O-Ton

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Andreas H. Hölscher - Foto © O-Ton

Kommentar

Zurück vom Ring

Die Neuinszenierung von Wagners Ring des Nibelungen bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen hat einen Sturm der Empörung entfacht. Doch ist die kollektive Ablehnung auch angebracht? Werfen wir einen Blick zurück auf „Neu-Bayreuth“, werden wir feststellen: So viel Neues ist gar nicht geschehen.

Festspielhaus Bayreuth – Foto © Peter E. Rytz

„Weißt Du, wie das wird?“ So fragt die Zweite Norn im Vorspiel von Richard Wagners Götterdämmerung ihre Schwester, der sie das Seil zuwirft. Zuvor hat die Erste Norn schon die Frage gestellt: „Weisst Du wie das ward?“ Der Kenner des Werkes weiß natürlich, was am Ende dieser Szene passiert. Das Seil reißt, und die Szene endet mit den trefflichen Worten der drei Nornen: „Zu End‘ ewiges Wissen! Der Welt melden Weise nichts mehr: – hinab zur Mutter, hinab!“ Die Nornen-Szene steht symbolisch für das, was sich gerade bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen ereignet hat.

Als sich am 5. August 2022 gegen 22.30 Uhr der Vorhang über die Premiere der Götterdämmerung und damit auch über die gesamte Neuinszenierung von Wagners Ring des Nibelungen bei den diesjährigen Festspielen senkt, bricht ein regelrechter Buh-Orkan im Publikum los, der als beispiellos gilt und neben dem Team um Regisseur Valentin Schwarz auch den Dirigenten Cornelius Meister und die Darstellerin der Brünnhilde, Iréne Theorin, erfasst. Selten war sich ein Publikum so einig in einer kollektiven Ablehnung, in einigen Medien wurde tags drauf von den „Wutbürgern aus Bayreuth“ gesprochen, und der „Mythos Bayreuth“ sei nun endgültig zerstört. Doch was ist der Hintergrund der so drastischen Reaktion? Ist es nur die Ablehnung einer Inszenierung, die nach Meinung vieler Zuschauer in der Handlung nichts mehr mit Wagners Ring zu tun hat?

Das ist kein neues Phänomen, auch nicht in Bayreuth. Gilt dieser Orkan der Ablehnung stellvertretend nicht eher der Festspielleitung, insbesondere Katharina Wagner? Anlass genug, etwas tiefer hinter die Kulissen zu schauen und die Frage zu stellen, ob es den „Mythos Bayreuth“ heute überhaupt noch gibt, ob es ihn jemals gab und wenn ja, ob er in der Zukunft Bestand haben wird. Auf eine eingehende Kritik der aktuellen Inszenierungen in Bayreuth verzichte ich an dieser Stelle ganz bewusst, denn davon hat es in den letzten drei Wochen seit Eröffnung der diesjährigen Festspiele im Überfluss gegeben. Doch um die Reaktion des Publikums verstehen und nachvollziehen zu können, lohnt sich der Blick zurück.

Im vergangenen Jahr gab es in Bayreuth ein besonderes Jubiläum zu feiern, nämlich den 70. Jahrestag des Beginns der Ära „Neu-Bayreuth“. Doch was hat es mit diesem Begriff auf sich, und ist er mittlerweile nicht doch veraltet? Oder erleben wir gerade eine Zäsur, die „Neu-Bayreuth 2022“ neu definiert? Wenn man diesen Begriff googelt, findet man einen interessanten Artikel von Johannes Jacobi, den er unter dem Titel Neu-Bayreuth und seine Vorgänger in der Zeit veröffentlicht hat. Doch seine Ausführungen zu Neu-Bayreuth geraten sehr kurz, kein Wunder, der Artikel ist vom 30. November 1962. Jacobi spricht vom „Enkel-Bayreuth“, und bezieht sich dabei auf die Brüder Wieland und Wolfgang Wagner, Enkel des Komponisten Richard Wagner und Begründer der Ära „Neu-Bayreuth“. Doch was bedeutet „Neu-Bayreuth“ wirklich, wie war seine Entwicklung und wo stehen die Bayreuther Festspiele heute, 146 Jahre nach ihrem Beginn und 71 Jahre nach ihrem Neuanfang?

