O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Nachruf

Nachruf auf Franz Xaver Ohnesorg

Im Alter von 75 Jahren ist der Kulturmanager und Intendant des Klavier-Festival Ruhr plötzlich und unerwartet verstorben. Ein persönlicher Nachruf von Hartmut Sassenhausen.

Franz Xaver Ohnesorg – Foto © Mark Wohlrab

Es dürfte allseits bekannt sein, dass Franz Xaver Ohnesorg Rezensionen nicht kommentierte. Machte er aber höchst selten eine Ausnahme, konnte sich der Autor des Artikels, um den es ging, auf die Schultern klopfen. Aus allen Wolken fiel ich, als nach Erscheinen einer meiner Konzertkritiken über den Pianisten Grigory Sokolov folgende Nachricht auf meinem Handy erschien: „Lieber Herr Sassenhausen – gerade lese ich Ihre Kritik zu unserem Sokolov-Abend. Ich mache das eigentlich nie – aber in diesem Fall will ich mich bei Ihnen doch sehr herzlich für diese überaus lebendige Kritik und das Ereignis in so kluge Worte fassende Konzertbesprechung bedanken. Den Menschen, die das Konzert selbst erlebt haben, bieten Sie damit eine wunderbare Reflektion des Gehörten. Und jenen, die nicht dabei sein konnten vermitteln Sie, was sie versäumt haben. Mehr kann man mit Worten nicht erreichen. Großes Kompliment und herzlichen Dank! Ihr Franz Xaver Ohnesorg“. Ja, so war er, auch wenn er vieles für sich behielt. Er nahm regen Anteil an Lob, konstruktiver Kritik und Meinungen anderer, setzte sich damit auseinander. Auch wenn er eine andere Ansicht hatte, blieb er immer höflich und respektvoll. Nahm er sich trotz seines vollen Terminkalenders ein wenig Zeit für ein Gespräch, hörte er aufmerksam zu. Auf Augenhöhe konnte ich mich mit ihm über klassische Musik unterhalten. Es machte Freude, wenn wir intensiv über zeitgenössische Musik diskutierten.

Eigentlich wollte Franz Xaver Ohnesorg seinen Job als Intendant des Klavier-Festivals Ruhr Ende des Jahres an den Nagel hängen. Seit 2005 bekleidete er dieses Amt und entwickelte das Festival weltweit zu dem größten seiner Art. Es war seine Absicht, sich mit drei großen Benefiz-Galas von seinem treuen Publikum, den ihn lange begleitenden Musikern und seinem Team zu verabschieden. Zwei davon konnte er noch genießen. Das letzte in der ausverkauften Philharmonie Essen wird nun ein Gedächtniskonzert werden. Denn am Dienstag, 14. November, ist er für alle völlig unerwartet am Abend im Alter von 75 Jahren gestorben.

Wie ein roter Faden zog sich die Musik durch sein Leben. 1948 in Weilheim in Oberbayern geboren, studierte er nach seinem Abitur und seiner Ausbildung zum Flötisten Betriebswirtschaftslehre, Musik- und Theaterwissenschaften sowie Kunstgeschichte. Anschließend war er als freier Journalist tätig. Als er 1978 Orchesterdirektor der Münchner Philharmoniker wurde und ein Jahr später Sergiu Celibidache als neuen Generalmusikdirektor engagierte, begann seine Karriere als Kulturmanager. Anschließend war er langjähriger Direktor und Gründungsintendant der Kölner Philharmonie. Er gründete 1994 die MusikTriennale Köln. Ab 1999 war er Direktor der Carnegie Hall in New York und wurde rund zweieinhalb Jahre später Intendant der Berliner Philharmoniker. Dort bereitete gegen Ende der Ära von Claudio Abbado die Regentschaft von Sir Simon Rattle vor. Parallel war er bereits seit 1996 Künstlerischer Leiter des Klavier-Festivals Ruhr. 2003 ging er vollends ins Rheinland, wurde zwei Jahre später sein Intendant und ab 2011 zusätzlich Vorstand der Stiftung Klavier-Festival und Geschäftsführer der Klavier-Festival Ruhr Sponsoring und Service GmbH. Unter seiner Ägide gaben sich dank seines großen Netzwerks Berühmtheiten der Klassik- und Jazz-Szene die Klinke in die Hand. Mit vielen Musikern verband ihn eine langjährige enge Freundschaft. Aber auch dem talentierten Nachwuchs bot er ein Podium, das manchen zu einer großen Karriere verhalf. In aller Munde ist außerdem das Musikvermittlungsprojekt des Klavier-Festivals, das auf seine Initiative hin entstand. Es wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter im Jahr 2016 der renommierte „Echo Klassik“.

Ohnesorgs überaus erfolgreiche berufliche Tätigkeit sucht wohl seinesgleichen. Immens war sein musikalisches Repertoire. Regelmäßig setzte er sich für die zeitgenössische Musik ein. So lag etwa in diesem Jahr ein Schwerpunkt des Festivals auf der Musik György Ligetis, wofür er namhafte und auf diesem Gebiet exzellente Künstler gewinnen konnte. Außerdem hatte er für jeden hinter, auf und vor der Bühne ein offenes Ohr. Legendär war sein Personen- und Namensgedächtnis. Etwa konnte er sich noch genau an Personen erinnern, die ihm über den Weg liefen, obwohl sie lange keinen Kontakt miteinander hatten.

Auf viele Fragen, ob er wirklich sein Engagement beim Klavier-Festival Ruhr ganz sein lassen könne, kam immer die prompte Antwort, dass am 31. Dezember definitiv Schluss sei und er sich auch künftig nicht einmischen wolle. Seine Verantwortung wolle er dann ganz in die Hände seiner Nachfolgerin Katrin Zagrosek geben. Sie arbeitet sich bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres ein und bringt mittlerweile das kommende Festival in trockene Tücher. Ab dem 1. Januar wollte sich Franz Xaver Ohnesorg nur privaten Dingen widmen und rein ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Kölner Kammerorchesters tätig sein.

Allerorts ist die Trauer groß, sitzt der Schock tief. Angemessene Worte fand etwa NRW-Kulturministerin Ina Brandes: „Mit Franz Xaver Ohnesorg verlieren wir einen leidenschaftlichen Künstler und Kulturmanager, der sich wie kaum ein Zweiter unschätzbare Verdienste für die Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens erworben hat. Sein Engagement für das Klavier-Festival Ruhr ist ein bleibender Schatz, der Strahlkraft weit über Nordrhein-Westfalen entwickelt hat.“

Das letzte ausverkaufte Benefiz-Konzert am 25. November in der Philharmonie Essen findet statt, wird aber nun im Gedenken an Ohnesorg durchgeführt. Aus der geplanten Gala wird also wahrscheinlich ein Requiem werden. Zugesagt haben Musiker von Weltruf, darunter Martha Argerich, Lang Lang, Joseph Moog, Anne-Sophie Mutter sowie das Klavier-Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen.

Nur die Gespräche mit Franz Xaver Ohnesorg – die wird es jetzt nicht mehr geben. Ich werde sie vermissen.

Hartmut Sassenhausen