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Hintergründe

Der Ring aus dem Wohnzimmer

Derzeit sind viele Häuser damit beschäftigt, „Ersatzveranstaltungen“ für die ausgefallenen Aufführungen im Internet zu erfinden. Das gelingt nicht immer zur Zufriedenheit aller, vor allem bei den technischen Lösungen scheint man sich oft mit dem absoluten Minimum zufriedenzugeben. Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg versucht sich derzeit an einem digitalen Talk zum ausgefallenen Ring des Nibelungen.

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Vom 7. bis zum 13. April sollte eigentlich am Düsseldorfer Opernhaus Richard Wagners Ring des Nibelungen als Zyklus auf die Bühne gebracht werden, doch bekanntermaßen machte die Corona-Epidemie in Deutschland einen gehörigen Strich durch die Rechnung; alle Theater sind derzeit geschlossen. Um den so erhaltenen Phantomschmerz etwas zu lindern, haben der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf und Duisburg, Axel Kober, sowie der Spielleiter und Regieassistent Dorian Dreher kurzerhand entschieden, an den jeweiligen Ring-Spieltagen aus dem heimischen Wohnzimmer einen digitalen Talk zu senden, der sich mit dem jeweils an dem Abend auf dem Spielplan stehenden Bühnenwerk beschäftigt. So begrüßt Kober in der ersten Folge der neuen digitalen Talkreihe die Zuschauer via Stream vom heimischen Klavier mit den ersten Takten in Es-Dur des Rheingold. Dreher ist per Videos zugeschaltet, sitzt vor einer großen Regalwand und erzählt von seinen Aufgaben als Spielleiter und Regieassistent für den Ring. Von den berühmten ersten 136 Takten des Rheingold ausgehend, besprechen sie das Zusammenwirken von Szene und Musik bei Wagner und insbesondere im Ring.  Der Orchesterschlagzeuger der Duisburger Philharmoniker, Christoph Lamberty, wird aus dem heimischen Wohnzimmer per Video zugeschaltet und erläutert sehr plastisch, mit welchen Hilfsmitteln man die Ambosse im Rheingold imitieren kann.

Zur Walküre haben die beiden sich dann was ganz Besonderes ausgedacht. Nach einer kurzen musikalischen und szenischen Erläuterung des Einstiegs in die Oper werden Inhalt und die wichtigsten musikalischen Szenen von Kober und Dreher in schon gewohnt lockerer und leicht verständlicher Art vorgestellt. Als Überraschungsgäste in diesem Talk werden die beiden Baritone Simon Neal und James Rutherford aus den heimischen Wohnzimmern in ihrer englischen Heimat zugeschaltet. Beide erzählen in ihrer Muttersprache auf heitere Art und Weise über ihrer beider Umgang mit der großen Rolle des Wotan in der Walküre unter Einbeziehung des typisch britischen Humors. Interessant auch die durchaus unterschiedliche Sicht- und Herangehensweise der beiden Baritone an diese Rolle. Zum Schluss des spannenden Gespräches gelingt Axel Kober ein ganz besonderes Bonbon für Wagner-Fans.

Simon Neal und James Rutherford singen im Duett, von Axel Kober am Klavier begleitet, Wotans letzte Worte aus der Walküre: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!“ Auch technisch eine große Herausforderung, immerhin sind es drei verbundene Videos. Neal hat zur Unterstützung noch einen Wischmopp als Speer in der Hand, und dann geht das kurze und wohl einmalige Duett zweier stimmgewaltiger Wotane in die Geschichte des digitalen Talks ein, bevor zum Schluss die Überblendung des Klavierspiels zur Orchestermusik der Duisburger Symphoniker den zweiten Teil beendet.