Weißt du, wie das ward?

Am 30. Juli 1951 konnten die Bayreuther Festspiele nach siebenjähriger Pause wiederaufgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Brüder Wieland und Wolfgang Wagner gleichberechtigt als Festspielleiter und Regisseure tätig. Mit Wieland Wagners Neuinszenierung des Parsifal begann die Epoche von Neubayreuth. Sie war vor allem von Wielands revolutionären Neudeutungen der Wagnerschen Werke geprägt, die weltweit zum Vorbild wurden. Für diese erste Aufführung des Parsifal zeichnete Wieland Wagner für Regie und Bühnenbild verantwortlich, und der Dirigent Hans Knappertsbusch gab sein Debüt bei den Bayreuther Festspielen. Gespielt wurde auf nahezu leerer Bühne, fast ohne Requisiten und ohne jeden Bezug zu historischer Realität. Das Zitat von Gurnemanz „Zum Raum wird hier die Zeit“ schien Wirklichkeit geworden zu sein. Für die Altvorderen, die Anhänger des „alten Bayreuth“, muss es ein Kulturschock gewesen sein. Dennoch – dieser Wielandsche Parsifal markierte den Beginn einer neuen Epoche der Bayreuther Festspiele: „Neubayreuth“. Beispielhaft für Wieland Wagners Deutungen seiner Inszenierungen seien die Worte aus einem Interview vom 12. August 1963: „Ja, ich möchte sagen, dass beim Theater der Weg das Ziel ist; es gibt beim Theater niemals verbindliche Lösungen, und hat man eine verbindliche Lösung gefunden – das zeigt die Arbeit aller wirklich großen Theaterleute – dann ist sie bereits tot, und man muss eine neue Lösung finden.“ Eine Aussage, die man auch so auf die heutige Sichtweise der Wagner-Inszenierungen übertragen kann.

Wieland Wagners Theaterarbeit beruhte auf den Prinzipien: Deuten, Klären, Sichten und Sichtbarmachung tieferer Strukturen jenseits der Szenenanweisungen. So schuf er ein neuartiges Inszenierungsmodell zwischen Mythos und Moderne, zwischen dem alten Griechentum und Freuds Psychoanalyse, zwischen Brecht und Aischylos, zwischen Naturalismus und Spiritualismus, Konkretheit und Abstraktion. Wieland Wagner inszenierte meist auf einer kreisförmigen Spielfläche, seiner „Weltenscheibe“, die gerne scherzhaft auch „Wielands Kochplatte“ genannt wurde. Auf der das ewige All symbolisierenden Bühne kreierte er seine tiefenpsychologisch-abstrakten Inszenierungen mit einer ganz eigenen Körpersprache. „Hier gilt’s der Kunst“ ist quasi das Motto des Neuanfangs. Die nur 15 Jahre währende Schaffensperiode Wieland Wagners in Bayreuth war nicht nur ein entpolitisierter Neuanfang, sondern auch die Basis des Schaffens für viele Regisseure, die folgen sollten.

Abstraktion und Verdichtung

Dass Wieland Wagners Sichtweise eine ganze Generation von Regisseuren beeinflusst hat, liegt auf der Hand. Robert Wilson und Romeo Castellucci seien hier stellvertretend genannt. Während Wilson mit seinen choreografierten Inszenierungen, den schon fast zeitlupenmäßig anmutenden sparsamen Bewegungen weg vom Realismus für eine Fortführung der Ideen Wieland Wagners steht, zielen Castelluccis Arbeiten auf eine ganzheitliche Wahrnehmung der Gesamtheit der Künste ab, wie man in der Don-Giovanni-Inszenierung bei den letztjährigen Salzburger Festspielen erfahren konnte. In Wagners Parsifal lässt er den Gral einfach aus, indem zur Verwandlungsmusik ein geschlossener Vorhang im hellen Licht zu sehen ist, auf dem ein Apostroph eingeblendet ist. Es ist die wörtliche Umsetzung des Zitates „der zeigt sich nicht“. Ob Castellucci damit wirklich in einer Nachfolgetradition von Wieland Wagner zu betrachten ist, scheint durchaus diskussionswürdig.

