O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Begin again von Zoe Juniper - Foto © Jazzy Photo

Hintergründe

Hängepartie fürs Tanzland

Wenn die Internationale Tanzmesse NRW Ende August an den Start geht, ist kaum mehr von der Euphorie zu spüren, die vor zwei Jahren noch das Geschehen beflügelte. Stattdessen mehren sich die Ungereimtheiten. Und die Verantwortlichen schweigen.

Dieter Jaenicke – Foto © O-Ton

Seit Jahren wird es gebetsmühlenartig wiederholt, das Credo vom Tanzland NRW. Zu spüren ist immer weniger davon. Die Stadt Köln als Standort vieler Choreografen scheint nicht in der Lage oder Willens, vernünftige Arbeitsbedingungen für die Tänzer zu schaffen. Das Tanzhaus NRW in Düsseldorf ist baulich stark angegriffen und kann nur mühselig und unter öffentlichem Druck dafür sorgen, dass dringend notwendige Sanierungsarbeiten durchgeführt werden. Und beim Aushängeschild Internationale Tanzmesse NRW gibt es mehr Fragen als Antworten.

Dieter Jaenicke ist Intendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau. Jedenfalls bis zum 31. Juli dieses Jahres. Danach geht der heute 68-Jährige nicht etwa in den wohlverdienten Ruhestand. Stattdessen wurde er am 1. Juni vergangenen Jahres zum Künstlerischen Leiter der Tanzmesse ernannt. Warum es nach Felix Wittek, seinem Vorgänger, keine junge, ambitionierte Frau mit entsprechender Qualifikation wurde, dazu will sich die Tanzmesse nicht äußern. Kein überzeugendes Signal in einer Zeit, in der andere Institutionen endlich damit beginnen, verkrustete Führungsstrukturen aufzubrechen. Aber möglicherweise will man sich in der derzeitigen Situation bei der Tanzmesse doch lieber auf „bewährte Rezepte“ verlassen. „Die Tanzmesse NRW ist das weltweit größte Treffen zeitgenössischen Tanzes überhaupt, das es gibt. Ich habe in den letzten Monaten bei vielen Reisen feststellen können, dass die Arbeit meiner Vorgänger wirklich hervorragend war. Denn die Tanzmesse ist im letzten Winkel der Tanzwelt bekannt. Das ist natürlich auch eine Verpflichtung und eine Verantwortung, mit einem solchen Potenzial umzugehen“, sagt Jaenicke und erwähnt damit die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere Seite, die er nicht erwähnt, sieht nicht ganz so rosig aus. Zwar werden laut Veranstalter-Angaben auch in diesem Jahr wieder mehr als 120 Stände im Düsseldorfer NRW-Forum aufgebaut werden, aber die Zahl der teilnehmenden Länder ist gerade mal von 56 auf 35 Länder abgesackt und wie viele der Stände tatsächlich vermietet sind, sagt die Tanzmesse auch nicht. Und die gezeigten Aufführungen wurden von 90 auf 45 Kompagnien eingedampft. Ein Erfolgsmodell sieht anders aus.

Erfolgsrezept China

Krisenmanager Jaenicke aber sieht optimistisch in die Zukunft. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Seine Vision liegt in Asien. „Wir haben uns entschlossen, ab dieser Ausgabe für jede Tanzmesse ein Partnerland auszuwählen. Das ist 2018 die Volksrepublik China. Wir haben den Vorschlag in der Botschaft in Berlin unterbreitet und haben auch sofort große Zustimmung gefunden. Wir haben mehrfach zusammengesessen. Ich war mehrfach dann auch nach China und Hongkong eingeladen. Und wir haben zusammen ein sehr, sehr interessantes Programm zusammengestellt“, sagt Jaenicke. Übersetzt heißt das wohl, dass China genügend Geld in die Tanzmesse eingezahlt hat, um sich im europäischen Markt zu etablieren. Und so hat sich die Volksrepublik gleich mal die Eröffnungs- und Abschlussveranstaltung für ihre Kompagnien gesichert, „weil in China seit vielen Jahren der zeitgenössische Tanz wirklich boomt“. Eine Erkenntnis, die im Tanzhaus NRW, das sich ansonsten sehr feinfühlig gegenüber Trends zeigt, anscheinend noch nicht angekommen ist, wie ein Blick ins Programmheft zeigt. Hier scheint es dann noch echten Nachholbedarf zu geben.

