O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Regina Brocke

Hintergründe

Glanzvolle Verbindung

Am 14. März tritt Gauthier Dance mit Nijinski von Marco Goecke im Forum Leverkusen auf. Seit zehn Jahren kommt Eric Gauthier immer wieder gern in die rheinische Kreisstadt. Ausgerechnet zum Jubiläum ist der Tänzer und Choreograf nicht selbst dabei. Denn er feiert in Stuttgart mit The Gift seinen Abschied vom aktiven Tanz. Ein Solo. Da will man bei den Endproben nicht fehlen.

Eric Gauthier – Foto © Maks Richter

Gleich beim ersten Auftritt als Gauthier Dance Company in Leverkusen wurde es richtig aufregend. Kaum war die neue Formation im Forum eingetroffen, erfuhr Tänzer Armando Braswell, dass bei seiner Frau die Wehen eingesetzt hatten. Das erste Kind. Kurze Rücksprache mit dem Team, und schon machte er sich auf den Weg nach Hause. An Ersatz war in der Kürze der Zeit nicht zu denken. Und so sprang Eric Gauthier zum ersten und einzigen Mal bei allen vier an dem Abend gezeigten Stücken ein. Blut und Wasser hat er damals geschwitzt, aber es ging alles gut. „Das erste Gauthier-Dance-Baby ist geboren“, konnte er vor der Aufführung verkünden und erntete stürmischen Applaus vom Publikum.

Eine Empfehlung führte Claudia Scherb 2007 an das Theaterhaus Stuttgart. Sie müsse sich unbedingt Don Q. – Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit von Christian Spuck, getanzt von Eric Gauthier und Egon Madsen, ansehen. „Ich fuhr nach Stuttgart, sah die Vorstellung und war begeistert“, erinnert sich die Dramaturgin und Programmplanerin bei KulturstadtLev. Vor Ort erfuhr sie von der Gründung der Gauthier Dance Company und beschloss, die Truppe im Auge zu behalten.

„Man fühlt sich wie in einem UFO“

Mittlerweile tourt Gauthier Dance weltweit. Erst neulich debütierte die Compagnie in Berlin mit Nijinski von Marco Goecke. „Manchmal ertappe ich mich dabei, dass sich die Erinnerungen an die vielen verschiedenen Spielstätten vermischen“, gibt Gauthier zu. „Bei Leverkusen besteht in der Hinsicht allerdings nicht die geringste Gefahr. Ich habe kaum je so einen markanten Zuschauerraum gesehen. Man fühlt sich wie in einem UFO. Das ist und bleibt ein ganz besonderes Gefühl.“ Sehr viel mehr beeindruckt ist der Choreograf allerdings von seinen Fans. „Das Leverkusener Publikum ist ganz ähnlich wie in Stuttgart. Die Leute lieben den Tanz und sind sehr großzügig beim Applaus. Da rauscht jedesmal ein richtiggehender Wärmestrom über uns hinweg. Ein Auftritt im Forum ist deshalb immer ein echtes Highlight für uns.“

Es war ein Glücksfall, dass die Chemie zwischen dem Leverkusener Publikum und Gauthier Dance von Beginn an so stimmte und sich vor allem in den letzten Jahren zu einer solchen Verbundenheit entwickelte. „Ein reines Gastspielhaus hat ja im Gegensatz zu einem produzierenden Theater kaum die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen Publikum und einem Ensemble aufzubauen“, erläutert Scherb die Besonderheit dieser Beziehung. Selbst wiederholte Einladungen werden von den Besuchern misstrauisch beäugt, und es muss schon besondere Gründe geben, warum die Dramaturgin die Stuttgarter in den vergangenen zehn Jahren sieben Mal einlud. Kritik seitens des Publikums gab es nie. „Die Arbeiten waren so unterschiedlich, wie man sie sich nur wünschen kann, denn Gauthier Dance wies jedes Mal große internationale Choreografen auf, die mit der Compagnie arbeiteten“, sagt Scherb. Mauro Bigonzetti, Itzik Galili, Paul Lightfoot und Sol León, Jirí Kylián, Hans van Manen, Cayetano Soto, Johan Inger, Nanine Linning, Christian Spuck, Stephan Thoss, Marco Goecke – was für eine Werkschau! Und die Besucher, die inzwischen längst nicht mehr nur aus Leverkusen, sondern gern auch mal aus dem gesamten Rheinland für diesen einen Abend ins Forum kommen, durften in diesen Jahren nicht nur die Expansion der Truppe von anfänglich sieben auf heute sechzehn Tänzer, sondern auch eine permanente Steigerung der Qualität erleben. „Persönlich habe ich den Eindruck, dass die Compagnie immer besser wird, sich immer größeren künstlerischen Herausforderungen gewachsen zeigt“, erklärt Claudia Scherb ihre Vorfreude auf das diesjährige Gastspiel, von dem jetzt schon kein Geheimnis mehr ist, dass es ein Höhepunkt im Schaffen von Gauthier Dance werden wird.