Zu den bedeutendsten Aufführungen in Bayreuth der letzten 50 Jahre gehören zweifelsohne neben den Produktionen Wieland Wagners der Tannhäuser von 1972 in der Inszenierung von Götz Friedrich, der sogenannte Jahrhundertring 1976 von Patrice Chéreau, der Fliegende Holländer 1978 von Harry Kupfer, Werner Herzogs Lohengrin von 1987 und Heiner Müllers Tristan von 1993. Auch der Parsifal in der Inszenierung von Stefan Herheim 2008 und der aktuelle Tannhäuser aus dem Jahre 2019 von Tobias Kratzer, an dem sich allerdings die Geister scheiden, dürfen sich in diese Liste einreihen. Barrie Koskys letztjährig zu Ende gegangene Produktion der  Meistersinger von Nürnberg hat auf humorvolle Art, vor allem im ersten Aufzug, den „Wagner-Clan“ unter die Lupe genommen und hat nach der letzten Vorstellung schon fast Kultstatus erreicht. Konsens dürfte darüber herrschen, dass der letzte Ring in Bayreuth von Frank Castorf und die aktuelle Inszenierung des Fliegenden Holländer von Dmitrij Tcherniakov in ihrer Bedeutsamkeit für die Rezeptionsgeschichte der Bayreuther Festspiele nur eine Randnotiz darstellen.

Was die aktuelle Neuinszenierung des Ring des Nibelungen von Valentin Schwarz betrifft, so ist es vielleicht noch verfrüht, den endgültigen Stab der Verdammung zu brechen. Schwarz werden neben der inhaltlichen Verfremdung des Werkes auch viele handwerkliche Regiefehler vorgehalten. Das Besondere der Bayreuther Festspiele ist ja ihr Werkstattcharakter. Das Regieteam hat also in den nächsten Jahren durchaus noch Zeit für notwendige Korrekturen, wenn sie die denn überhaupt wollen. Der Jahrhundertring von Patrice Chéreau und Heiner Müllers Tristan sind Beispiele von Inszenierungen, die zur Premiere vom Publikum abgelehnt wurden und zum Schluss nach mehrjähriger Aufführungsdauer vom Publikum gefeiert wurden. Das dem aktuellen Ring dieses Schicksal widerfahren könnte, erscheint zum momentanen Zeitpunkt so unvorstellbar wie eine Wagner-Aufführung auf dem Mond.

