O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Nachruf

Leb wohl, du kühner herrlicher Sänger

Ein persönlicher Nachruf auf Theo Adam (1926 – 2019) von Andreas H. Hölscher

Als ich am gestrigen Abend die erste Meldung über den Tod von Theo Adam las, war ich zutiefst berührt und traurig. Nicht nur, weil eine Jahrhundertstimme nun endgültig verklungen ist, sondern weil Theo Adams ausdrucksvolle Stimme, seine Partien und sein charismatisches Auftreten mich über Jahrzehnte begleitet und mich vor allem als jungen Menschen zu einem großen Wagnerianer gemacht haben. Ich erinnere mich noch, wie ich als Student anfing, mich mit den Opern Richard Wagners zu beschäftigen und mir meinen ersten Ring des Nibelungen zulegen wollte. Ein väterlicher Freund, der noch alle großen Sänger und Sängerinnen in Neu-Bayreuth nach dem Krieg live erlebt hatte, riet mir unbedingt zu einer Aufnahme mit Theo Adam als Wotan. Eine markante, ausdrucksstarke Stimme, die für ihn das Idealbild der gesanglichen Interpretation dieser großen Partie war. Und so entschied ich mich für die Gesamteinspielung mit der Staatskapelle Dresden unter Marek Janowski, der von 1980 bis 1983 eingespielt wurde, in der Theo Adam die Partien des Wotan im Rheingold und in der Walküre sowie den Wanderer im Siegfried sang. Und mein Freund und Ratgeber sollte Recht behalten. Es war dieser edle Ausdruck in seinem ja schon balsamischen Bassbariton, sein warmes Timbre, seine Deutlichkeit in der Deklamation, die mich faszinierte und die mir den Ring näherbrachte. Sei es Wotans Erwachen im Rheingold, seine Wissenswette mit Mime im ersten Aufzug Siegfried oder sein verzweifelter Ruf nach Erda zu Beginn des dritten Aufzugs im Siegfried, immer ist es eine edle Stimme, die einem so schnell vertraut war wie die eines Freundes. Der für mich persönlich am meisten berührende Moment ist Wotans Abschied von Brünnhilde Leb wohl, du kühnes herrliches Kind am Schluss der Walküre. Dieser Schmerz in der Stimme, um Fassung ringend, Vaterliebe und Götterschicksal zugleich: eine bis heute unerreichte Aufnahme. Mit dieser Sequenz, die mich über dreißig Jahre immer wieder begleitet hat, die mich traurig und hoffnungsvoll zugleich gestimmt hat, habe ich auch gestern ganz persönlich Abschied genommen von einer „Jahrhundertstimme“, wie ihn heute viele Medien in ihren Nachrufen ehren.

Wer war dieser Mann, der in Dresden am 1. August 1926 geboren wurde und der in seiner Heimatstadt am 10. Januar 2019 im Alter von zweiundneunzig Jahren starb? Theo Adam, der Sohn eines Dekorationsmalers, begann seine Laufbahn als Sänger im Kreuzchor seiner Heimatstadt, dem er von 1937 bis 1944 angehörte. Im letzten Kriegsjahr, nach dem Abitur, wurde er noch Soldat, geriet in Kriegsgefangenschaft und kehrte schließlich in seine Heimatstadt zurück. Neben seiner Tätigkeit als Neulehrer nahm Theo Adam privaten Gesangsunterricht bei Rudolf Dittrich und erhielt 1949 sein erstes Engagement an der Dresdner Staatsoper. Mit keiner geringeren Partie als die des Eremiten in Carl-Maria von Webers Freischütz debütierte Adam im Großen Haus. Über ein halbes Jahrhundert später verabschiedete sich Theo Adam am 30. November 2006 mit dieser Partie in Dresden als Sänger von der Bühne.

Bereits 1952, mit nur sechsundzwanzig Jahren, debütierte Theo Adam bei den Bayreuther Festspielen in der kleinen Rolle des Seifensieders Hermann Ortel als einer der Meistersinger von Nürnberg. „Meine schönste Zeit war eindeutig Bayreuth“, hat Theo Adam rückblickend resümiert, als er im Alter von 80 Jahren seinen Bühnenabschied nahm. Fast 30 Jahre lang war der Bassbariton auf dem Grünen Hügel präsent, allein dreizehn Sommer als Wotan in Wieland Wagners legendärer Ring-des-Nibelungen-Inszenierung. Den „Göttervater vom Dienst“ nannte er sich darum selbst. Bis 1980 sang er hier dann auch den Hans Sachs, König Heinrich im Lohengrin, den Landgrafen im Tannhäuser, Amfortas sowie Gurnemanz im Parsifal sowie Fasolt im Rheingold. Neben der Darstellung des Wotan ist es vor allem die Partie des Hans Sachs gewesen, die er intelligent und ausdrucksstark gestaltete. Legendär ist der Live-Mitschnitt aus Bayreuth aus dem Jahre 1968 unter Karl Böhm. Sein sonorer und geschmeidiger Bariton verleihen diesem Charakter Wärme und Ausdruck, aber er kann auch forcieren und den Sachs mit Ecken und Kanten singen.

