O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bühne im Kapuzinerpark - Foto © O-Ton

Hintergründe

Swingende Berghütten

Alto Adige ist der italienische Name von Südtirol. Und so heißt auch das Südtirol-Jazzfestival, das in diesem Jahr vom 28. Juni bis zum 7. Juli stattfand. Eine musikalische Veranstaltung, die nebst einer spektakulären Umgebung einladender nicht sein könnte – dazu zahlreiche Begegnungen und Konzerterlebnisse, die nur hier so, durch den Zusammenklang dieser Faktoren möglich sind – das alles macht auch 2024 den Besuch des Festivals wieder zu einem Höhepunkt im Jahr.

Francesca Remigi – Foto © O-Ton

Das neue Leitungsteam ist seit letztem Jahr engagiert dabei, das Festival mit seiner durch Klaus Widmann langjährig aufgebauten DNA kreativ in die Zukunft zu denken. Bei der Programmplanung ziehen Max von Pretz, Roberto Tubaro und Stefan Festini Cucco neue Quellen heran und setzen noch stärker auf ein international vernetztes Nehmen und Geben innerhalb einer dynamischen jungen Musikszene. Mehr Gewicht bekommen überregionale Kooperationen mit anderen Festivals wie zum Beispiel Leipzig, ebenso mit Förderinstitutionen wie dem NICA-Artists-Netzwerk vom Land Nordrhein-Westfalen. All das tut einer gemeinsamen Sache auf jeden Fall gut, nämlich mit einer vereinigten (Musik-)Kultur aller Länder den ökonomischen und gesellschaftlichen Widerständen wirkungsvoll zu trotzen.

Das Unerwartete ist dabei gewollt und entsteht vor allem an den wechselnden Nebenspielstätten des Festivals: Kurz vor der Geisterstunde dringt eine überschaubare Gruppe verrückter Menschen in Bozens riesige, aber zu dem Zeitpunkt ansonsten menschenleere Messehalle ein, denn jetzt steht hier etwas anderes auf dem Plan als die sonst üblichen Großevents der Wirtschaft oder der Unterhaltungskultur. Skylla heißt die Band der Südtiroler, heute in Großbritannien lebenden Bassistin Ruth Goller – und die pflegt eine ganz und gar eigenwillige Verbindung von E-Bass, Schlagzeug und gleich drei weiblichen Gesangsstimmen. Ritualhaft kreist deren Sphärengesang, von repetitiven E-Bass-Mustern gelenkt, um ein Zentrum auf einer höheren Daseinsebene. Ruth Gollers Bekunden drücken die Stücke Skyllas ihren eigenen „Stream of Consciousness“ aus.

Frei improvisiertes Action-Kino

Was improvisierende Musiker aus dem Moment schöpfen können, stellt ein Filmkonzert in Kooperation mit dem Bozener Filmclub unter Beweis. Saxofonist Daniel Erdmann, die impulsive Schlagzeugerin Francesca Remigi und Olga Reznichenko an ihrem Umhänge-Keyboard improvisieren völlig aus dem Stegreif heraus zum bildgewaltigen Action-Stummfilm Mr Radio aus dem Jahr 1924, in dem schon vor 100 Jahren alle Register eines opulenten Action-Kinos gezogen wurden. Die Rollenverteilung für die musikalische Interaktion des Trios ergibt sich wie von selbst: Erdmann treibt in seinem Spiel die Emotionen fast schon leitmotivisch voran. Reznichenko übersetzt die Bilderflut des Films in eine schillernde Klangfarbenvielfalt, während Remigi dafür sorgt, dass jeder Kubikzentimeter des Raumes mit der ganzen dramatischen Energie der aberwitzigen Filmhandlung angefüllt wird.