Zäsur

Im Laufe der Geschichte von „Neu-Bayreuth“ hat es immer wieder bedeutsame Einschnitte gegeben. Nach Wieland Wagners viel zu frühem Tod im Jahre 1966 mit nur 49 Jahren übernahm sein Bruder Wolfgang die alleinige Leitung der Festspiele, die er bis zu seinem Abschied zum Ende der Festspiele 2008 insgesamt über 50 Jahre innehatte. Es war Wolfgang Wagner, der die Festspiele für neue Regisseure und neue Gedanken öffnete, ohne dabei auf eigene Inszenierungen zu verzichten. So erlebte die Neuinszenierung des Tannhäuser 1972 durch Götz Friedrich und in den Bühnenbildern von Jürgen Rose den bis dahin größten Bayreuther Theaterskandal. Friedrich, ein Schüler Walter Felsensteins, inszenierte den Tannhäuser explizit als Gesellschaftskritik. „Die reaktionäre Wartburggesellschaft meine er ganz konkret in dem Publikum wiederzufinden, das auf den Grünen Hügel pilgert, um Kunst und Frieden zu finden“, schreibt Oswald Georg Bauer in seinem großen Band über die Geschichte der Bayreuther Festspiele. Friedrich, DDR-Bürger, wollte politische Aktualität und der dekadenten westlichen Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Bauer beschreibt nicht nur detailliert die für die damalige Zeit revolutionäre Neuinszenierung, sondern beleuchtet auch den gesellschaftlichen Diskurs, den die Aufführung auch außerhalb der Festspiele auslöste. Doch nicht nur die Publikumsschelte Friedrichs sorgte damals für heftige Diskussionen, auch eine neue Art von Lebendigkeit auf der Bühne, die man bisher so nicht kannte, sorgte für Unruhe. So lief Gwyneth Jones in der Rolle der Elisabeth vor ihrer Hallenarie völlig aufgelöst hin und her, was für so manchen alteingesessenen Wagnerianer einem Sakrileg gleichkam. Übertroffen wurde dieser Tannhäuser-Skandal nur vier Jahre später von dem, was die Jahrhundertring-Inszenierung von Patrice Chéreau im Jubiläumsjahr 1976 auslöste. Pierre Boulez dirigierte, Richard Peduzzi entwarf die Bühnenbilder. Doch was als Skandal begann, endete 1980 als der größte Triumph der Festspiele. Chéreau wollte weg von Symbolen und Mythos, hin zum Menschlichen in der Geschichte, die er ganz nahe an die Zuschauer bringen wollte. Wenn man sich ohne Emotionen die Aussagen von Valentin Schwarz zu seinem Ring anschaut, dann sind die erstmal gar nicht so weit weg von Chéreau. Auch Schwarz will keine Symbolik, keinen Mythos, sondern er möchte eine „Familiengeschichte“ erzählen, und bedient sich dabei gerne beim Streamingdienst Netflix, wo solche „Geschichten“ angeblich reihenweise abrufbar sind. Die meisten Serien bei Netflix sind durchaus spannend, viele haben den typischen amerikanischen Humor und eignen sich für ein Alternativprogramm, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Sommerloch den Tatort aus der Konserve präsentiert. Doch taugt der Vergleich überhaupt? Mal davon abgesehen, dass die meisten Zuschauer in Bayreuth mit diesem Streamingdienst überhaupt nichts anfangen können, verbietet sich der Vergleich. Netflix ist ausschließlich kommerziell orientiert, hier zählt nur die Quote. Die Bayreuther Festspiele, und das darf man bei aller Diskussionsfreude nicht vergessen, werden zu einem Großteil durch öffentliche Gelder und Spenden finanziert, die Eintrittsgelder decken da nur einen geringen Anteil der Kosten.

Weißt du, wie das wird?

Für den Blick in die Zukunft sei Oswald Georg Bauer und sein Werk zur Festspielgeschichte noch einmal zitiert: „Wagner wollte das Ringen um das Unmögliche! Bayreuth muss bemüht sein, der Ausnahmezustand des Theaters zu sein, nur so hat es seine vom Gründer geschaffene Daseinsberechtigung. Es war immer groß und bedeutend, wenn es widerständig war, wenn es voraus dachte, Entwicklungen nicht kopierte, sondern eigene Entwicklungen schuf.“ Ob das Zitat nun auch für den aktuellen Ring und für Valentin Schwarz gilt, sei dahingestellt. Spannend wird es werden, wenn die Bayreuther Festspiele 2023 einen neuen Parsifal auf die Bühne bringen. Der US-amerikanische Regisseur Jay Scheib, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology, soll Richard Wagners letzte Oper inszenieren. „Im besten Fall wird man nicht immer sagen können, was echt ist und was nur virtuell”, sagte Scheib im Vorfeld. Darum soll es auf dem Grünen Hügel „das erste Mal eine komplette Inszenierung in Augmented Reality geben”. Konkret bedeutet das, dass zu einem echten Bühnenbild virtuelle Elemente dazu kommen, die nur mit einer entsprechenden Brille zu erkennen sind. Ob das technisch umsetzbar ist, und ob die alteingesessenen Wagnerianer in Bayreuth sich auf dieses Experiment einlassen werden, wird sich dann zeigen.