Denn das Tanzhaus NRW ist auch in diesem Jahr das Zentrum des begleitenden Festivals. Auch das im gleichen Gebäudekomplex liegende Capitol und das Central am Hauptbahnhof als Ausweichspielstätte des Schauspielhauses sowie das Forum Freies Theater mit seinen Spielstätten werden Austragungsorte, an denen sich die 45 Kompagnien, die die Tanzmesse aus 700 Vorschlägen – vor zwei Jahren waren es noch über 800 – nach eigenen Kriterien ausgewählt hat, präsentieren werden. „Dazu kommt das Weltkunstzimmer. Und es kommt das Forum in Leverkusen und die Fabrik Heeder in Krefeld dazu. Da können wir uns vorstellen, das in die Zukunft hin perspektivisch auszuweiten“, gibt Jaenicke die weitere Entwicklung vor. Und der erfahrene Kulturmanager will an diesen Spielstätten nicht nur die asiatische Schiene fahren, sondern auch der nordrhein-westfälischen Tanzszene Raum geben.

Die üblichen Verdächtigen

„Das ist uns wichtig, dass wir uns nicht entfernen von der lokalen Tanzszene. Dass wir da auch geerdet sind. Dass wir da verbunden sind. Und dass wir natürlich diese Plattform, die Tanzmesse NRW, auch anbieten für die Künstler aus NRW. Auch für die ist das natürlich wichtig, präsent zu sein und Intendanten und Direktoren aus aller Welt zu treffen. Auch für die eröffnet das Chancen für künftige Tourneen und Touren“, öffnet Jaenicke allmählich den Raum zur Beliebigkeit. Ben J. Riepes überarbeitete Version von Carne vale! wird im Balletthaus der Rheinoper zu sehen sein und allein durch die Wahl der Spielstätte für außerordentliches Interesse sorgen. Mit Fabien Prioville, Stephanie Thiersch und Alexandra Waierstall werden zudem allzu bekannte Namen aus dem Hut gezogen. Den Choreografen sei es gegönnt, ein originelles oder gar visionäres Angebot sieht auch hier anders aus. Sensationeller oder zumindest vielversprechender Nachwuchs? Fehlanzeige. Stattdessen lieber noch mal Angie Hiesl.

Finanzielle Ergebnisse verbessern

Eine weitere, scheinbare Neuerung der bevorstehenden Tanzmesse ist, so entsteht der Eindruck, mehr auf Druck der Sponsoren als aus innerer Einsicht entstanden. Das Festival werde in diesem Jahr für das Publikum geöffnet. „Das heißt, bei den großen Veranstaltungen, bei den kleineren wird es nicht gehen, wird es immer auch ein Kartenkontingent für ganz normales Publikum geben. Das ist auch für Künstler eine viel schönere Situation, wenn sie nicht ausschließlich für Professionals spielen. Und ich glaube, es ist einfach auch wichtig, dass sich die Messe für das Land aufmacht“, berichtet Jaenicke stolz, aber eher unwissend. Denn zumindest Leverkusen und Krefeld hätten sich schon in den Vorjahren schön bedankt, wenn sie nur auf die „Professionals“ angewiesen gewesen wären.

Vier Tage lang, vom 29. August bis zum 1. September, hat die Tanzmesse Gelegenheit zu beweisen, dass der internationale Tanzmarkt tatsächlich auf China gewartet hat, und Zuschauer wie Geldgeber zu überzeugen, dass eine Messe für den Tanz in Zeiten des Internet noch notwendig ist, in dem sich Veranstalter und andere Entscheider sehr viel schneller von den Leistungen einer Kompagnie überzeugen können. Dieter Jaenicke glaubt an die persönliche Begegnung. „Die Messe bekommt viel mehr einen Kommunikationscharakter. Und sie kann anbieten, was das Internet eben nicht anbieten kann: Die direkte Kommunikation. Mit den Künstlern, mit den Veranstaltern, mit den Repräsentanten aus vielen Ländern. Und in diese Richtung auch stärker eine Kommunikationsbörse zu sein, eine Ideenmesse zu sein, bestimmte Themen vorzugeben, bestimmte Bereiche vorzugeben, an denen sich die Messe weiterentwickelt, das wird sicher der Weg für die Zukunft der Internationalen Tanzmesse sein. Und sich stärker noch mit den Eigenheiten unterschiedlicher Tanzszenarien in der Welt auseinanderzusetzen“, sagt der alte, weiße Mann.

Michael S. Zerban