Im Mittelpunkt steht der Zauber

Claudia Scherb – Foto © O-Ton

Das neue abendfüllende Ballett von Marco Goecke erzählt von dem Tänzer und Choreografen Waslaw Nijinski. Das Stück berührt Stationen aus seinem Leben, handelt von den Brettern, die die Welt bedeuten, und zeigt, wie nah Kunst und Wahnsinn beieinander liegen können.  Nijinski war einer der außergewöhnlichsten Künstler des vorigen Jahrhunderts. Als Tänzer verkörperte er Rollen, die Tanzgeschichte schrieben. Seine Partien bei den Ballets Russes unter Sergej Diaghilew, allen voran der Clown in Igor Strawinskis Petruschka, der Geist der Rose in Le spectre de la rose und der goldene Sklave in Scheherazade gingen in das kollektive Gedächtnis der Tanzwelt ein. Dennoch sind es vor allem seine Choreografien, mit denen er künstlerisches Neuland betrat und Maßstäbe setzte. Der Eklat, den Nijinskis Le sacre du printemps beim Pariser Publikum 1913 auslöste, gilt als einer der größten Skandale der gesamten Theatergeschichte. Kaum weniger Anstoß erregte die unverhüllte Erotik in seinem Ballett L’après-midi d’un faune nach Claude Débussy. Verwoben mit der Karriere ist sein Weg in den Wahnsinn. Er kämpfte gegen seine Schizophrenie und musste sich zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Nijinski erlebte beide Weltkriege und war als Patient einer Nervenheilanstalt der Bedrohung durch das nationalsozialistische Euthanasieprogramm ausgesetzt, dem er – gemeinsam mit seiner Frau Romola – nur mit knapper Not entkam. Goeckes Ballett begleitet Nijinski durch die Etappen seines Lebens, zeigt Schlüsselszenen aus seiner Jugend, den Jahren des Triumphs und dem unaufhaltsamen Verfall. Dennoch geht das Stück weit über eine rein biografische Beschäftigung hinaus und zielt auf grundlegende Fragen. Im Mittelpunkt steht der Zauber und der Wert der Kunst – aber auch der Preis, den sie allen künstlerisch Kreativen unnachgiebig abverlangt. Mit im Team sind Partner, mit denen Goecke eine lange Zusammenarbeit verbindet: die Bühnen- und Kostümbildnerin Michaela Springer, der Lichtdesigner Udo Haberland und die Dramaturgin Esther Dreesen-Schaback. Besonders aufmerksame Zuschauer werden auch alte Bekannte wiederentdecken. Tänzerin Garazi Perez Oloriz ist ebenso von Anfang an dabei wie der Tänzer Rosario Guerra, der Nijinski tanzt.

Der Tänzer geht, der Choreograf wird wiederkommen

Nur einer wird am 14. März nicht dabei sein: Eric Gauthier. Verrückt. „Dass ich zu unserem Zehnjährigen nicht in Leverkusen sein kann, bedaure ich sehr. Aber beim nächsten Gastspiel bin ich wieder dabei. Versprochen!“, sagt der Choreograf, der nicht mehr Tänzer sein will. Dabei war die Nachricht, dass er seine Karriere als Tänzer beendet, nur die halbe Wahrheit. Denn eigentlich tanzt Gauthier schon lange nicht mehr. Irgendwann nahmen andere Aufgaben einfach überhand, und er hörte auf. Aber es gab nie einen offiziellen Abschied. Den will er am 21. März nachholen. Dann findet am Stuttgarter Tanzhaus seine Abschiedsvorstellung statt – The Gift. Derzeit ist er also mit Endproben beschäftigt. Und es gibt einen plausiblen Grund, warum er darauf bestehen muss, in Stuttgart zu bleiben. „Ich kann schlecht während der Endproben fehlen. Das Stück ist ein Solo“, sagt er. Einverstanden. Und vielleicht ist es bei einem Stück wie Nijinski auch gar nicht so falsch, wenn es keine charmante Kurzeinführung des Compagnie-Chefs gibt, sondern einfach die Wucht des Stücks wirkt. Das werden die Besucher entscheiden.

Schon heute steht fest: Es wird nicht das letzte Stück sein, dass Gauthier Dance in Leverkusen zeigen wird. Egal, ob Berlin, Moskau, Tel Aviv, Toronto oder Monaco: „Dem Leverkusener Publikum bleiben wir auf jeden Fall erhalten“, verspricht Gauthier. „Es hat die Company von Anfang an begleitet und unterstützt, auch als wir längst nicht so bekannt waren wie heute. Da fällt es nicht schwer, treu zu bleiben.“ Und der Compagnie-Chef erinnert sich noch gut, als seine Tourmanagerin zum ersten Mal den Namen Leverkusen ins Spiel brachte. Schließlich ist er ein großer Fußball-Fan und „der Traum vom Stadionbesuch ist bislang ein Traum geblieben“. Na, wenn sich da nicht was arrangieren lässt.

Michael S. Zerban