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Kino

Liebe in Zeiten des Genozids

Bis heute haben sich alle türkischen Regierungen geweigert, sich zum armenischen Genozid zu bekennen. Am 17. August kommt The Promise – Die Erinnerung bleibt von Terry George auch in die deutschen Kinos. Es wird in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Kino-Ereignis werden – und der schönste Film seit Doktor Schiwago.

Regisseur Terry George – Foto © capelight

Noch immer gehören Die vierzig Tage des Musa Dagh von Franz Werfel nicht zur Pflichtlektüre in deutschen Schulen. Aber mit der Aufarbeitung des armenischen Genozids in den Jahren 1915 und 1916, in denen anderthalb Millionen Armenier ermordet wurden, hat sich Deutschland immer schwergetan. Erst am 2. Juni vergangenen Jahres hat der Deutsche Bundestag das Massaker – endlich – als Völkermord bezeichnet. Das Zögern kommt nicht von ungefähr. Denn die deutsche Politik hatte zu Beginn des Ersten Weltkriegs sehr wohl Kenntnis von den Aktivitäten der Türken und schaute lieber weg, als das Militärbündnis zu gefährden. Werfel erfuhr 1929 bei einer Reise mit Alma Mahler durch das libanesische Gebirge von dem Völkermord und ließ sich daraufhin alle Protokolle aus dem Pariser Kriegsministerium über die türkischen Gräuel aus dieser Zeit kommen. Was er schließlich literarisch in der Zeit von Juli 1932 bis März 1933 verarbeitete, waren nicht etwa die Massenerschießungen, Deportationen oder Plünderungen ganzer Regionen, sondern der Aufstand von etwa 4.000 Armeniern, die sich auf den Berg Musa Dağı zurückzogen, anstatt sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste schicken zu lassen. Der Roman wurde 1934 in Deutschland verboten, Werfel aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen. Dankbar allerdings waren die Armenier. „Wir waren eine Nation, aber erst Franz Werfel hat uns eine Seele gegeben“, hieß es bei einer Predigt in einer armenischen Kirche in New York später.

Konstantinopel, 1914. Es brodelt am Bosporus. Der junge Armenier Michael Boghosian kommt in die multikulturelle Hauptstadt des Osmanischen Reiches, um Medizin zu studieren. Hier lernt er die französische Künstlerin Ana mit armenischen Wurzeln kennen, die mit ihrem Geliebten, dem amerikanischen Journalisten Chris Myers, eben aus Paris eingetroffen ist. Der Beginn einer Dreiecksgeschichte, die bis zum Lebensende fortgesponnen werden wird. Erste zarte Annäherungen werden überschattet von dem Einmarsch der Russen in Ostanatolien. Für die türkische Regierung ein willkommener Anlass zur „ethnischen Säuberung“. Am 24. April 1915 begann in Istanbul die Deportation armenischer Intellektueller. Seither gilt dieses Datum als Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern. In der Südtürkei beginnen die Todesmärsche in die syrische und mesopotamische Wüste. Bis dahin hat sich Regisseur Terry George viel Zeit gelassen, den Zuschauer in die wunderbare Ausstattung seines Films einzuladen und das Personal vorzustellen. Dabei dürfen dann auch deutsche Offiziere die dritte Strophe der deutschen Nationalhymne anstimmen.

Was dann beginnt, ist eine Mischung aus Doktor Schiwago, Zitaten aus dem Werfel-Roman und bestem Hollywood-Kino. Das Popcorn kann man sich trotzdem sparen. Das ganz große Taschentuch sollte aber selbst der unromantischste Besucher in der Tasche haben. „Als Filmemacher sehe ich es als meine Herausforderung an, Geschichten und Figuren zu (er-)finden, die es mir erlauben, Kinozuschauer mit einem Ereignis zu konfrontieren, über das sie bislang nur wenig oder gar keine Kenntnis besaßen und ihnen so zu zeigen, dass der menschliche Geist selbst im Angesicht der widrigsten Umstände überleben und triumphieren kann“, erzählt George über die Motivation zu seinem Film. „Wir werden uns rächen, indem wir überleben“, lässt er Ana sagen.

Charlotte Le Bon spielt diese Ana hinreißend. Oscar Isaac gibt einen Michael Bosoghian, der nicht ganz an einen Omar Sharif heran-, aber ihm doch verdammt nahekommt. Als empörter und für die Sache der Armenier kämpfender Reporter überzeugt Christian Bale voll und ganz, in Beziehungsfragen bleibt er eher wortkarg. Hier überwiegen bedeutungsschwangere Blicke und Gesten. Und auch die übrige Darstellerriege begeistert bis zum letzten türkischen Militär. Eine grandiose Darbietung, die immer wieder auch Platz bietet für reale Deutungshoheiten. „Wir evakuieren lediglich die Zivilbevölkerung in sichere Gebiete“, ist bis heute die offizielle Sprachregelung der türkischen Regierung.

Ohne den moralischen Zeigefinger auch nur ansatzweise zu erheben, zeigt The Promise – Die Erinnerung bleibt die Geschehnisse, an denen auch die türkische Politik nach diesem Film nicht mehr wird vorbeisehen können, wenn nur genügend Menschen das Stück sehen werden. Aber, und das ist das viel Wichtigere an dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit einem der schlimmsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts: Sämtliche Versuche, eine Menschengruppe auszulöschen, sind vergebens. Die Armenier haben es überlebt, die Juden haben es überlebt und die Syrier werden es überleben. „Wo immer sich zwei Armenier auf der Welt treffen, werden sie gemeinsam ein neues Armenien bauen“, heißt ein Sprichwort der Armenier. Alle menschliche Barbarei wird damit ad absurdum geführt. Ach, und was die Pflichtlektüre in deutschen Schulen angeht: Vergesst es. Schickt Eure Schüler in die nächste Kinovorstellung. Das reicht dann schon.

Michael S. Zerban