O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Michaela Büttgen

Kommentar

Vor dem Flächenbrand

2024 war für die Kultur ein schlechtes Jahr. Das ist die gute Nachricht. Weniger gut klingt, was Berlin den Kulturarbeitern in diesen Tagen verkündet. Die Zuwendungen sollen um 130 Millionen Euro gekürzt werden – zum Auftakt. Was für die Berliner Kultur nach Katastrophe klingt, ist weitaus schlimmer. Setzt der Senat seine Vorstellungen um, wird das Signalfunktion für die Bundesrepublik haben. Unangenehm daran ist, dass die Kulturinstitutionen in den vergangenen Jahren viel daran gearbeitet haben, den Rückhalt des Publikums zu verlieren.

Auch die Volksbühne sieht sich in ihrer Existenz bedroht. – Foto © O-Ton

Die jetzt vorgelegten Kürzungspläne, die rund 130 Millionen Euro umfassen und obendrein die Streichung der Tarifvorsorge für 2025 werden die Kulturlandschaft Berlins nachhaltig schädigen. Schließungen auch von so genannten großen Einrichtungen sind nicht ausgeschlossen“, sagt Thomas Fehrle, Geschäftsführender Direktor der Deutschen Oper Berlin und Vorstand des Deutschen Bühnenvereins, Landesverband Berlin.

Was ist passiert? In seinem Nachtragshaushalt für das Jahr 2025 hat der Berliner Senat beschlossen, im kommenden Jahr rund drei Milliarden Euro einzusparen. Das bedeutet für den Kulturetat eine Kürzung von etwa zwölf Prozent, was zirka 130 Millionen Euro entspricht. Wohlgemerkt für das kommende Jahr. Für 2026 ist noch einmal eine Kürzung in gleicher Höhe geplant. Der in den vergangenen Tagen wegen seiner Tatenlosigkeit vielgescholtene Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte wenig mehr zu tun, als die Kürzungen zur Kenntnis zu nehmen und sie der Öffentlichkeit mitzuteilen. Der Aufschrei der Berliner Kulturarbeiter ist so verständlich wie erwartbar – ebenso wie die Horrorszenarien, die die Mitarbeiter von den großen Institutionen bis zur so genannten Freien Szene an die Wand malen. Von Personalkürzungen bis zu Schließungen auch größerer Institutionen war zu lesen – siehe oben. Auch die aberwitzige Androhung exorbitant hoher Eintrittsgelder steht im Raum, als sei niemandem bewusst, dass damit der Leerstand der Häuser geradezu zwangsläufig erfolgt.

Die Verzweiflung nimmt gerade erst ihren Anfang. Dabei dürfen die Kulturarbeiter auf wenig Rückhalt in der Bevölkerung hoffen. Berlin hat rund 3,8 Millionen Einwohner. Gerade mal 105.000 von ihnen reichten eine Petition gegen die Kürzungsabsichten ein. Der Staat hat leichtes Spiel, denn das Publikum wendet sich zunehmend von einer Kultur ab, die ihr eine „woke“ Ideologie unterjubeln möchte. In den Kommentarspalten sozialer Medien und Zeitungen kann man nachlesen, was viele Bürger darüber denken. Das Unverständnis, warum eine solche Ideologie finanziert werden sollte, wächst. „Vielleicht das Angebot auf den Querschnitt der Gesellschaft anpassen. Unterhaltung statt Belehren und Ideologie“, ist noch einer der freundlicheren Kommentare. Das war denen, die sich selbst als „Kulturschaffende“ bezeichnen – jeder kann nachlesen, auch welcher Zeit diese Wortschöpfung stammt – bislang herzlich egal, und ist es noch. Das kann nicht nur ihnen schwer auf die Füße fallen.

Denn das eigentlich Schlimme an den Kürzungsbeschlüssen in der Hauptstadt ist die Signalwirkung, die auf das Land ausstrahlen wird. Welcher Stadtkämmerer sollte noch davor zurückschrecken, der Kultur seiner Kleinstadt oder auch Landeshauptstadt mal eben den Etat um ein Viertel zu kürzen, wenn es doch in der Hauptstadt geht? Der Berliner Senat ist gerade dabei, einen Flächenbrand zu entzünden. Ob er sich dessen bewusst oder es ihm gerade egal ist. Es mag in Berlin ein Überangebot geben, wer will das beurteilen? Wenn aber in der Fläche die Kürzungen einsetzen, geht es der Kultur an den Kragen.

Dabei können sich die Kulturinstitutionen zwar über langfristige Verträge freuen, die sie vor Kürzungen noch schützen, aber auch das währt nicht ewiglich. Und bis dahin werden „die Kleinen“ ausgeblutet. Wer es nicht glaubt, mag sich mit den Entwicklungen beispielsweise in Nordrhein-Westfalen auseinandersetzen, wo Förderanträge für „die Kleinen“ immer häufiger fernab der Öffentlichkeit abschlägig beschieden werden.

Nein, nicht der Untergang der Kultur wird hier beschrieben, auch wenn die Berliner Kulturarbeiter sich gerade so fühlen mögen, aber wir werden in naher Zukunft vermutlich Umwälzungen erleben. Die Kultur ist Ausdruck bürgerlicher Freiheit, und deshalb wird es sie weiterhin geben. Und wenn die großen Häuser untergehen, werden die kleinen Ensembles, die schon heute lieber Theater, Tanz und Musik anstatt Ideologie verbreiten, weiter existieren, wenn nicht sogar eine neue Blütezeit erleben. Dann aber ohne den Staat, und das wird die Gräben in der Gesellschaft weiter vertiefen. Dass Berlin den Anfang machte, scheint gerade historische Wahrheit zu werden.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.