O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Hintergründe

Rückbesinnung und Weiterentwicklung

Es gibt die Kulturschaffenden, denen automatisch jährlich millionenschwere Budgets aus Steuermitteln überwiesen werden. Und es gibt die anderen, die sich permanent damit beschäftigen müssen, das Publikum immer wieder neu zu begeistern, um sich finanzieren zu können. Die Düsseldorf Lyric Opera und das Unternehmen Klassik aber frisch gehören zu letzteren. Jetzt gibt es bei beiden neue Entwicklungen, um ihre Attraktivität zu schärfen.

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Manchmal ist ein Liederabend eine echte Überraschung. Zum Beispiel, wenn die Düsseldorf Lyric Opera in ihrer Reihe Spotlight-Konzerte dazu einlädt. Regelmäßige Besucher früherer Konzerte kennen sie eigentlich nicht anders als Arienabende. Die mussten zuletzt immer unregelmäßiger stattfinden. Die Organisation der Konzerte wurde für Julia Coulmas, Gründerin der DLO, und Meghan Behiel, künstlerische Leiterin, zunehmend aufwändiger. Und nicht zuletzt wiederholte sich auch vieles im Bürgerhaus des Salzmannbaus im Düsseldorfer Stadtteil Bilk. Nun startet die DLO mit einem neuen Konzept durch. Der Fokus wird in Zukunft verstärkt auf dem Begriff des Spotlights liegen, also auf dem Scheinwerfer, der Projekte verschiedenster Couleur in den Mittelpunkt rückt.

Und so finden sich an diesem Abend die Sopranistin Yvonne Prentki und der Pianist Benedikt ter Braak im Saal des Bürgerhauses ein. Das Duo bereitet sich derzeit auf die Teilnahme am 1. Josephine-Lang-Wettbewerb in Tübingen vor. Da haben sie sich unter 68 Bewerbern aus 31 Ländern mit 23 anderen Lied-Duos für die Teilnahme qualifiziert. Es trifft sich also sehr gut, zuvor noch einen Probelauf vor Publikum zu absolvieren, selbst wenn die Besucherzahl zu früher Abendstunde eher überschaubar ist. Denn was die beiden vortragen, gehört bislang eher zu den seltenen Ereignissen im Konzertsaal. Auch wenn sich dienstbeflissene Musikredakteure in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten darum bemühen, Komponistinnen in der Vergangenheit ausfindig zu machen, weil das gerade en vogue ist, reichen ihre Bemühungen meist kaum über Fanny Hensel und Clara Schumann hinaus. In Tübingen werden in den ersten Oktobertagen hingegen gleich vier heute weitgehend unbekannte Komponistinnen vorgestellt: Josephine Lang, Emilie Mayer, Ethel Smyth und Luise Adolpha Le Beau. Obwohl die Entdeckung ungewöhnlicher und seltener Literatur zum künstlerischen Schaffen ter Braaks gehört, müssen die Ergebnisse ja auch in publikumswirksame Formen gegossen werden. Deshalb feilen Prentki und ter Braak noch fleißig an ihren Moderationen. Dass sich die Auseinandersetzung mit den Komponistinnen lohnt, beweisen die beiden leichterdings mit ihrem musikalischen Vortrag. Während Prentki mit höchster Textverständlichkeit und Schöngesang überzeugt, gibt es am Klavier ungewöhnliche Klänge. Es bleibt keine Zeit mehr, ter Braak zu fragen, wie viel Werktreue und wie viel eigenes Arrangement da eine Rolle spielen. Das wird er dann den Tübingern verraten müssen.

Coulmas und Behiel haben mit diesem Abend schon mal einen Pflock eingeschlagen. Und auch das nächste Spotlight klingt mehr als vielversprechend. Am 22. November wird Stephanie Woodling gemeinsam mit Meghan Behiel am Klavier und Linus Weber am Cello unter dem Titel Von Berlin nach Broadway Musik von Kurt Weill zum Besten geben. Während das ungewöhnliche Konzert von Prentki und ter Braak noch andauert, ist ein Glücksfall, dass es auf dem Weg von Bilk in den Meerbuscher Stadtteil Büderich keine Geschwindigkeitskontrollen gibt. Es ist gleichzeitig ein Weg in Vergangenheit und Zukunft.

