Und genau diesen Stoff hat Anja Rauter jetzt in einem amüsantem Opernkrimi verarbeitet.

Die alleinerziehende Samantha Sauer, die mit ihrem Alltag in einem Wiener Immobilienbüro mehr als unzufrieden und überfordert ist, betätigt sich nebenbei als Privatermittlerin, um untreuen Ehemännern auf die Schliche zu kommen – das ist ihr Spezialgebiet. Ein solcher Einsatz führt sie in die Wiener Staatsoper zu einer Aufführung von Puccinis Madama Butterfly, um in einer Opernloge einen untreuen Ehemann in flagranti zu erwischen. Doch dann belauscht sie zufällig einen Streit zwischen der Star-Sopranistin Francesca Cuttolini und einem Unbekannten. Instinktiv nimmt sie das Streitgespräch auf ihrem kleinen Recorder auf, der eigentlich für die Privatermittlung gedacht war. Am nächsten Tag wird die Diva tot am Fuße der Feststiege aufgefunden. Ein tragischer Unfall, wie die Oper und die Medien verkünden. Doch daran glaubt die Privatdetektivin, deren kriminalistischer Instinkt geweckt wurde, überhaupt nicht. Gemeinsam mit ihrer pensionierten und neugierigen Mutter sowie der befreundeten Gräfin Cosima Caecilia von Waldenstein versucht sie, den vermeintlichen Mord an der Opernsängerin aufzuklären, sehr zum Missfallen des zuständigen Polizeikommissars. Mit viel Witz, Charme und Einfallsreichtum, aber auch mit Hang zur Abstrusität machen sich die drei Damen an die Aufklärung des mysteriösen Todesfalls und stoßen dabei auf einige dunkle Geheimnisse in der Opernwelt. Da gibt es den gelackten Star-Tenor Leonardo Rossi, der untreue Verlobte der toten Diva. Da gibt es die Zweitbesetzung Mira Mondschein, die jetzt zur neuen Diva aufsteigt. Haben die beiden ein Mordmotiv? Und was ist mit der Braut eines russischen Oligarchen, auf deren Hochzeit Rossi singt? Fragen über Fragen, die sukzessive von den drei so unterschiedlichen Damen gelöst werden, unterstützt von der pubertierenden Lisa, Samanthas Tochter, die ihre alterstypischen Computerfähigkeiten zur Verfügung stellt. Am Schluss entdeckt Samantha ein altes, dunkles Geheimnis und löst den Fall. Dabei bekommt auch noch ihr Liebesleben neuen Schwung, und auch so manche Wiener Spezialität bleibt da nicht außen vor.

Anja Rauter, Jahrgang 1972, wurde in Baden bei Wien geboren und arbeitet seit über fünfzehn Jahren im Marketing. 2018 erschien ihr Romandebüt Wir zwei auf Wolke sieben. Von ihrem Büro in der Wiener Walfischgasse blickt sie täglich auf die Staatsoper, die sie zum Schauplatz ihres ersten Hauptstadt-Krimis macht. Und so entpuppt sich das Buch nicht nur als seichter Krimi für den Urlaub oder als Bettlektüre, es ist auch ein kleiner Wienführer rund um die Staatsoper. „Plachuttas Gasthaus zur Oper“ mit den angeblich besten Wiener Schnitzeln kommt da genauso vor wie das „Café Mozart“ an der Wiener Staatsoper, das alle herrlichen Klischees eines Wiener Kaffeehauses erfüllt. Natürlich dürfen in so einer Geschichte das „Hotel und Café Sacher“ und das Wiener Nationalheiligtum, der Stephansdom, von den Wienern auch liebevoll „Steffl“ genannt, nicht fehlen. Ein Drink in der legendären „Kruger´s Cocktailbar“ klingt da genauso verlockend wie ein Spaziergang auf dem Wiener Zentralfriedhof mit den vielen Ehrengräbern, wo neben zahlreichen berühmten Komponisten auch Sänger der Wiener Staatsoper begraben sind. Somit ist dieser Opernkrimi auch ein spannender Regionalkrimi aus Österreichs Hauptstadt, der zu einem Spaziergang durch die Wiener Innenstadt einlädt.

Die 288 Seiten sind in 36 kurze Kapitel untergliedert, jedes trägt als Überschrift ein Zitat eines Protagonisten, das auch manchmal wie ein Statement erscheint. „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, leg ein Schnitzel darunter!“ stammt von Samantha Sauer, der Privatermittlerin, die ständig hungrig ist und Schnitzel und Pizza einer ausgewogenen Ernährung vorzieht. Von ihrem Vater, dem verstorbenen Polizisten Ernst Sauer, hat sie nicht nur den kriminalistischen Instinkt geerbt, sondern auch dessen Humor: „Die Oper ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau zu singen aufhört.“ Und so liest sich der Wiener Opernkrimi leicht und locker herunter, die humoristischen Anteile dabei deutlich gegenüber den dramatischen im Vorteil. Wäre dieser Roman selbst eine Oper, würde er eher in die Rubrik „Opera buffa“ denn als „Tragedia“ passen, mehr Rossini als Puccini, eher Cenerentola als Madama Butterfly. Nicht immer nimmt es Rauter mit den Beschreibungen ganz genau. Wenn Samantha in der Oper verträumt der Ouvertüre von Madama Butterfly lauscht, dann ist die Bezeichnung „Ouvertüre“ nicht glücklich, denn wie in Tosca oder Turandot hat Puccini bei diesen Werken keine Ouvertüre im klassischen Sinne komponiert, sondern die Handlung setzt unmittelbar nach einer orchestralen Einleitung ein, bei Madama Butterfly nach etwa einer guten Minute. Und die Aussage, dass Mozart auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben liegt, ist leider auch nicht richtig. Nach neuesten Erkenntnissen ist Wolfgang Amadeus Mozart am Wiener St. Marx Friedhof bestattet. Allerdings gibt es auf dem Wiener Zentralfriedhof ein wunderschönes Grabdenkmal für Mozart, zu finden unter der Gruppe 32 A, Nr. 55. Doch wäre es jetzt schon Beckmesserei, sich an solchen kleinen Fehlern abzuarbeiten, denn insgesamt ist der Wiener Opernkrimi durchaus lesenswert. Wer Wien kennt, wer schon mal das besondere Flair der Wiener Staatsoper erlebt hat, der wird an dem Krimi seine Freude haben.

Andreas H. Hölscher