O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Zerban

Hintergründe

Musiktheater für alle

Wenn es, wie jetzt in der Landeshauptstadt Düsseldorf, um die Frage geht, ob ein Neubau oder eine Sanierung des maroden Opernhauses sinnvoll ist, stehen die Bedenkenträger Schlange. Oper sei nicht mehr zeitgemäß, zu elitär, zu teuer und so weiter. Wie immer steckt in den Bedenken auch ein Körnchen Wahrheit. Deshalb sollten nicht die Fragen nach den Kosten im Vordergrund stehen, sondern die Überlegung, wie sich die darstellende Kunst in der Stadt weiterentwickeln soll, muss.

Das Düsseldorfer Opernhaus ist baufällig. Zeit auch für künstlerische Neuausrichtung? – Foto © Michael Zerban

Düsseldorf ist eine Stadt, die sich immer wieder neu erfindet. Ob die unterirdische Verlegung des Autoverkehrs am Rhein, die Modernisierung des Hafens oder die Umgestaltung des Gustaf-Gründgens-Platzes – Entscheidungen, die anfangs kontrovers diskutiert wurden, gelten heute durchaus als Erfolgsgeschichten. Der Blick in die Vergangenheit zeigt: Wandel kann durchaus auch das vielbeschworene Wachstum sein. Vor diesem Hintergrund scheint die Idee eines neuen Opernhauses für die Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens nur folgerichtig.

Es gibt zwei immer wieder genannte Gründe, die für ein neues Opernhaus sprechen. Erstens bietet das derzeitige Haus nur einen großen Veranstaltungssaal, was die Nutzungsmöglichkeiten stark einschränkt. Zweitens wirkt die Nachkriegsarchitektur des Gebäudes wenig repräsentativ für eine Metropole wie Düsseldorf und ist angeblich baufällig. Doch allein diese Argumente reichen nicht aus, um die Notwendigkeit eines solchen Projekts zu erklären. Besonders nach den Einschnitten durch Corona stellt sich die Frage, wie Kulturangebote in Zukunft überhaupt gestaltet werden sollten.

Die Pandemie war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt. Das gesellschaftliche Leben kam weitestgehend zum Stillstand, und Versammlungsstätten wurden über Jahre hinweg gemieden. Während das Förderprogramm „Neustart Kultur“ vielen Einrichtungen eine vorübergehende Atempause verschaffte, ist die Realität inzwischen ernüchternd. Einige Theater und Opernhäuser und vor allem die freie Szene kämpfen ums Überleben, und es ist absehbar, dass in der kommenden Dekade einige von ihnen schließen respektive ihre Arbeit beenden werden. Die Ursache liegt auf der Hand: Wenn das Publikum nicht mehr in ausreichender Zahl kommt, gibt es schlicht ein Überangebot. Düsseldorf ist zudem keine isolierte Insel. Opern- und Theaterbesucher sind heute mobil und fahren auch ohne Weiteres nach Köln, Bochum oder Gelsenkirchen und umgekehrt.

Ein Opernhaus muss also mehr bieten als ein weiteres Repertoire-Stück aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Doch genau hier liegt das Problem. Oper ist nach wie vor ein Begriff, der viele Menschen abschreckt. Es beginnt schon mit dem Image: Oper wird heute oft als elitär und aus der Zeit gefallen wahrgenommen. Dabei zeigen Trends wie die wachsende Beliebtheit aufwändiger Abiturfeiern oder Hochzeiten, dass auch jüngere Generationen durchaus Interesse an feierlichen Anlässen haben. Sie kleiden sich gerne schick, genießen Livemusik und Unterhaltung – wenn das Gesamtpaket stimmt. Doch was bietet die Deutsche Oper am Rhein? Ein Bühnenprogramm, Getränke – aber weder gemeinsames Tanzen noch echte Mitmachmöglichkeiten. Das klassische Repertoire bleibt oft starr. Inszenierungen alter Werke, gelegentlich ergänzt durch zeitgenössische Interpretationen, scheinen an einem Kulturverständnis festzuhalten, das eher in die Zeit vor 1968 passt.

Neue Wege

Dabei hat Düsseldorf längst bewiesen, dass Kultur auch anders gestaltet werden kann. Institutionen wie das Tanzhaus NRW, das Zakk, das Forum Freies Theater oder das Junge Schauspiel haben ein Angebot geschaffen, das moderner, zugänglicher und inklusiver ist. Man lese dazu das im vergangenen Jahr erschienene Buch über die Düsseldorfer freie Szene Die Bretter, die die Stadt bedeuten. Ein neues Musiktheater könnte sich daran ein Beispiel nehmen und sich grundlegend neu erfinden.

Wie könnte ein zeitgemäßes Musiktheater in Düsseldorf aussehen?

Denkbar wäre ein offenes Haus, das architektonisch einladend ist und ganztägig zugänglich bleibt – nicht nur für Vorstellungen, sondern als Ort der Begegnung. Statt eines vollen Spielplans mit wechselnden Programmen an jedem Abend, könnte man den Fokus auf vier große Neuinszenierungen pro Jahr legen, die jeweils einen Monat lang durchgehend im Staggione-Betrieb gezeigt werden. Gastspiele könnten die verbleibenden Monate füllen und für Vielfalt sorgen: Musiktheater-Produktionen, Tanzaufführungen, ja, auch Popkonzerte oder Inszenierungen aus nichteuropäischen Kulturen könnten das Angebot bereichern. Ergänzt werden könnte das Konzept durch einen kleineren Saal für experimentelle neue Formate, die auch jeweils über einen längeren Zeitraum – mindestens 14 Tage – hinweg erlebbar wären.

Ein weiterer wichtiger Baustein wäre die Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen. Düsseldorf verfügt mit der Kunstakademie, der Robert-Schumann-Hochschule und weiteren Hochschulen in der Region über ein enormes kreatives Potenzial, das bislang kaum ausgeschöpft wird. Warum nicht mehr Kooperationen mit lokalen und regionalen Künstlern und professionellen freien Ensembles eingehen, Kompositionsaufträge vergeben oder innovative Partizipationsangebote für das Publikum schaffen?

Ein solches Konzept würde allerdings bedeuten, sich von alten Gewohnheiten zu verabschieden. Das klassische Repertoiretheater, das fast ausschließlich auf Eigenproduktionen setzt, ist nicht länger zeitgemäß. Ein neues Musiktheater müsste mehr sein als eine Bühne für die Pflege alter Werke. Es müsste ein Impulsgeber für die kulturelle Landschaft der gesamten Region sein, ein Ort, der Kunst und Gesellschaft zusammenführt.

Die anstehende Neubesetzung der Intendanz der Deutschen Oper am Rhein bietet Düsseldorf die Chance, eine mutige Entscheidung zu treffen. Statt sich wieder für einen Vertreter des traditionellen Opernbetriebs zu entscheiden, könnte die Stadt einen Schritt in die Zukunft wagen. Düsseldorf hat das Potenzial, ein Leuchtturm für ein neues, modernes Musiktheater zu werden. Jetzt braucht es den Mut, diesen Weg auch konsequent zu gehen.

Johann Lambert