Den richtigen Zugang finden

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Während der Shutdowns in der zurückliegenden Pandemie gelangte das Alte Küsterhaus in Büderich zu so etwas wie Berühmtheit – die bis nach Russland reichte. Isabelle von Rundstedt betreibt hier normalerweise eine Kunstgalerie. Als sich die Bühnen leerten, führte Ekaterina Porizko hier Konzerte auf, die über die so genannten sozialen Medien ausgespielt und von einem begeisterten Publikum an den Monitoren aufgenommen wurden. Porizko, damals noch Kantorin der evangelischen Kirchengemeinde in Büderich, ist ihren Weg seither weiter gegangen. Und hat gemeinsam mit Ekaterina Belowa das Kulturunternehmen Klassik aber frisch mit Sitz in Solingen gegründet. Das fühlte sich für alle Beteiligten irgendwie nicht richtig an. Und so wird jetzt zurechtgerückt, was wieder ins Lot gehört. Zwar wird es auch weiterhin Konzerte in Solingen geben, aber der Firmensitz von Klassik aber frisch ist jetzt Büderich und im Alten Küsterhaus gibt es wieder Konzerte von Porizko.

Mit ihrer „Heimkehr“ nach Büderich zeigt Porizko, die inzwischen bei der Landeskirche und an ihrer Karriere als Dirigentin arbeitet, was Klassik aber frisch will. Neue, ungewöhnliche Formate finden, die die klassische Musik einem breiteren Publikum zugänglich macht und Nachwuchstalenten bessere Startmöglichkeiten bietet. Im Alten Küsterhaus läuft seit Ende August bis Ende Oktober die Ausstellung It’s a Match! von Silke Albrecht und Laura Aberham. Beide Künstlerinnen arbeiten abstrakt. Für Porizko eine Steilvorlage. In ihrem „Einstandskonzert“ will sie eine Brücke zwischen Musik und bildender Kunst bauen. Jeder Stuhl ist heute besetzt. Ja, da sitzen die alten Gefolgsleute von Porizko, aber das ändert nichts an der Idee, die sie mit ihrem Konzert Bilder einer Ausstellung verfolgt. Wer sich hier gemütlich zurücksetzt, um sich von der Musik berieseln zu lassen, wird schnell eines Besseren belehrt. Porizko weist auf ein großflächiges Bild und erklärt, es nun in Musik übersetzen zu wollen. Bei der Gelegenheit lernen die Besucher eine ganz neue Seite der Tastenkünstlerin kennen. Sie kann begnadet improvisieren. Trotzdem entlädt sich der Unmut des Publikums in der Bemerkung einer Besucherin. „Ekaterina, entschuldige, aber ich kann mit dieser modernen Kunst überhaupt nichts anfangen – wie soll ich da eine Verbindung zwischen Deiner Musik und den Bildern herstellen?“ Allgemeines Nicken in der Ruhe signalisiert Zustimmung. Aber Porizko lässt sich nicht beirren. Vergleicht den Zugang zur Gegenwartskunst mit dem Erlernen einer Fremdsprache und bricht das Eis, wenn sie nun die Besucher auffordert, ein Bild zu erkennen, dass sie mit ihrer Musik beschreibt. Tatsächlich erhebt sich das Publikum, eilt von Bild zu Bild. Es ist vollkommen unwichtig, dass jeder für sich ein Bild zur Musik erkennt, aber die wenigsten das von Porizko gemeinte entdecken. Im nächsten Schritt, inzwischen sind die Menschen eher fasziniert als irritiert, dürfen sie sich ein Bild aussuchen, zu dem die Pianistin abermals eine begeisternde Improvisation hinlegt. Ob Porizko mit ihren Erläuterungen der Bilder richtig liegt, mag dahingestellt sein, es ist schließlich Kunst, und die entzieht sich der allgemeingültigen Erläuterung. Das haben die Menschen nach diesem Abend auch verstanden.

Nach gut einer Stunde ist das Konzert beendet. Und das Unglaubliche geschieht. Die Besucher verlassen nicht etwa kopfschüttelnd den Saal, sondern verabschieden sich persönlich von Porizko, um sich bei ihr zu bedanken, weil sie nicht nur mit dem Gefühl gehen, fantastische Musik gehört, sondern auch einen Zugang zu Bildern gefunden zu haben, die ihnen zu Beginn des Abends nichts sagten. Großartig.

An einem Abend zwei Mal einen „Neustart“ erlebt zu haben, ist eine besondere Erfahrung. Da darf sich so mancher Intendant einer größeren Kulturinstitution schon mal fragen, warum das an seinem Haus, das mit vielen Millionen Euro von Staats wegen unterhalten wird, partout nicht gelingen will. Es scheint etwas faul im Staate Deutschland.

Michael S. Zerban