O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Michaela Büttgen

Kommentar

Tanz auf Gräbern

Was ist „jüdische Musik“? Da fällt vielen wohl Klezmer ein. Das Festival Shalom-Musik.Köln hat sich zum musikalischen Ziel gesetzt, den Bürgern in Köln und im Rhein-Erft-Kreis eine möglichst große Vielfalt eines Musikgenres zu präsentieren, dass so vielleicht kaum auszumachen oder festzulegen ist. Dafür stehen vom 15. bis zum 25. August 80 Konzerte verschiedener Größenordnungen auf dem Programm. Immerhin das klingt vielversprechend, die Äußerungen der Veranstalter nicht.

Im Vordergrund Claudia Hessel und Ulrike Neukamm – Foto © Shalom-Musik.Köln

Eine offene Gesellschaft ist nicht gegen etwas, sondern versucht, Andersdenkende in ihrer Mitte zu integrieren. Sie lehnt andere Meinungen nicht ab, sondern hält sie aus und arbeitet daran, im Diskurs zu einer gemeinsamen Lösung zu finden. Unter der so genannten Ampel-Regierung verändert sich die offene Gesellschaft in Deutschland. Es ist nun opportun, gegen rechts, gegen Antisemitismus, gegen immer mehr zu sein. Die Veranstalter des Festivals Shalom-Musik.Köln mit dem wohlklingenden Namen Kölner Forum für Kultur im Dialog schreiben sich auf die Fahnen, ihr Festival gegen den „steigenden Antisemitismus“ durchzuführen. Das lässt einen stutzig werden, ehe man überhaupt einen Blick auf das musikalische Programm werfen will.

Schaut man sich die Zahlen zum „steigenden Antisemitismus“ an, stellt man schnell fest, dass hier viel konstruiert wird. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung in Deutschland hängt jahrhundertealten Vorurteilen an, vermutlich die Gleichen sind es, die an die Weltverschwörung des jüdischen Kapitals glauben. Das kann man gut aushalten. Eine verschwindend geringe Zahl an Menschen erzählt etwas über die „Auschwitz-Lüge“, die werden zu Recht strafrechtlich verfolgt. Eine jüngere Generation verlangt, einen Schlussstrich unter die – deutsche – Vergangenheit zu ziehen. Verständlich, dass sich Menschen, die nicht für die Vergehen ihrer Vorfahren zur Verantwortung zu ziehen sind, ein schlechtes Gewissen, gar eine Schuld einreden lassen wollen. Das ist der altbekannte Bodensatz des Antisemitismus. Was ansteigt, ist – auch in Deutschland – das Entsetzen darüber, dass die israelische Regierung im Gaza-Streifen etwas betreibt, was die arabische Welt längst beim Namen benennt. Und beim Genozid an den palästinensischen Zivilisten schaut die Welt zu. Es ist vollkommen legitim, sich gegen dieses sinnlose Morden der Zivilbevölkerung zu stellen und hat nichts mit „steigendem Antisemitismus“ zu tun. Es ist völlig klar, dass auch eine solch kurze Abhandlung nur pauschal sein kann. Es bedarf hier sicher des qualifizierten Diskurses, der die einzelnen Aspekte für sich betrachtet. Dadurch wird aber nicht richtiger, sich „gegen steigenden Antisemitismus“ zu stellen, um zu dramatisieren, was keines Dramas, sondern allenfalls gesellschaftlicher Auseinandersetzung bedarf.

Thomas Höft verdiente seine Lorbeeren als künstlerischer Leiter des Zamus-Festivals für Alte Musik. Jetzt macht er als künstlerischer Leiter des Festivals Shalom.Musik-Köln Appetit auf die musikalischen Veranstaltungen im August. „Die stilistische Vielfalt des Musik-Programms Shalom-Musik.Köln 2024 ist umfassend. Wir versuchen, möglichst viele unterschiedliche Spielarten jüdischer Musik zu Gehör zu bringen, vom frühen Mittelalter bis hin zur aktuellen Avantgarde. Dabei werden auch populäre Genres wie Chanson und Klezmer integriert, außerdem auch Jazz und andere moderne Gattungen. Das Jüdische verstehen wir dabei als kulturelle, gesellschaftliche Kategorie, die weit über eine religiöse Zugehörigkeit hinausgeht.“ Das klingt hübsch und soll sich in 80 großen und kleinen Konzerten an 30 Veranstaltungsorten niederschlagen, begleitet von einer öffentlichen Sabbat-Feier und anderen Veranstaltungen. Dazu wurden bekannte Musiker eingeladen, die in teils ungewöhnlichen Zusammensetzungen miteinander auftreten. Das könnte ein schönes Fest werden, wenn es die Weltoffenheit der Anhänger jüdischen Glaubens unterstreichen würde.

Dann aber heißt es auf der Netzseite der Veranstalter unter der Überschrift „Statement des Kölner Forums für Kultur im Dialog“: „Uns bewegt der schreckliche Verlust von über tausend Menschen und die weitere Verletzung tausender Unschuldiger durch den Terrorakt der Hamas“, unterschrieben von Claudia Hessel und Ulrike Neukamm als Vorstand des Vereins. Das ist eine propagandistische Behauptung. Stand heute hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu dafür gesorgt, dass mehr als 35.000 Palästinenser im Gaza-Streifen ihr Leben verloren haben, darunter ungezählte, wehrlose Kinder und Frauen. Und das Morden unter dem Deckmäntelchen einer Geiselbefreiung geht ungehindert weiter.

Das Festival in Köln und Umgebung wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich damit auseinanderzusetzen, egal, welcher Religion man angehört. So muss jeder Besucher des Festivals wissen, dass er sich einer einseitigen, undifferenzierten Betrachtung anschließt, die einmal mehr das Klischee vom „Opfer-Juden“ bedient, also genau das unterstützt, was hier angeblich bekämpft werden soll.

Bis August ist noch Zeit für Hessel und Neukamm, ihre Haltung zu überdenken. Und mit ihnen für potenzielle Besucher und Sponsoren, ob sie sich der Sicht der Veranstalter tatsächlich anschließen wollen. Ob sie wirklich auf den Gräbern tanzen wollen. Vielleicht können sie dann auch die Frage beantworten, was „jüdische Musik“ eigentlich ist. Hoffentlich nicht der vergiftete Brunnen, der derzeit in Köln angeboten wird.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.