Der dritte Teil zur Oper Siegfried beginnt genauso humorvoll und musikalisch, wie der zweite Teil zur Walküre endete. Tenor Cornel Frey, Darsteller des Mime im Düsseldorfer Ring, ist aus seiner „Quarantäne“ im Oberbergischen zugeschaltet und begrüßt die Zuschauer mit Mimes ersten Worten aus dem Siegfried: „Zwangvolle Plage, Müh ohne Zweck …“ und schlägt statt mit einem Hammer auf ein Schwert mit einem Suppenlöffel auf eine Konservendose, so wie er sie auch in der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf in der Hand hält. Aber es muss sich keiner Sorgen um den guten Frey machen, ihm geht es gut, nur leidet er wie alle unter der Zwangspause. Freys Einstieg in den Düsseldorfer Ring ist wie so häufig die Geschichte des kurzfristigen Einspringens für einen erkrankten Kollegen, des Lernens von Text und Noten über Nacht und des Durchhangelns von Szene zu Szene, um dann am Ende doch grandios zu überzeugen. Diese Geschichten passieren immer wieder in der Opernszene, aber sie von einem Betroffenen selbst zu hören, ist durchaus spannend und nimmt den im Operngeschehenen nicht so erfahrenen Zuschauer mit hinter die Kulissen des Theaterbetriebs. Natürlich steht die Oper Siegfried im Vordergrund des dritten Teils, und passend dazu wird Corby Welch, der Hauptdarsteller der Premiere, aus Südengland zugeschaltet. Welch, der der Deutschen Oper am Rhein seit über 17 Jahren verbunden ist, erzählt über seine Sichtweise der Rolle und die Herausforderungen an einen Sänger, wenn er neben dem Gesang auch noch rhythmisch hämmern muss. Eine weitere Herausforderung in jeder Siegfried-Aufführung sind die Solo-Hornrufe, und dazu ist Uwe Schrumpf, der Solo-Hornist der Düsseldorfer Symphoniker aus dem heimischen Wohnzimmer zugeschaltet.

Interessant für den Wagner-Freund ist die Interaktion zwischen dem Darsteller, der das Horn auf der Bühne führt, aber das Spiel natürlich nur imitiert, und dem Solo-Hornisten im Graben, der dazu synchron die Melodie spielt. Das verlangt eine intensive Abstimmung und Probe, damit beides schön synchron zu sehen und zu hören ist. Schrumpf spielt aber nicht nur das Horn, sondern auch die ganz besondere „Wagner-Tube“. Schrumpf spricht über die historische Entwicklung des Musikstückes, das von Wagner über viele Jahre selbst betrieben wurde, und über die technischen Schwierigkeiten und Herausforderungen des Instrumentes. Auch der Unterschied zwischen einer Vorstellung, in der man als Orchestermusiker im Graben sitzt und den besonderen Herausforderungen einer konzertanten Aufführung, in der man auf der Bühne sitzt, wird von Schrumpf sehr plastisch erläutert. Mit der szenischen und musikalischen Erläuterung des Finales von Siegfried durch Axel Kober und Dorian Dreher endet der dritte Teil der digitalen Talkreihe zum Ring des Nibelungen.

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Mit der Götterdämmerung steht dann der letzte Abend auf dem Programm, sowohl im Ring als auch im Talk. Wieder grüßen Axel Kober und Dorian Dreher aus dem Homeoffice und analysieren szenisch und musikalisch die ersten zwei Aufzüge des letzten Abends der Tetralogie. Ausgehend von der Nornen-Szene, in der endlich klar wird, warum Wotan nur ein Auge besitzt, über die schwierige Figur des Hagen bis zu der Chorszene und den Mannenrufen Hagens sowie der Demütigung Brünhildes vor dem gesamten Volk. Dreher stellt in dieser Szene eine interessante und sicher diskussionswürdige Verbindung zu Verdis Othello und der korrespondierenden Szene mit Desdemona her. Kober vergleicht dann die Szene der Rheintöchter im dritten Aufzug der Götterdämmerung mit dem ersten Bild im Rheingold und stellt vor allem die Unterschiede heraus. Als erster Gast des Abends wird aus Berlin Michael Weinius zugeschaltet, der Premieren-Siegfried in Düsseldorf. Er spricht auf Englisch über die Unterschiede der beiden Siegfried-Partien im Siegfried und in der Götterdämmerung. Als zweiter Überraschungsgast des Abends wird dann Linda Watson aus der Nähe von Wien zugeschaltet. Watson, die Düsseldorfer Brünnhilde und vor drei Monaten von der Wiener Staatsoper mit dem Titel „Kammersängerin“ ausgezeichnet, debütierte 1995 in Paris als Brünnhilde und sang diese Partie nach eigenen Angaben mittlerweile in fünfundzwanzig verschiedenen Ring-Produktionen. Sie erzählt im besten Deutsch vor allem über die unterschiedlichen Herangehensweisen von Regisseuren an das Sujet des Rings.

