O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Hintergründe

Der Geschmack des Sommers

Vom 2. bis zum 18. Juni richtet die Tonhalle das alljährlich stattfindende Schumannfest aus. Die wievielte Ausgabe es eigentlich ist, weiß niemand. Und bis heute kämpft das Fest um eine eindeutige Ausrichtung. Vieles spricht dafür, dass in diesem Jahr eine zukunftsweisende Tonalität gefunden wird, die ein breiteres Publikum anspricht. Zumindest ist der Blick in den Konzertkalender des Festivals appetitanregend.

Michael Becker – Foto © Susanne Diesner

Seit 1981, dem Jahr, in dem es zum ersten Mal stattfand, hat das Schumannfest vieles erlebt, immer aber nur einen marginalen Erfolg. Ursprünglich von der Robert-Schumann-Gesellschaft ins Leben gerufen, war das Festival mit einem wissenschaftlichen Symposium kombiniert. Weil viel Geld vorhanden war, wurden Künstler mit Weltruf verpflichtet. Der durchschlagende Erfolg blieb aus. Wer im Internet nach einer Dokumentation des Schumannfestes sucht, wird enttäuscht. 2019 übernahm die Tonhalle Düsseldorf das fortan jährlich stattfindende Schumannfest. Und kämpft seither um eine überzeugende Ausrichtung.

Der Ansatz des vergangenen Jahres klang zunächst überzeugend. Da wollten die Organisatoren die bildende Kunst in das Festival einbinden. Die Enttäuschung war groß, die Gründe für das mäßige Abschneiden vielfältig. Die einen sagten, das habe das Publikum nicht verstanden, die anderen mokierten sich über Plakate, die so schlecht gestaltet gewesen seien, dass sich davon niemand angesprochen fühle, dritte wussten, dass es die Angst der Bevölkerung vor Ansteckung mit dem Corona-Virus sei, die sie von Konzerten fernhielt. Was blieb, war die Erkenntnis, dass das Schumannfest sein Potenzial noch immer nicht entfaltet hatte.

In diesem Jahr gibt es ein neues, ein erfolgversprechendes Konzept. Michael Becker, Intendant der Tonhalle, erklärt das Prinzip. Das Publikum soll in seinem Lebensgefühl angesprochen werden. Mit ungewöhnlichen Produktionen, die nicht in das übliche Schema des saisonalen Tonhallen-Programms passen, sollen potenzielle Zuschauer auf den Sommer – oder doch eher auf das Ende der Spielzeit? – eingestimmt werden. „Das Schumannfest dreht sich um den Sommer und um alles, das Clara und Robert Schumann gut finden würden und wofür sie als Komponistenpaar bis heute stehen: Innovation und Experimentierfreude“, sagt Becker. Das klingt erst mal nach einer guten Idee. Und Maja Plüddemann, studierte Kontrabassistin, die seit September vergangenen Jahres als Assistentin des Intendanten und Leiterin des Schumannfestes bei der Tonhalle arbeitet, darf auch gleich einen „Höhepunkt“ verkünden, der das Festival eröffnet. 1850 wurde Genoveva, die einzige Oper Robert Schumanns, in Leipzig uraufgeführt. Sie fiel durch. Die negativen Kritiken, so heißt es, sorgten dafür, dass Schumann keine weitere Oper komponierte. Jetzt kündigt Plüddemann das Werk als „Seelenmalerei“ und mit einer beachtenswerten Besetzung an. Das Helsinki Baroque Orchestra wird unter der Leitung von Aapo Häkkinen auf Instrumenten jener Zeit spielen. Carolyn Sampson wird Genoveva singen. Und Kristiina Helin soll für eine Visualisierung, welcher Art auch immer, sorgen. Zweieinhalb Stunden sind für das Spektakel im Mendelssohn-Saal der Tonhalle vorgesehen.

So richtig nach Sommerspektakel klingt das noch nicht. Möglicherweise kann der wirklich originelle, englischsprachige Slogan Taste the Summer weiterhelfen, in Verbindung mit einem eigens entwickelten Cocktail, der mit seinem Namen Robert and Clara Sundowner dann die Spitze des Einfallsreichtums noch übertrifft – wahlweise mit oder ohne Alkohol. Denn schließlich wird es nach jedem Konzert noch die Möglichkeit geben, mit den Künstlern auf ein Getränk zusammenzutreffen, ebenfalls eine Neuerung in diesem Jahr. Das freut das Catering. Und tatsächlich kann man sich ja gut vorstellen, mit den Musikern des Minguet Quartetts und der Pianistin Claire Huangci nach ihrem Abend mit Werken von Schumann und Ligeti noch auf ein Gläschen im Innenhof des Palais Wittgenstein zu verweilen. Möglicherweise werden die Canzoni d’Amore das italienisch-sommerliche Lebensgefühl noch weiter vorantreiben. „Kein Italo-Pop“, betont Uwe Sommer-Sorgente, Chefdramaturg der Tonhalle, der den Sänger Vincenzo Capezzuto mit dem Ensemble Soqquadro Italiano in die Neanderkirche in der Düsseldorfer Altstadt eingeladen hat. Barock wird stattdessen geboten, „ganz nah an den Menschen“.