Doch es würde Theo Adam nicht gerecht, ihn allein auf seine großen Wagner-Rollen zu reduzieren, auch wenn dieser Komponist und seine Werke ihn sicher am stärksten geprägt haben, immerhin hat Adam weit über 100 Partien in seiner Gesangskarriere erarbeitet.1953 wurde Adam Ensemble-Mitglied der Berliner Staatsoper. Seit 1954 hatte er ständige Gastverträge an der Städtischen Oper Frankfurt am Main, der Wiener Staatsoper und der Londoner Covent Garden Opera, wo er 1967 erstmals den Wotan gab. 1955 wurde er zum Kammersänger ernannt. 1963 debütierte er mit der Partie des Hans Sachs an der Metropolitan Opera New York. 1969 sang er erstmals den Ochs auf Lerchenau in Richard Strauss’ Rosenkavalier. Von 1981 bis 1999 wirkte er bei den Salzburger Festspielen.

Seit 1972 trat Theo Adam auch als Opernregisseur in Erscheinung. Er inszenierte an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, an der Staatsoper München und an der Dresdner Semperoper Werke von Wagner, Mozart, Tschaikowski und Strauss. Am 13. Februar 1985 wirkte er in der Eröffnungsvorstellung der wiedererbauten Dresdner Semper-Oper als Eremit im Freischütz und in der folgenden Rosenkavalier-Aufführung als Ochs mit. Theo Adams Repertoire war facettenreich. So zählten Mozarts Don Giovanni als auch die Partie des Scarpia in Puccinis Tosca zu seinen bevorzugten Partien. Auch als Lied- und Oratoriensänger, nicht zuletzt mit seinem jüngeren Tenorkollegen und Dresdner Freund Peter Schreier, konnte Theo Adam reüssieren. Auch der Moderne versagte er sich nicht, Alban Bergs Wozzeck verkörperte er genauso wie den Kadmos in Hans Werner Henzes Oper Die Bassariden.

Aber auch das ist Teil seiner Biografie. Theo Adam gehörte ab 1982 dem Musikrat der DDR an und war zudem Präsident des Kuratoriums der Staatsoper Dresden. Für sein Wirken wurde er mit dem Nationalpreis der DDR 1969, mit der Johannes-R.-Becher-Medaille 1979, mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold 1984 ausgezeichnet. Den anlässlich seines 40-jährigen Bühnenjubiläums am 7. Oktober 1989 verliehenen Großen Stern der Völkerfreundschaft gab er im Dezember 1989 mit der Begründung zurück, „die Empörung über die jetzt bekanntwerdenden Machenschaften einer korrupten Staatsführung“ veranlasse ihn zu diesem Schritt. 1990 wurde Theo Adam Ehrenmitglied des Deutschen Musikrates und 1994 Ehrenmitglied der Semperoper in Dresden. 1995 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Zu seinem 90. Geburtstag im August 2016 erschien eine CD-Edition mit Aufnahmen Theo Adams. Auf drei CD interpretiert er Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Strauss und Richard Wagner. Auch als Buchautor machte Theo Adam sich einen Namen. Mit viel Humor ist sein schon autobiografisches Werk Seht, hier ist Tinte, Feder und Papier zu sehen, ein herrlich lesenswertes Buch mit seltenen Einblicken hinter die Opernkulissen.

Theo Adams Stimme, sein Wirken und seine Darstellung werden unvergessen bleiben. Die Vorstellung von Richard Wagners Oper Der fliegende  Holländer am 11. Januar dieses Jahres unter der musikalischen Leitung des Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, widmet die Semperoper Dresden als Zeichen ihres großen Respekts und der hohen Wertschätzung seiner Leistung und seiner Persönlichkeit ihrem Ehrenmitglied, Kammersänger Theo Adam. Und auch ich verabschiede mich von einer Sängerpersönlichkeit, der ich unter anderem meine Liebe zu den Werken Richard Wagners verdanke. In Abwandlung von Wotans Abschied von Brünnhilde rufe ich mit Wehmut: „Leb wohl, Du kühner herrlicher Sänger“.

Andreas H. Hölscher