Da gibt es Regisseure wie Dietrich W. Hilsdorf, der den aktuellen Ring an der Deutschen Oper am Rhein auf die Bühne gebracht hat und der vom Wort ausgeht. Dagegen gibt es Regisseure wie Robert Wilson oder Achim Freyer, denen der Text völlig egal sei. Wiederum andere Regisseure wollen das ganz große Bild, während Linda Watson selbst am liebsten mit Regisseuren zusammenarbeitet, die die Personenregie in den Vordergrund stellen und die Beziehungen der handelnden Personen auf der Bühne untereinander genau beleuchten. Von denen gäbe es aber leider nur sehr wenige. Unzählige Dirigenten und Tenöre hat sie seit ihrer ersten Ring-Produktion erleben und begleiten dürfen. Und trotz aller Routine und Abgeklärtheit sei sie auch heute immer noch neugierig auf Neues. Auf die Frage an Weinius, was das für ein Gefühl gewesen sei, als Rollendebütant mit einer so erfahrenen Brünnhilde zusammensingen zu dürfen, antwortet dieser ganz frank und frei „the perfect bless for a rookie.“ – frei übersetzt: Das Beste, was einem blutigen Anfänger passieren kann. Und für Watson ist zudem sehr wichtig, in der teils langen Probephase auch eine persönliche Beziehung zu ihren Kollegen aufzubauen, insbesondere zu den Siegfried-Darstellern. Das Gespräch mit der zweifachen Kammersängerin Watson darf sicher als ein Höhepunkt dieser Talk-Reihe gewertet werden.

Zum Schluss widmen sich Dreher und Kober ihrer Lieblingsbetätigung und besprechen das große musikalische Finale der Götterdämmerung. Dreher, der in der szenischen Analyse richtig aufgeht und gerne wieder auf die Uraufführung in Bayreuth 1876 zu sprechen kommt, und Kober, der mit Liebe zum Detail am heimischen Klavier das letzte Erlösungsthema erläutert, haben sich fachkundig, aber auch für Nicht-Wagnerianer oder Nicht-Musikexperten mit verständlichen Worten diesem gigantischem Komplex genähert. Als Abspann und auch als kleiner Leckerbissen werden zu den noch nicht veröffentlichten Schlussklängen des Mitschnitts der Duisburger Götterdämmerung Richard Wagners „Original-Regieanweisungen“ des Schlusses eingeblendet.

Was aus der Not für den wegen der Corona-Epidemie abgesagten Ring des Nibelungen an der Deutschen Oper am Rhein geboren wurde, hat sich über die vier Ausgaben des digitalen Talks zu einem sehens- und hörenswerten Exkurs entwickelt, der natürlich nicht das entgangene Ring-Vergnügen ersetzen kann, aber vielleicht bei denen, die den Düsseldorfer oder Duisburger Ring noch gar nicht kennen, die Lust geweckt hat, sich dieses Werk, wenn wieder alles zur Normalität zurückgekehrt ist, live anzuschauen.

Auch wenn es technisch in der ersten Folge bisweilen etwas geklappert hat, so wurde das doch weitestgehend in den folgenden drei Reihen bis auf wenige Ausnahmen behoben, es hatte aber dafür etwas sehr Privates und Persönliches, der Blick ins Wohnzimmer oder Büro der vielen Mitwirkenden. Es wird im Übrigen noch zum Ende dieser Woche eine fünfte Folge geben. Es hat so viele Zuschriften und Fragen zum Ring an Kober und Dreher gegeben, dass die Beantwortung innerhalb der vier Folgen das Format gesprengt hätte. Somit darf man sich freuen, die beiden Herren noch einmal zu erleben, und man darf auf die vielen Fragen zum Ring schon gespannt sein.

Andreas H. Hölscher