Schumann hätte die neue Musik gefallen

Maja Plüddemann – Foto © Susanne Diesner

Wenn auch in diesem Jahr die Besucherzahlen nicht mit den Erwartungen übereinstimmen, liegt es sicher nicht am grandiosen Konzertangebot wie beispielsweise neuer Musik, die unter dem Titel How dare you! Werke von Laura Marconi und Christoph Ritter anbietet. „How dare you“ – Wie können Sie es wagen! – war der Satz, den die Schülerin Greta Thunberg dem UN-Klimagipfel 2019 entgegenschleuderte, weil sie, wohl bis heute, glaubt, der Klimawandel sei menschengemacht. Ob sich diese Überheblichkeit auch in der Musik äußert, wird zu erleben sein. Vorausgesetzt, das Publikum erfährt rechtzeitig davon. Wer derzeit auf die Website der Tonhalle geht, wird nicht auf die Idee kommen, es könne so etwas wie ein Schumannfest geben. Dabei steht alles Wichtige geschrieben. Man muss es nur finden. Ganz rechts oben gibt es nicht die große Vorankündigung, die Lust auf einen mit spannenden Konzerten prallgefüllten Frühling macht, oder einen schicken Trailer, sondern drei Balken. Auf die muss man klicken, dann auf „Programm“ und „Schumannfest“. Erst dann wird der geneigte Interessent erfahren, dass es außer Genoveva noch weitere Konzerte gibt. Wie etwa Ex Utero, eine Marienvesper des Ensembles The Present, oder The Four Elements vom Brooklyn Rider Quartet, das sich musikalisch der globalen Erwärmung entgegenstellen will.

Eine ganz besondere Klangfarbe gilt es im Palais Wittgenstein zu entdecken, wenn das Saxofon-Quartett Clair-obscur aus Berlin nicht nur Werke von Clara und Robert Schumann interpretiert, sondern auch Ravel, Piazzolla, Glasunow und Chick Corea im Programm hat. Ebenfalls ein interessantes Sammelsurium bietet das Bläser-Ensemble der Jungen Deutschen Philharmonie, wenn es am selben Ort zwei Tage später unter dem Titel Wunderland Musik von Ligeti, Chin, Fujikura, Bach, Takemitsu und Barber spielt.

Über den Dächern der Stadt

„Ich freue mich sehr darauf, dass das Publikum mit uns gemeinsam in die Welt der Schumanns eintauchen und all diese wunderschönen Konzerte in sommerlicher Atmosphäre genießen wird“, sagt Plüddemann und hofft dabei auf gutes Wetter. Denn dann werden die erstmalig stattfindenden Skyline-Konzerte ihre volle Wirkung entfalten. Pianist Saleem Ashkar hat für das Schumannfest drei Konzerte konzipiert, die in den obersten Etagen der höchsten Häuser der Stadt stattfinden. Über den Dächern Düsseldorfs spielt Ashkar am 14. Juni solo im Eclipse am Kennedydamm und noch zwei weitere Konzerte mit Mitstreitern am 17. Juni im Dreischeibenhaus und am 18. Juni im Sign im Medienhafen. Zu hören gibt es Musik von Clara und Robert Schumann, Brahms und Mendelssohn sowie jeweils eine frisch komponierte Uraufführung, die sich den Schumanns widmet.

Spätestens am 18. Juni sollte dann aber – ganz wetterunabhängig – jeder Düsseldorfer in den Mittagsstunden den Weg in die Tonhalle finden. Denn hier wird das Sommer-Musikfest stattfinden. Bei freiem Eintritt werden hier nicht nur die festen Ensembles der Tonhalle vom Kinderorchester bis zu den Düsseldorfer Symphonikern, sondern auch ein Publikumschor, ein Publikumsorchester und viele Musiker der so genannten Freien Szene der Stadt zu erleben sein.

Einen Festivalpass wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Becker begründet das mit einer geringen Nachfrage, die einem überhöhten Aufwand entgegenstehe. Besonders attraktiv aber ist das Festival für die Jugendlichen. Denn, so erläutert Pressesprecherin Marita Ingenhoven, die Ermäßigungen seien nicht nur für Studenten gemeint, sondern gleichermaßen für Auszubildende, auch wenn diese nicht ausdrücklich erwähnt seien. Dann sollte einem großartigen Sommerfest also nichts entgegenstehen.

Michael S. Zerban