Viel leiser, aber mit kaum weniger kreativer Energie geht es bei einem Morgenkonzert in der zu der großen Schar Unterstützender gehörenden Spirituosen-Brennerei Roner zu. Die amerikanische Theremin-Spielerin Pamela Stickney und der Gitarrist Peter Rom schaffen hier nichts Geringeres als ein kammermusikalisches Kleinod. Als beide schließlich in einem Stück von Olivier Messiaen „ankommen“, verkörpert das so viel Überzeugungskraft, als hätte Messiaen genau dieses Duo mit dem wundersamen elektrischen Instrument bei der Komposition seines Stückes im Sinne gehabt – das aber im Original eine Vokalkomposition ist.

Das Sich-Entführen-Lassen an besondere Orte gestaltet sich manchmal unvorhersehbar, vor allem, wenn das Bergwetter nicht mitspielt. So muss das Trio Haezz sein geplantes Freiluftkonzert hoch oben auf den Almwiesen beim Rittnerhorn in eine Holzhütte verlegen. Aber das behagliche Setting, bei dem das Publikum auf Strohballen sitzt, gibt einmal mehr der Verwandlungskunst des Festivals Nahrung: Plötzlich ist aus der Scheune ein alpiner, swingender Jazzclub geworden, in dem auch mal eine Hommage an Thelonious Monk erlaubt ist – manches ist einfach so zeitlos, dass es sich auch in die vor Spielwitz und Fantasie sprühende Gegenwart des Trios locker einfügt.

Fürs Publikum werden rote Teppiche ausgerollt

Szenenbild Kabarila – Foto © O-Ton

Das Südtirol-Festival ist kein Massenevent und will es auch nicht sein. Dennoch rollt das Festival auch immer rote Teppiche fürs Publikum aus, um einladenden Wohlklang an schöne, stilvolle Spielstätten zu bringen. Die lauschige, große Parkanlage des ehrwürdigen Grandhotels Laurin mit Pool und unter Bäumen, begleitet von Vogelgezwitscher und Glockenläuten, ist dann auch das vierte „imaginäre Bandmitglied“ für das zu kühlen Drinks leichtfüßig in hellen Farben freundlich jazzende Trio um den Münchener Pianisten Nils Kugelmann.

Das Batzenhäusel ist das Festivallokal mitten in der Bozener Alstadt gelegen und de facto eine Brauerei mit einem riesigen Außen-Gastronomie-Bereich. Eine Etage tiefer, im Sudwerk, waltet im Studiobühnen-Format das wohl konzentrierteste musikalische „Versuchslabor“ des Festivals. Hier wird dann auch die mehrstündige, frei improvisierte, aber letztlich aus einem durchgängigen Bass-Ostinato nebst allerhand, auch psychedelisch wirkender Improvisationen bestehende Performance Kabarila fortgesetzt, die von dem Ethnologen Stefan Cucco Festini ausgedacht und vom Bassisten Lukas Kranzelbinder realisiert worden ist – mit dem Ziel, auf der Basis archaischer Trance-Rituale und von Elementen aus der Rave-Kultur konventionelle Zeit- und damit Erlebnisformate größer und freier zu machen.

Das Südtirol-Jazzfestival Alto Adige will sein Bestes geben, damit Bozen und die ganze Region ihrem neuen Status als UNESCO Creative City of Music Ehre machen. Für Bozen bedeutet die Auszeichnung eine Anerkennung der lokalen Musikkultur, was nach Meinung von Festivalleiter Stefan Festini Cucco einen guten Nährboden für weitere neue Vernetzungen und noch mehr internationale Ausstrahlung liefert. „So etwas bietet eine gute Chance, dass Stadtverwaltung und Kulturveranstalter noch enger zusammenzuarbeiten und weitere gemeinsame Projekte initiieren“, sagt er. Das Festival reiht sich damit in einen Kreis weitere beachtlicher kultureller Aushängeschilder von Südtirols Landeshauptstadt – zu der neben einem renommierten Tanzfestival ja auch der weltweit geachtete Busoni-Klavierwettbewerb gehört.

Stefan Pieper