In der Gesamtschau muss natürlich auch die Rolle von Katharina Wagner beleuchtet werden, seit 2015 alleinige Leiterin der Festspiele und damit künstlerisch verantwortlich für die Besetzungen, seien es Regisseure, Dirigenten oder Sänger. Viele, die jetzt aus der Emotion heraus die Demission Wagners fordern, sollten aber weiterdenken. Weißt du, wie das wird? Der „Mythos Bayreuth“ lebt auch seit der Eröffnung der Festspiele 1876 vom Komponisten Richard Wagner und seinen Nachfahren. Natürlich reicht der Name „Wagner“ alleine nicht aus, um die künstlerische Leitung der Festspiele zu legitimieren. Über Katharina Wagners Fähigkeiten und Fertigkeiten und ihr Geschick sowie ihre Kommunikationsstrategie gibt es genauso viele divergente Meinungen wie über die aktuellen Inszenierungen in Bayreuth. Dass etwas passieren muss, da sind sich Experten wie Wagnerianer einig. Ob es mit einem Wechsel in der Festspielleitung alleine getan ist, darf allerdings bezweifelt werden. Dass die Strukturen nicht transparent sind, auch das ist allgemein bekannt. Der „Mythos Bayreuth“ aber lebt vor allem durch den Werkstattcharakter und den Anspruch, dass die Besten ihres Faches in Sachen Wagner in Bayreuth wirken. Und hier muss der Hebel angesetzt werden. Talente müssen gesucht und verpflichtet werden, unverbrauchte Stimmen und Dirigenten. Regisseure, die wirklich eine Geschichte erzählen können. Und es muss Mentoren und Tutoren geben, die ihre Erfahrungen aus Bayreuth an die nächste Generation weitergeben. Als Beispiel sei hier der Dirigent Christian Thielemann genannt, der seit Felix Mottl der einzige lebende Dirigent ist, der alle zehn in Bayreuth aufgeführten Werke Wagners dirigiert hat. Wenn nicht er, wer sonst soll einem jungen und mit dem Bayreuther Graben nicht vertrauten Dirigenten die notwendigen Hilfestellungen geben? Ob so etwas durchsetzbar und praktikabel ist, wissen vielleicht nur die Nornen. Aber eine unaufgeregte Diskussion könnte möglicherweise Abhilfe schaffen.

Als ich vor über dreißig Jahren zum ersten Mal nach Bayreuth „gepilgert“ bin, war die ganze Stadt im Wagner-Fieber. Jedes Geschäft hatte während der Festspiele eine Büste, ein Plakat, einen Klavierauszug von Wagner im Schaufenster. Man fühlte sich als Stadt mit den Festspielgästen und dem Festspielhaus verbunden, und man konnte den „Mythos Wagner“ förmlich spüren. Als ich vor vierzehn Tagen anlässlich des Schubert-Liederabends von Konstantin Krimmel im Haus Wahnfried die Zeit hatte, einen ausgedehnten Spaziergang durch Bayreuths Innenstadt zu machen, da habe ich mit Mühe ein einziges Geschäft entdeckt, wo etwas versteckt im Schaufenster eine Richard-Wagner-Büste stand. Ansonsten merkte man in der Stadt selbst nicht, dass Festspielzeit ist. Das ist auch ein Indikator dafür, wie weit sich die Bayreuther Festspiele vom Alltag entfernt haben.

Ein weiteres Beispiel für die Entfremdung der Festspiele ist die aktuelle Preispolitik. Sie führt dazu, dass sich, ähnlich wie bei den Salzburger oder Münchner Opernfestspielen, nur noch betuchte Menschen eine Wagner-Aufführung in Bayreuth leisten können. Wenn ich für den Premieren-Ring in der besten Platz-Kategorie über 1.700 Euro zahlen muss, dann ist schnell klar, dass Bayreuth in Zukunft nur noch für eine kleine Minderheit erschwinglich ist. Das muss Bestandteil der zukünftigen Diskussion sein.

Fakt ist, so wie in diesem Jahr kann und darf es nicht weitergehen. Eine offene Diskussion über eine Neuausrichtung der Festspiele darf keine Tabus mehr enthalten, sie muss schonungslos die Neuinszenierung des Ring aufarbeiten, aber auch die Rolle Katharina Wagners als Leiterin kritisch hinterfragen und eine solide Preispolitik für die Zukunft definieren. Oder um mit Hagens letzten Worten im Ring zu schließen: Zurück vom Ring!

Andreas H. Hölscher

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.